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Als Ibrahim früh am nächsten Morgen sein Geschäft betrat, entfernte er vorsichtig eine lose Kachel aus der Vertäfelung im düsteren rückwärtigen Teil des Ladens und zog aus dem Versteck dahinter ein kleines Kästchen aus Ebenholz, in dem er die kostbarsten seiner Juwelen aufbewahrte. Er streichelte es, wie man einen geliebten Menschen liebkost, öffnete es, neigte es dann ein wenig zur Tür, so daß das Tageslicht das Feuer der Steine aufleuchten ließ. Er nahm sie sorgfältig einen nach dem anderen in die Hand, überlegte, aus welchem er den Ring machen würde, den er dem Mann an den Finger stecken wollte, dessen Gunst er zu gewinnen hoffte. Schließlich fiel seine Wahl auf einen Cabochon-Saphir, dunkel wie das samtige Blau der Nacht. Für den breiten goldenen Reif der Fassung wählte er ein Muster aus Lotusblüten inmitten geteilter, elegant gebogener Blätter. Er würde diese Verzierung mit der feinen Eleganz ausführen, für die er weithin bekannt war. Es war nicht das erste Geschenk dieser Art, das er angefertigt hatte, würde aber bei weitem das schönste werden. Den ganzen Tag und den größten Teil des nächsten verbrachte er über die Werkbank gekauert, und am Abend war der Ring fertig. Liebevoll polierte er ihn, bis es beinahe schien, als schimmerte aus ihm ein inneres Licht. Dann legte er ihn auf ein Samtkissen und barg ihn wieder in dem Kästchen. Nun mußte er nur noch auf die Person warten, für die er bestimmt war.

Die Tage und Wochen schlichen vorüber. Von Ungeduld verzehrt, holte Ibrahim immer wieder, wenn er allein war, das Ebenholzkästchen hervor, wickelte den Ring aus und bewunderte das feierliche, doch lebenssprühende Feuer des Edelsteins und die untadelige Kunstfertigkeit der Ziselierung. Wäre ihm die Gunst, die er sich mit diesem Geschenk zu erkaufen hoffte, nicht so wichtig gewesen, er wäre versucht gewesen, den Ring für sich zu behalten …

Er besserte gerade ein Paar spinnwebfeine Filigranohrringe aus, die er für die neueste Favoritin des Abu Ali angefertigt hatte, als Abu'l Hasan endlich in seinem Laden erschien.

»So, mein guter und getreuer Freund«, dröhnte er und tätschelte sich gemütlich den prallen Bauch, »sind die Truhen bis zum Überlaufen gefüllt?«

»Leider, Abu'l Hasan, sind die Zeiten nicht mehr, wie sie einmal waren.«

»Ich habe Euch nie etwas anderes sagen hören, und doch gibt es keinen Wesir am Hofe der Siriden, der nicht mit Juwelen protzt, die von Eurer Kunstfertigkeit zeugen, ganz zu schweigen von den ›kleinen Geschenken‹, die Ihr für ihre Geliebten anfertigt.«

»Aber zu einem lächerlichen Preis, glaubt mir, wirklich lächerlich.«

»Ich weine mit Euch, mein Freund, wirklich, ich weine. Also, wieviel habt Ihr für mich?«

Ibrahim verschwand für einen Augenblick im düsteren hinteren Teil seines Ladens und kehrte dann mit einem prall gefüllten Lederbeutel zurück. Sorgfältig setzte er ihn auf Abu'l Hasans ausgestreckte Handfläche, und die Hand des Berbers senkte und hob sich, als er mit Kennermiene das Gewicht abschätzte.

»Weniger als letztes Mal«, murmelte er, die blutunterlaufenen Augen von trägen Lidern beschattet.

»Genau gleichviel, trotz der schlechten Zeiten.«

»Unser Prinz wird gar nicht erfreut sein.«

»Das ist das Äußerste, was ich erübrigen kann. Es ist nicht weise, einen Händler bis zum Ruin auszubluten, denn damit entgehen Euch die erheblichen Summen, die er mit einem gutgehenden Geschäft zur Schatzkammer unseres Herrschers leisten könnte. Aber ich glaube, ich kann heute einen Beitrag ganz besonderer Art machen. Wir haben in unserer Mitte einen Neuankömmling, einen gewissen Abu Musa Amram ben Hai ibn Yatom, der in sehr kurzer Zeit ein beträchtliches Vermögen angehäuft zu haben scheint. Wir stellen fest, daß er um seine Tätigkeit große Heimlichkeit wahrt. Einige eindringliche Fragen könnten sich lohnen.«

Abu'l Hasan platzte mit einem lauten, kollernden Lachen heraus, hielt sich den Bauch, der vor Vergnügen wackelte. »Ihr seid wirklich unverbesserlich! Ihr macht vor gar nichts halt, um Euch meinem Griff zu entwinden, nicht wahr? Aber diesmal habt Ihr kein Glück, mein Freund. Zufällig ist Abu Musa einer meiner Kollegen. Abu Ali hat ihn damit beauftragt, die Steuern in den Provinzen einzutreiben, und er erledigt diese Aufgabe wirklich hervorragend.«

Ibrahim spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen schwankte. Das war das letzte, was er vermutet hätte. Seine Eingeweide bebten vor Angst, und er ruderte wild, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Um seine Verwirrung zu überspielen, verschwand er noch einmal hinten im Laden und kehrte diesmal mit dem Saphirring zurück. Er nahm die rechte Hand des Steuereintreibers in die seine, ließ den Ring auf den kleinen Finger gleiten, schob ihn ganz leicht über die plumpen Gelenke. »Untersucht ihn trotzdem ganz genau«, flüsterte er und drehte Abu'l Hasans Hand zum Licht, so daß der Stein sich in seiner ganzen Schönheit zeigte. »Wieviel er auch der Schatzkammer eingebracht hat, er hat sicher daneben einen beträchtlichen Anteil für sich abgezweigt.«

»Höchst unwahrscheinlich«, murmelte der Steuereintreiber gedankenverloren, entzog seine Hand dem Griff des Händlers, bog die Finger in die Handfläche und streckte den kleinen Finger aus, um den schönen Stein besser bewundern zu können.

»Höchst unwahrscheinlich«, wiederholte er, die Augen starr auf seine Hand gerichtet.

Verzweifelt nahm Ibrahim einen Anhänger mit einer Perle auf, der neben seiner Hand lag. »Ein kleines Mitbringsel für Eure Frau«, flehte er.

»Danke, mein Freund, aber meine Frau findet Perlen schrecklich. Sie hat als Kind einmal eine verschluckt, müßt Ihr wissen.«

Damit wandte er sich zum Gehen.

»Aber Ihr werdet Euch doch umhören …« Die Worte erstarben Ibrahim auf den Lippen. Abu'l Hasan, der sich trotz seiner Leibesfülle schnell bewegte, war schon außer Hörweite …

Wie es seine Gewohnheit war, wenn er von den Rundreisen durch die westlichen und nördlichen Provinzen von Granada zurückkehrte, ging Amram nach Hause, um zu baden und ein sauberes, dunkles Gewand anzulegen, ehe er zum Palast hinaufritt, um die eingetriebenen Gelder dort abzuliefern. Sobald Leonora das Hufgetrappel seines Pferdes hörte, wie es sich dem Haus näherte, eilte sie ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Wie immer warf sie sich in seine Arme, sobald er die Schwelle überschritten hatte. Wie weich und warm und tröstlich es doch war, sie nach den Anstrengungen der Reise in den Armen zu halten, wie sicher und geborgen sie sich in seiner festen, starken Umarmung fühlte. So standen sie einen langen Augenblick schweigend vereint. Schließlich löste sich Amram aus der Umarmung seiner Frau.

»Schon?«

»Nur noch ein kleines Weilchen, meine Taube, mein Reh, und dann können wir uns ohne Einschränkungen aneinander ergötzen. Es ist nicht klug, so große Summen in einem Haus aufzubewahren, das praktisch unbewacht ist.«

»Und doch zögerst du nicht, sie auf der Reise über die von Räubern heimgesuchten Straßen bei dir zu tragen«, wandte Leonora ein.

»Dieses Risiko ist unvermeidlich. Das Geld zu Hause aufzubewahren ist ein vermeidliches.«

»Hat es nicht Zeit bis nach der Siesta?«

»Lieber nicht. Bis du gebadet und dich fertig gemacht hast, bin ich wieder bei dir, das verspreche ich.«

Sobald ihr Mann gegangen war, befahl Leonora ihrer Dienerin, ihr alles Haar vom Körper zu entfernen, selbst an den intimsten Stellen. Dann badete sie und ließ sich von der Frau mit Moschus und Jasmin parfümiertes Öl in alle Poren ihrer glatten, makellosen Haut einmassieren. Jetzt war sie bereit. Sie schlüpfte in ein weißes, mit goldenen Borten verziertes Gewand aus Seidenmusselin, das die Umrisse ihres Körpers zart ahnen ließ – schattengleich und ungeheuer verführerisch –, und legte sich – geschmeidig, groß und sinnlich – auf einen üppigen Diwan. Ständig wanderte ihr Blick zu der Sonnenuhr auf dem Patio, und als eine Stunde vergangen war, wurde sie ungeduldig. Nach der zweiten Stunde fing sie an, sich Sorgen zu machen. Aber als noch einmal eine Stunde ohne ein Lebenszeichen von Amram verstrichen war, ergriff sie nackte Panik. Sie stand auf, warf sich einen Leinenumhang über und ging unruhig im Haus auf und ab. Hin und wieder blieb sie stehen und starrte ängstlich auf den Weg, der durch das Judenviertel und über den Fluß zum Albaicin führte, hoffte ihn dort auf dem Nachhauseweg zu erspähen. Aber es war immer noch Siesta. Bleiern und erbarmungslos brannte die Sonne auf die eng gedrängten Häuser der Juden unten und auf die weite, ausgetrocknete Ebene dahinter nieder. Nichts regte sich.