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»Es ist nicht dabei«, sagte er schließlich, schlug das Kästchen zu und zeigte damit erste Anzeichen schlechter Laune. »Wo könnte er es sonst noch aufbewahrt haben?«

»Irgendwo in seinem Zimmer vielleicht?«

»Führe mich dorthin.«

Zusammen gingen sie durch den schattigen Säulengang in Amrams Arbeitszimmer, wo überall Papiere lagen. Zunächst mit großer Sorgfalt, dann mit wachsender Erregung rollte Joseph Pergamente auf, blätterte Bücher durch, suchte in Papierstapeln, auf denen unzählige Gedichtentwürfe geschrieben standen, bis er endlich fand, was er gesucht hatte, mit einem Seidenband an ein herrliches Liebesgedicht gebunden. Er ließ die Papiere in die Innentasche seines Gewandes gleiten, nahm seine Tochter beim Arm und führte sie in den Salon zurück. »Morgen früh werde ich im Palast vorstellig werden. Mit ein bißchen Glück ist Amram am Abend schon wieder zu Hause.«

Abu Ali Hamid ibn Abi geleitete Joseph ibn Aukal voller vorsichtiger Erwartung in seine schäbige Gewölbekammer. Obwohl er selbst höchst erpicht war, die Unschuld des besten Steuereintreibers von Granada zu beweisen, befürchtete er doch, daß Joseph kaum einen konkreten Beweis zur Unterstützung Amrams beibringen würde. Geduldig schaute er zu, wie sich Joseph mit erstaunlicher Gelassenheit hinunterbeugte, um die feinen damaszener Intarsien an einem Buchpult in einer Zimmerecke zu untersuchen. Mit geübtem Schwung zog der Juwelier einen Samtbeutel aus einer Tasche seines Gewandes und legte ihn auf das Pult, während er seiner Bewunderung für die schöne Handwerksarbeit Ausdruck verlieh. Dann richtete er sich auf und trat seinem Gesprächspartner gegenüber.

»Erlaubt mir, Abu Ali, Euch über eine Angelegenheit ins Bild zu setzen, von der Ihr, wie ich glaube, keine Kenntnis besitzt. Die Frau des Abu Musa, meine Tochter Leonora, war dem Sohn des Ibrahim, des führenden Goldschmieds in Granada, beinahe von Geburt unserer Kinder an versprochen. Als sie beide im heiratsfähigen Alter waren, kam Ibrahim zu mir nach Málaga, um mit mir die Mitgift Leonoras zu besprechen. Unzufrieden mit meinem ersten Angebot, kehrte er nach Granada zurück, aber da dies nun einmal die Art von Verhandlungen ist, erwartete ich, daß er einen angemessenen Anlaß finden würde, um die Gespräche wieder aufzunehmen. Doch die Zeit verging, und er machte keinerlei Anstalten dazu. In der Zwischenzeit lernte ich Abu Musa kennen, einen Mann, der Ibrahims Sohn in allen Dingen so unendlich überlegen ist, daß ich schon bald mein Bedauern darüber vergaß, daß sein Vater mein Angebot ausgeschlagen hatte. Als nun Abu Musa nach einiger Zeit bei mir um Leonoras Hand anhielt, war ich nur zu gerne bereit, ihm meine Zustimmung zu geben. In Anbetracht des Ruhms des Hauses Ibn Yatom, der Gelehrsamkeit Amrams und seiner außergewöhnlichen Geschäftstüchtigkeit bot ich als Mitgift für meine Tochter eine Summe an, die weit höher war als die, die ich seinem ehemaligen Mitbewerber angeboten hatte.«

Abu Alis Gesichtsausdruck erhellte sich ein wenig, aber er ließ seine Vorsicht noch immer nicht fahren. »Eure Erklärung wirft ein neues Licht auf die Angelegenheit. Doch wenn ihr keine konkreten Beweise erbringen könnt, bleibt sie wertlos.«

»Ich habe den Beweis hier«, erwiderte Joseph unverzüglich und zog den Ehevertrag hervor, an dem immer noch Amrams Gedicht hing.

Abu Ali überflog ihn, legte ihn neben sich auf die Truhe und musterte Joseph aus halb geschlossenen Augen. »Wie könnt Ihr beweisen, daß dies keine Fälschung ist?«

»Hiermit«, antwortete Joseph und reichte ihm eine Urkunde, die er aus Málaga mitgebracht hatte. »Dies ist die Verkaufsurkunde des Anwesens, das laut Ehevertrag Amram und seiner Frau überschrieben wurde. Sie ist von Amram ben Hai ibn Yatom als Verkäufer und von Ahmad ibn Nasr als Käufer unterzeichnet und dann mit dem Siegel des Landregisters von Málaga versehen. Ein solches Siegel läßt sich unmöglich fälschen. Diese Urkunde beweist ohne jeden Zweifel, daß Amram ausreichende Geldmittel zur Verfügung hatte, um meiner Tochter ein Wohnhaus einzurichten, das ihrem Stand gemäß ist, und sie so zu halten, wie sie es seit jeher gewöhnt ist. Es bestand für ihn keine Notwendigkeit, für diese Zwecke öffentliche Gelder zu ›unterschlagen‹. Ich bin sicher, Ihr seid meiner Meinung, daß er viel zu intelligent ist, um ein solches Risiko einzugehen.«

Erst jetzt ließ Abu Alis Wachsamkeit nach. »Mein Freund, Ihr habt nicht nur Eurer Familie einen unschätzbaren Dienst erwiesen, sondern auch mir und meinem Prinzen. Jetzt müssen wir Ibrahim dafür bezahlen lassen, daß er solche frevelhaften Verleumdungen über einen Mann meines Vertrauens verbreitet hat.«

»Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich habe auf dem Weg hierher kurz bei ihm vorgesprochen. Wenn ich mich nicht irre, ist er bereits aus der Stadt geflohen und hat sein ganzes Vermögen zurückgelassen, das Eure Truhen füllen wird.«

Als Leonora ihren Mann erspähte, der den Hang zum Haus hinaufgeritten kam, rannte sie ihm entgegen. Er sprang vom Pferd und warf sich in ihre Arme, ungeachtet der neugierigen Blicke, die er auf sich spürte. Fieberhaft ließ sie die Hände über sein Gesicht und seine Schultern wandern, über seinen Rücken, wollte sich verzweifelt versichern, daß ihm kein Unheil geschehen war.

»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann«, flüsterte Amram und barg seinen Kopf im seidigen Wasserfall ihres Haares, das sie heute offen trug. »Wir sind verwandte Seelen, du und ich, beide Kämpfer für das, was wir wollen. Wir werden noch viel zusammen erreichen, meine gescheite, mutige und entschlossene kleine Rehfrau.«

In jener Nacht liebten sie einander mit einer Hingabe, die sie nicht einmal in den ersten Tagen ihrer Liebe gekannt hatten. Ihre Leidenschaft war um so stärker, als sie einander wiedergefunden hatten, nachdem sie schon gefürchtet hatten, sich verloren zu haben.

39

Von jenem Tag an hörte das Gerede der Juden über Amram auf. Sie waren ängstlich darum bemüht, das Unrecht wiedergutzumachen, das einer der Ihren Amram angetan hatte, und nun stand die Gemeinde wie ein Mann zu ihm, erkannte in ihm nicht nur ihren Anführer, sondern auch eine wertvolle Informationsquelle – wenn nicht gar einen Fürsprecher beim Herrscher, sollte je ein Einschreiten dieser Art notwendig werden. Die Frauen folgten dem Beispiel ihrer Ehemänner und behandelten Leonora mit neuem Respekt, erkannten sie als die erste Dame in ihren Kreisen an. Sie sonnte sich in dieser Ehre, die man ihr zukommen ließ, spielte ihre Rolle mit Selbstvertrauen und Stil – als Vorbereitung für jene größeren Dinge, die Amram ihr versprochen hatte …

Wie Abu Ali es vorausgesehen hatte, machte sich kurz darauf Zawa ibn Ziri in sein Heimatland auf. Sein Neffe Habbus ibn Maksan ibn Ziri al-Sinhaji brachte sich unverzüglich in eine Machtstellung, und sobald ihn die Kunde vom Tod seines Onkels erreichte, beanspruchte er den Rang eines Königs und legte sich den zusätzlichen Herrschernamen Saif ad-daula – ›Schwert des Königtums‹ – zu. Von Kopf bis Fuß ein Krieger, ein Mann von großer Autorität und schnellen Entscheidungen, machte sich Granadas selbsternannter Herrscher an die Durchführung der Pläne, die er schon so lange erwogen hatte. Er setzte unverzüglich eine Verwaltung nach dem Muster des Omaijadenreiches ein, deren Ränge er mit gebildeten Andalusiern füllte. Abu Ali wurde zum Wesir ernannt, der sich um die Finanzen des Reiches zu kümmern hatte, erhielt den Befehl, das Geld aufzutreiben, mit dem man Söldner aus anderen Berberstämmen bezahlen konnte, die Habbus' Sinhaji-Truppen verstärken sollten. Abu Ali nahm Amram mit auf seinem Weg nach oben, überließ ihm seinen eigenen vormaligen Posten als obersten Steuereintreiber. Amram wiederum versammelte bei seinem eigenen Aufstieg eine Gruppe jüdischer Kollegen um sich, die treu zu ihm standen. So schnell sie das Geld in die königlichen Truhen schütten konnten, so schnell gab Habbus es wieder aus, unternahm Feldzüge, die sein Reich im Norden bis an den Guadalquivir und im Westen bis Cabra ausdehnten. All seine Wesire waren überzeugt davon, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis er sich endlich entschloß, im Kampf um die Vorherrschaft in al-Andalus auch seine Erzrivalen, die arabischen Abbaditen in Sevilla, herauszufordern.