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«Macht nix«, hat er gesagt. Als der gegrinst hat, hat er auch gegrinst.

«Weißt du, wer ich bin?«

Er hat genickt, weil sie ihm das ja gesagt hatten, aber er wusste das schon wieder nicht mehr, er hat mit dem Kopf geschüttelt. Und dann hat der ihm das gesagt, dass er so wie so was wie sein Bruder ist, bloß nicht ganz richtig, nur so halb.»Ich wollte gern dich kennenlernen«, hat er gesagt. Er hätte den gerne gefragt, warum er so komisch spricht, aber er hat sich nicht getraut. Vielleicht kann der auch nicht orntlich sprechen, vielleicht sagen sie zu dem auch immer, sprich doch ma orntlich. Siehste. Er ist gar nicht der Einzigste.

«Bist du hergekommen von ihr jetzt oder was richtig von ihr?«, hat er gefragt.

«Wie bitte?«, hat der gefragt, wie Oma. Aber er meinte gar nicht Oma.

«Na, von ihr meine Mutter hat sie dich hergeschickt?«

Da hat der mit dem Kopf geschüttelt.»Nein. Sie ist …«

«Kommt sie denn selber her, ja, kommt sie hat sie gesagt dass sie herkommt dass sie mich besuchen kommt?«

«Nein. «Der hat ihn angeguckt, so richtig in die Augen rein. Dann hat er noch mal nein gesagt.»Ich glaub … sie kann nicht. Sie kann nicht kommen. «Und der hat auf einmal ausgesehen, als wenn er auch traurig ist, dass seine Mutter nicht herkommen kann. Aber er war gar nicht richtig traurig, weil er sich das ja schon gedacht hat, vorher. Dass sie immer nicht kann.»Macht ja nix«, hat er gesagt.

Und dann hat der sich so hingebeugt, so ein bisschen zu ihm, und hat gesagt, dass sie das gar nicht weiß.

Und er hat genickt, weil er sich das auch schon gedacht hat. Dass sie das gar nicht weiß, dass er hier ist. Und der hat das auch gesagt. Nein. So ähnlich. Der hat gesagt:»Also, sie weiß nicht, dass ich bin hier.«

«Bist du ganz heimlich hier, und sie weiß das nich?«

«Ja.«

«Achso. «Achsoachso. Aber wenn der ganz heimlich hier war, dann durfte er das auch keinem erzählen, dann war das ein Geheimnis. Er wollte das aber gerne erzählen. Aber nicht Onkel Peter, Onkel Peter soll das gar nicht wissen, und wenn Onkel Peter ihn fragt, war der hier, dann sagt er, nö. Ha ha.

«Henry, wie lange musst du noch bleiben hier?«, hat der gefragt.

Er hat mit den Schultern gezuckt.»Drei Jahre.«

«Das ist nicht mehr so lange, du weißt.«

«Oder zwei Jahre.«

«Ist es sehr langweilig hier?«

«Ja, ja ja, sehr langweilig, ganz langweilig ist das hier, alle sind langweilig.«

Da hat der gelacht, ein bisschen, und er hat auch gelacht, ha ha, auch wenn da gar nichts zum Lachen war.

Der hat gesagt, wenn er hier rauskommt, dann holt er ihn mal dahin. Wo er herkommt. Wo er wohnt, und dass das ganz dicht am Meer ist, dass man das Meer da immer hören kann, jeden Tag und jede Nacht, besonders in der Nacht. Er wollte erst sagen, dass er in der Nacht das aber gar nicht hören kann, weil er da schläft, weil er das nicht mag, wenn das schon dunkel ist draußen. Aber vielleicht kann man das da ja immer hören, das Meer. Auch wenn man schläft. Er hat gefragt:»Ist das so ähnlich wie die Ostsee, das Meer?«Die Ostsee ist langweilig, immer wenn sie mit der MAKARENKO an die Ostsee gefahren sind, dann hat er sich das schon immer gedacht. Dass das wieder langweilig ist. Dass sie denn wieder meckern, wenn er bloß mal ins Wasser will, bloß mal auf die Holzdinger rauf und da langlaufen drauf und die Möwen mit seiner Stulle füttern. An der Ostsee darf man gar nichts.

Aber der hat gesagt, dass das Meer anders ist als die blöde Ostsee. Dass da viel mehr Wellen sind.»So groß wie ich, solche Wellen?«, hat er gefragt.

«Noch viel größere manchmal«, hat der gesagt. Und dann hat der noch mehr erzählt, von dem Haus, wo der wohnt, und wie das da alles aussieht, aber er hat das nicht alles verstanden. Und er hat auch was erzählt, dass er in dem Haus bei Oma gewohnt hat und dass die jetzt auch weg ist, dass sie das gesagt haben. Und wie das da aussieht, und dass er paar Katzen hatte. Und dass er immer aufräumen musste, aber das war nicht so schlimm wie hier. Und dass die Werkstatt auch nicht so schlimm war, bei die Bekloppten.»Ich wollt das doch nich«, hat er gesagt, und dann musste er richtig heulen musste er richtig, aber nur ganz kurz. Weil der dann seinen Arm angefasst hat und dann gesagt hat, dass er das weiß.»Ich weiß«, hat der gesagt.

«Du weißt das? Woher weißt du denn das?«

Der hat mit den Schultern gezuckt.»Na ja, ich kann mir das nicht vorstellen. Dass du das … wie sagt man …«

«Doch«, hat er gesagt,»doch, das stimmt. Ich hab das gemacht. Aber nich mit Absicht!«

«Ja«, hat der gesagt,»das ist, was ich sagen wollte: nicht mit Absicht. Ich weiß das.«

Der weiß das! Siehste. Und die Polizei wusste das nicht, die hat gedacht, er hat das mit Absicht gemacht, die blöde Kackpolizei. Und Onkel Peter denkt das auch, und alle denken das, die alle in Bresekow, Stefan und die, und keiner kommt und holt ihn hier raus, und Oma auch nicht. Sie kann doch nicht. Sie kann doch nicht herkommen.

Und den Zettel hat er immer noch in seiner Hosentasche, den hat er schon ganz zusammengerollt, ganz klitzeklein, damit den keiner findet. Wo den seine Adresse draufsteht. Bloß er kann das nicht richtig lesen kann er doch nicht. Aber er hat das nicht gesagt. Damit der ihm doch einen Brief schreibt,»einen ganz langen«, hat er gesagt, dass er so einen will,»hundert Seiten«. Und der hat gelacht, aber der hat das versprochen. Versprochen ist versprochen. Und der hat gesagt, dass er ihr das sagt. Dass er hier war, zwar nicht gleich, aber nachher, irgendwann denn, dass er hier war.»Oma?«, hat er gefragt.

«Nein«, hat der gesagt und ihn ganz komisch angeguckt.»Ingrid.«

Und dann ist er ganz dicht an ihn rangekommen und hat ihn gedrückt, so wie Oma manchmal. Aber Oma ist das doch nicht. Ingrid. Oma heißt Anna mit Vornamen, das weiß er, das weiß er ganz genau. Zufälligerweise, ja.

Er darf jetzt nie mehr schlafen. Weil doch hier kein Meer ist, er vergisst das sonst.

JOHN & PAUL

WIR HÄTTEN ES GEMÜTLICH BEI STURM

IN UNSEREM KLEINEN VERSTECK UNTER DEN WELLEN

WO WIR UNSEREN KOPF AUF DIE SEEKISSEN LEGEN

IN EINEM TINTENFISCHGARTEN NAHE EINER HÖHLE

WIR WÜRDEN SINGEN UND HERUMTANZEN

WEIL WIR WISSEN, WIR KÖNNEN NICHT GEFUNDEN WERDEN

WIR WÄREN SO GLÜCKLICH DU UND ICH

KEINER DA DER UNS SAGT WAS WIR MACHEN SOLLEN

ICH WÄRE GERNE UNTER DEM MEER

IN EINEM TINTENFISCHGARTEN MIT DIR

MARIA

Dass das alles immer ganz anders kommt, wie man denkt. Das hatt ich ja schon beizeiten gemerkt. Aber dass das nu immer auch nich stimmt. Manchmal dacht ich, das muss doch nu noch mal anders kommen. Manchmal hatt ich mir bei eine Sache das Schlimmste vorgestellt, was passieren könnt, und ich hatt denn auch tüchtig Schiss dabei, weil vorstellen konnt ich mir immer alles gut, bis ich heulen musst manchmal, aber gemacht hab ich das bloß, damit das denn nich passiert. Ich dacht, das passiert denn nich. Das hatt ich schon immer, das war schon immer so meine Methode. Schon als ganz lüttes Kind, wenn ich wieder was nich aufessen wollt, wenn ich das nich runterkriegte, und meine Mutter mir das auch nich reingestoppt kriegte, ich hab das denn wieder ausgespuckt. Und wenn sie denn sagte, meine Mutter, dass sie das mein Vater sagen wollt, wenn er abends kommt. Da hab ich mir das denn vorgestellt, den ganzen langen Nachmittag lang, wie er kommt und wie sie ihm das sagt und wie er denn ruft: Maria! und wie ich denn zu ihm muss und wie ich meine Schuhe ausziehen muss und mich vor ihn hinstellen, wie er da so sitzt auf dem Küchenstuhl und wie er mir denn mit seine schweren Stiefel auf die Füße tritt und meine Füße einquetscht, dass ich nicht weglaufen kann. Und wie er denn ausholt und mir Backpfeifen gibt, links eine und rechts eine, immer links und rechts, aber nich mehr, und wie ich denn fast umfall, aber ich kann ja nich. Und wie er denn mein Kinn mit seiner schwieligen Hand zusammendrückt und hochzieht und sagt,»kiek mi an, kiekst du mi woohl an«, und wie ich ihn angucken muss, auch wenn ich gar nix mehr sehen kann vor Tränen.»Dat mi dat nich noch eis vörkümmt!«Und ich musst mir das immer wieder vorstellen, und manchmal is das denn gar nich passiert. Aber manchmal doch.