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Wie könnte ich kein Spiegelbild dieses Lächelns sein.»Oh, ich glaub, ich hab genug für heute Abend«, murmele ich.

«Aber ich nicht«, sagt Paul, gibt mir den Joint, fördert tatsächlich Streichhölzer zutage und zündet eins an, es geht aus, auch das zweite, der Wind ist mein Verzögerungskomplize, bei dem Wort bricht plötzlich etwas in mir auf, dieses seltsame Lied, ein Schlager, oder, verdammt, wie war das noch, DU BIST MEIN, nein, ICH BIN DEIN, nein, nicht das mit dem SLÜZZELÎN, aber ein Schlüssel zu meiner Kindheit, oh Mann, wie mir immer dabei wurde, ein dunkles Zimmer, ich kann mich nur an ein dunkles Zimmer erinnern, nur ein schwaches Licht nebenan von der Küche und die erleuchtete UKW-Skala des Radios, ich verstand nichts und verstand alles, wie habe ich dieses verschlüsselte Lied geliebt, wie sonst nichts vor und nach den Beatles, wie konnte ich es so lange vergessen und nicht vermissen, scheiße, wie ging das noch, irgendwas mit, ja: WIR SIND BEIDE BEREIT. Wahrscheinlich totaler Schnulzenschwachsinn, aber die Melodie, ich hab sie jetzt. Nanana nana nana na, nana nana nana na, nananaana nana. SO NAH AM FEUER? Mir wird erst jetzt bewusst, dass Paul mir schon die ganze Zeit das ich weiß nicht wievielte Streichholz vor die Nase hält, geschützt von seiner hohlen Hand, die Flamme hat fast seine Finger erreicht, aber er bläst sie nicht aus. Ich stecke mir schnell die Tüte in den Mund, neige meinen Kopf. Er sagt nichts, es ist wie ein Ritual, aber wie eins, das man zum ersten Mal ausführt, wenn alles gerade erst anfängt. Eine Vorzeit, die noch nicht dunkel ist. Hah! Ich habs! ICH BIN DEIN DUNKLER CHERUBIM, DU DIE SPHINX IM SCHWARZEN KLEID. Ich lache den Rauch aus. Paul guckt mich neugierig an. Ich kann ihm nichts erklären. YOU AND ME BURNING MATCHES, LIFTING LATCHES.

Wir setzen uns auf die Steintreppe, ich gebe ihm die verderbliche Marihuanazigarette, wenn meine Eltern das jetzt sehen, denke ich kurz, sie schlafen keine zehn Meter entfernt. Würden sie wahrscheinlich gar nichts merken, würden sie nur sagen, du holst dir noch Hämorrhoiden davon! Ich muss wieder lachen, Paul auch, ich winke ab, aber wir kichern noch ein bisschen vor uns hin. Nach Lachen kommt Weinen, klar. Aber morgen. Morgen wein ich, heute rauch ich, übermorgen hol ich mir eine letale Lungenentzündung, und von mir aus auch Hämorrhoiden gleich dazu, kommt dann ja nicht mehr drauf an. Shit happens.

Mein Magen rebelliert, und mir ist ein bisschen schwindlig, es tut gut. Am liebsten würde ich mich hinlegen, gleich hier auf die kalten Steine, zwischen die wirbelnden Blätter, die ganze Nacht, wäre sicher förderlich. Pauls linke Seite wärmt schon die ganze Zeit meine rechte, er ist sogar noch ein Stück herangerückt. Er drückt den Jointstummel aus, gründlich, guckt Richtung Acker. Ich traue mich zum ersten Mal, ihn ruhig zu betrachten, sein Profil. Die Nase ist anders. Aber er hat diese Wimpern. Er dreht sich zu mir, rückt ein Stück von mir ab, meine Seite kühlt sofort aus. Er sagt:»Weißt du, ich wollte dir das noch sagen.«

Ich sehe ihm direkt in die Augen, sehe sogar bei dieser dürftigen Beleuchtung das Grün, ich denke: oh mein Gott, und: oh mein Gott, mein Herz sitzt auf einmal weit oben im Hals, ich halts nicht aus, jetzt ist es so weit, jetzt ist alles zu spät, jetzt, wo alles zu spät ist, ach was, bloß jetzt sags schon, oh Paul.

«Es war eine Wette«, sagt er.

Ich starre ihn an, so starr wie meine Krebse.»Was?«, frage ich und weiß es längst.

«Die Elpe«, sagt er.»Ich habe gewettet, mit Ecki. Dass ich es schaffe, also, euch mitbringen.«

Ich muss ihn jetzt ohrfeigen, nein. Mich. Ich stehe auf. An der Tür drehe ich mich noch mal um, das hohe Herz ist zu einem Kloß mutiert, aber auch auf die Gefahr hin, vorzeitig heulen zu müssen, frage ich:»Und? Hast du jetzt gewonnen?«

Er steht auch auf und kommt auf mich zu, ich versuche, ihn wütend anzusehen, aber ich merke schon, dass dabei ein Ausdruck herauskommt, der sich von geistiger Zerrüttung kaum unterscheiden lässt.

«Nein«, sagt er.»Aber du.«

Und auf einmal ist mir das Seegrün so nahe, dass ich anfange zu schwimmen, und dann ist da bloß noch der kurze weiche Widerstand meiner Lippen und seiner und die unerwartete Feuchtigkeit und unsere Zungen zwei kleine sich suchende Tiere. Schmetterlinge, eventually. –

WIR KÜSSEN DIE NACHT? –

Meine Hand gleitet langsam aus seinem Haar, meine Wange vermisst sofort seine. Eine Weile stehen wir so, platt wie die Flundern. Schließlich entwirre ich unsere Finger, sage:»Warte. «Fummele zittrig den Schlüssel hervor, flitze ins Haus, in mein Zimmer, zum Regal und wieder zurück. Ich nehme Pauls linke Hand. Und hinein lege ich John, den hellen Flusskrebs. Paul sieht ihn verwundert an.»Sing ihm ab und zu was vor«, sage ich.

Er steckt ihn vorsichtig in seine Innentasche.»Ich habe nichts, was ich dir geben kann«, sagt er.

«Paul!«, sage ich.

Er seufzt.»Oh my God. «Dann umarmt er mich, ich weiß, dass es nicht zwei Minuten sind, ich bin stocknüchtern auf einmal. Paul sieht mich an. Er versucht, nicht zu blinzeln, dem, was er in den Augen hat, nicht nachzugeben. Ich bin mit demselben Versuch beschäftigt, derselben Versuchung. Paul nimmt meine Hand und küsst sie, die feine englische Art, ich lächle, indem ich die Lippen zusammenpresse, Paul sagt:»Ich muss noch mal zu Ella. Ich hab meine Tasche vergessen.«

TWO OF US RIDING NOWHERE.

Er küsst mich auf die Wange, die Stirn, er ist mit drei Schritten auf dem Pflaster, die Dorfstraße verschluckt ihn hinter der einzigen Laterne, hastig, windig, in ihrer Dorfdunkelheit.

«SAVE THE LAST DANCE FOR ME«, flüstere ich. Du kannst mich mal, Paul McCartney, ich schlage heulend die Tür hinter mir zu, so laut es geht. –

Ich muss irgendwie, obschon blind, in mein Zimmer gefunden haben. Ich muss aufs Klo gegangen sein, denn meinem Magen gehts besser. Ich muss mich ausgezogen haben, mich hingelegt, denn ich liege in meinem eigenen, bekannten, nach mir, wem sonst, riechenden Bett. Es muss wie eine Rückkehr gewesen sein, ich muss meine leicht durchscheinende Hülle dort liegen gesehen haben und aus Mitleid wieder hineingeschlüpft sein, wie sonst ist es zu erklären.

Bloß schlafen, das will noch nicht wieder klappen. Einiges verlernt man doch. Ich kann das nicht mehr. Schlafen, wie geht das denn. Schlafen. Ich kann mir gar nichts darunter vorstellen. Ich kann nicht. Schlafen. Ich kann nicht schlafen, nein, schlafen kann ich nicht. Ich überlege, welche Art von Defekt es sein könnte, verbreitet, selten, harmlos, nicht so harmlos, bedenklich, bedrohlich. In welcher Hinsicht. Ich überlege, ob man daran sterben kann. Das wäre ja einfach. Also wahrscheinlich wieder nicht. Ich kann nicht schlafen. Worauf wartest du, auf ein Wunder? Du kannst ja nicht mal davon träumen. Schlaftabletten. Taugen doch heute nichts mehr. Ich kann nicht schlafen, wenn das mal nicht langweilig ist. Wie soll man auch schlafen, wenn man sich alle paar Sekunden Rotz und Wasser abwischen muss.

Als es allmählich grau wird in meinem Fenster, stehe ich auf.

Auf der flachen linken Hand, wie auf einem Teller, trage ich Paul in den Garten. Mit der rechten grabe ich ein Loch in die feuchtweiche Erde hinter den Erdbeeren. Ich begrabe Paul hinter den Erdbeeren, und ich gebe ihm den kleinen Zettel bei mit der ungelenken Jungshandschrift.

Das kannst du doch nicht machen. Aber was dann? Fortan abwechselnd YESTERDAY und TREAT ME LIKE YOU DID THE NIGHT BEFORE singen? Für wen? Einen übriggebliebenen, alten, vertrockneten, einäugigen Krebs? I AM HE AS YOU ARE HE AS YOU ARE ME … I’M CRYING.

Ich schreibe R. I. P. in die Erde, sie drängt sich dick und schwarz unter meine Nägel. Ich glotze auf die Buchstaben, ohne etwas zu sehen. Nach zwei Minuten oder so fällt mir auf, dass es fast unsere Initialen sind. Ich will schon die drei Striche an das I anfügen, da denke ich: Vielleicht ist es was anderes. Seine Mutter heißt doch Ingrid. Aber das R, das bin dann nicht ich. Ich lasse es so, wie auch immer.