Выбрать главу

Ich hab das erst gar nich so eng gesehn, Anna, das mit uns. Nich, dass ich das nich gemerkt hätt. Aber ich hatt nu auch andre Sachen zu tun. Ich hätt das auch nich gedacht. Ich mein, wo wir nu im selben Dorf wohnten, und groß is das ja nu nich. Ich musst da manchmal dran denken. Wie ich immer die drei Kilometer von Putlitz nach Bresekow, nach dir hin gelaufen bin, und abends wieder zurück. Und das war mir nich zu viel, ich hatt auch gar keine Angst, wenn das denn schon schummrig wurd und wo ich doch sonst so schittrig war. Aber sowie ich bei dir war, oder ich braucht bloß an dich denken — schon war das weg. Angst hatt ich bloß vor eins: dass das auf einmal alles vorbei sein könnt, von ein Tag aufn andern, dass du morgens inner Schule zu mir sagst, so, Maria, nu will ich nich mehr deine Freundin sein. Ich weiß nich mehr, ob ich wirklich dacht, dass das passieren könnt. Das war vielleicht wie mit dem lieben Gott. Wenn sie mir immer gesagt haben, der sieht alles, alles, was du machst, Maria, und wenn du was Schlimmes machst, denn wird er dich dafür bestrafen, wirst schon sehen. Und Hochmut kam vor dem Fall. Richtig geglaubt hab ich das immer nich, glaub ich. Aber vorstellen konnt ich mir das. Wie das sein würd, wenn Gott mich bestraft, und dass mir denn alle Haare ausfallen würden oder meine Mutter stirbt oder der Pfarrer mich in einen Turm einsperrt wie die Heilige Barbara, die mocht ich am liebsten. Wenn das gewitterte oder irgendwo brannte, denn hat meine Mutter mich immer gerufen,»kümm, Maria, wi wulln eis bääden«, und denn haben wir zur Heiligen Barbara gebetet, dass der Blitz nich in unser Haus einschlägt. Und wie mocht ich das gern mit den Kirschzweigen, wenn wir die am vierten Dezember ins Haus geholt haben, da war immer mein Vater für zuständig, der musst die abschneiden, die Barbarazweige, und denn bin ich jeden Morgen als erstes in unsre Stube mit nackte Füßen, um nachzugucken, ob die schon aufgeblüht sind. Da hab ich dran geglaubt, an die Heilige Barbara, ich wusst genau, wie die aussieht, die hatte auch so schöne blonde Haare wie du.

Und deshalb hab ich mir das vorgestellt, wie das wär, wenn du mich nu überhättst, wenn ich wieder alleine sein müsst. Wie ich denn sterben würd, einfach so, dass das denn noch das Beste wär, das hab ich mir vorgestellt. Damit das nich passiert. Dass wir keine Freundinnen mehr sind. Und siehst du, denn is das doch so gekommen, bloß dadran stirbt sich das nu nich.

Anna, das is vielleicht kindisch, aber siehst du, manchmal könnt ich heulen dadrum, dass ich gar nix von dir hab, gar kein Andenken, ich weiß nich, wo das alles geblieben is mit der Zeit, was du mir geschenkt hast immer mal, so kleinen Krimskrams, gepresste Blumen und eine Schachtel dazu und eine Kette aus Holzperlen. Und die Bücher. Wo is das alles geblieben? Das muss alles beim Umbau weggekommen sein, oder Britta hat das alles mal in Müll geschmissen. Ich weiß auch nich, wieso ich bloß das eine Foto von dir hab, eins von die, die damals inner Schule gemacht wurden, von mir gab das auch so eins, aber das hab ich auch nich mehr. Und da siehst du so ernst drauf aus, so wie du sonst gar nich ausgesehn hast. Das liegt so lose in dem einen Fotoalbum, wo das eigentlich gar nich reingehört, das war alles später da drin. Aber meistens hol ich das bloß raus, um dich anzugucken auf diesem lütten Bild, das is schon ganz abgegrabbelt unten am Rand.

Das Einzigste, was ich noch von dir hab, das is, wie du geredet hast. Das Hochdeutsch. Das hab ich mir nich wieder abgewöhnt. Auch wenn ich das mit kaum einem geredet hab, außer mit Simon zu Hause. Das mocht ich gleich an ihm. Das war so meine Zu-Hause-Sprache.

Irgendwas is doch da drüben los.»Ella!«Das hört sie wieder nich.»Ella, ich glaub, das brennt!«Da is sie doch, was is sie denn da draußen, das brennt doch da drüben, das brennt, Anna!

ELLA

Na, wenn das mal nicht der erhebendste Anblick seit Jahren ist! Ich weiß, die Feuerwehr wird gleich da sein aus Anklam, unser altersschwaches Ding schafft das ja anscheinend nicht, und dann werden sie es löschen, eine Ruine löschen! Als wär das ein Denkmal. Werden immer mehr Leute, und alles gafft, ich auch, ist ja sonst nix los, ja ja. Aber ich steh einfach da, mit verschränkten Armen, und guck mir das an wien — wien Bild, wien Feuerwerk. Das ist ein Feuerwerk, und was für eins! Damit geht hier eindeutig was zu Ende, und was Neues gibts nicht, genauso wenig, wie es ein Neues Jahr oder so was gibt, aber alle denken das, alle denken, dass hier noch was zu retten wär, und machen sich wichtig. Soll mich nicht wundern, wenn wir alle gleich so ne Kette bilden müssen, wo die Wassereimer von einem zum andern weitergereicht werden schwapp schwapp, und Oberlehrer Wachlowski kommandiert marsch marsch. Am Arsch! Würd mir einer sonen Eimer in die Hand drücken, würd er ihn aber sofort zurückkriegen: ins Gesicht. Kleine Dusche, dass er mal zu Verstand kommt. Die Elpe löschen, wie hirnverbrannt kann man eigentlich sein! Dabei würd das das Feuer viel gründlicher machen: Es würd sie auslöschen.

Wie schön das aussieht, so gegen den dunkelblauen Himmel. Wenn man das wirklich malen könnte. Aber vielleicht ist das auch nur deshalb so schön. Weil man das nicht kann. Kann man sagen, was man will, Feuer auf Bildern taugt nie was. Wasser kriegen sie hin, manch einer sogar Hände, aber Feuer nie. Das brennt einfach nicht, ich kann das nicht sehen. Hat auch was mit Hören zu tun und dieser andren Wärme auf der Haut, nichts macht so eine Wärme wie offenes Feuer, das zieht einen förmlich an, immer näher. Als Kind konnte ich das gar nicht erwarten, dass endlich wieder geheizt wurde. Als wir noch die Öfen hatten. Ich durfte das nicht, aber das hat mich gar nicht interessiert. Ich hab trotzdem die Klappe aufgezogen und mich davorgehockt und mir das in Ruhe angeguckt: wie die Flammen das Holz fressen, und ich dachte wohl wirklich, sie fressen das, weil das Knacken für mich wie ein Zerbeißen war, und wie sie an den Kohlen lecken und nach und nach überall reinkriechen, wie Fieber, das man quasi beobachten kann, so hab ich mir das immer vorgestellt, wenn ich Fieber hatte, dass ich von innen auch so bin, so glutrot, und dass man das eigentlich sehen müsste, durch die Haut. Ich mochte das. Das Beste war, als einmal unser Weihnachtsbaum brannte. Wie schnell das ging. Als Vati mit dem Wasser kam, war er schon halb hinüber. Aber dann dieses Geräusch, als er es auf das Feuer kippte, und der Baum, der unten noch ganz grün war und oben verkohlt, und auf dem Fußboden alles nass, und alles dunkel — da war ich auf einmal so traurig, dass ich heulen musste. Und Mutti dachte natürlich, vor Schreck oder so. Aber ich glaub eher, vor Wut. Weil Vati wieder alles kaputt gemacht hatte, weil er mir nichts gönnte, nicht maln Feuer. Im nächsten Jahr gabs sowieso ne elektrische Lichterkette, obwohl Oma dagegen war, ich auch.

Manchmal denk ich, ich hab bloß deshalb angefangen zu rauchen: um einen Grund für ein Feuerzeug zu haben, oder Streichhölzer. Ich halt sie immer so lange fest, wie es geht. Alles andere wäre Verschwendung. Verschwendung von Schönheit. Ich hab schon immer gerne Sachen verbrannt, besonders Papier, es gibt sehr verschiedenes. Es gibt welches, das verbrennt, ohne gleich zerstört zu werden, zumindest ohne dass man es ihm ansehen würd. Als würd das Feuer es nur ausmalen mit einem ganz gleichmäßigen Braun, oder als wär das Braun schon immer unter dem Weiß gewesen, als würd das Feuer es abziehen wie eine falsche Haut. Das könnt ich mir immer wieder angucken, ich weiß nicht, es macht mich irgendwie — zufrieden oder so, es ist perfekt. Auch, dass man es dann nicht mehr anfassen darf, dass es nur noch zum Angucken da ist, und auch das nur kurz. Und dann ist es einfach weg. Ich zeichne fast nur noch auf solchem Papier.