Выбрать главу

«Heut abend kommt n Junge vorbei«, hab ich gesagt,»er heißt Paul, er kommt aus Irland.«

«Achso?«, hat Mutti gesagt, das wär doch dann wohl der Enkel von der alten Hanske, der Sohn von ihrer Tochter, die da damals abgehauen ist, von der Ingrid Hanske, na ja, jetzt würd sie ja wohl anders heißen.

«Ishley«, hab ich gesagt.

«Wie?«, hat sie gefragt, und dann gleich:»Ella, mach keine Dummheiten! Von vorher fragen hältste ja wohl nich mehr viel …«Und ob sonst noch jemand kommen würd.

Als ob jemals einer zu mir kommen würde!» Ich ruf Romy Plötz an«, hab ich gesagt.

Hab mich dann fast gefreut, auf Paul, und auf Romy, und dann haben die nichts Bessres zu tun, als von den Beatles zu quatschen. Verdammt, eh! Aber wer rechnet denn mit so was! Ja ja, wahrscheinlich muss einer wie ich mit so was rechnen, das ist wie ein verdammter Fluch oder so was, von den verdammten Beatles verfolgt, könnte nen guten Filmtitel abgeben. Oder HELP! Vielleicht würd ich sie ja auch mögen. So wie Romy. So wie Paul. Sie haben jetzt sämtliche Beatles-Alben aus dem Karton gekramt und über den Boden verteilt und sich dazwischen hingepflanzt, auf den» nackten Boden«. Da wurdste doch immer gleich angefurzt,»Ella, steh auf!«.»Verköll juch nich den Mors!«Oma. Und die hier meckert keiner an, die verkühlen sich einfach ihren Hintern und holen sich ne Blasenentzündung und Hämorrhoiden und plappern sich die Titel der Alben vor. Ich bin gar nicht mehr da. Wieder mal.

Doch, ich bin da, das ist es ja grade. Ich kann nichts dafür! Vielleicht würd ich sie auch mögen, ich kann mir das vorstellen, ja, kann ich. Aber nicht mit diesen Alten! Waren die größten Beatles-Fans im ganzen Bezirk Neubrandenburg, und da auch noch stolz drauf. Weiß der Fuchs, wie die an das Zeug gekommen sind, ohne Westverwandtschaft, jedenfalls offiziell. Schön bescheuert, mit sonem Hobby dann Lehrer zu werden, und noch gleich beide! Westpakete gabs nicht. Aber einmal gabs Besuch, das muss kurz vor der Wende gewesen sein, ich kann mich noch ganz gut dadran erinnern, und da wärn die beide ja fast in Ohnmacht gefallen.

Mutti hatte nämlich sone Art Großcousine in Hamburg, und die hat wohl irgendwann rausgekriegt, dass sie Verwandtschaft im Osten hat, und auch irgendwie die Adresse von Onkel Helmut, und dann hat die dem einfach nen Brief geschrieben. Da hatte sie natürlich auch gleich den Richtigen am Wickel. Weil, der hat sich in seiner schmierigen Art nun gedacht, dass aus dieser Tante bestimmt irgendwas rauszuholen ist, so geldmäßig, und hat die doch glatt eingeladen. Und dabei hat er ihr dann auch gleich noch von uns erzählt und hat sich gar nichts dabei gedacht, das hat er dann hinterher zumindest gesagt, und das wundert mich gar nicht, denn das wär ja mal ne Überraschung, wenn Onkel Helmut mal was denken würd. Und prompt kriegen wir auch nen Brief von ihr, dass sie uns dann auch besuchen kommen will, wenn sie da ist, und wie sie sich da schon drauf freut, und so weiter.

Ich seh noch, wie Mutti da geguckt hat, und Vati ist total ausgerastet und hat sie angeschrien, was er vorher noch nie gemacht hatte, war sonst eher umgekehrt.»Dein dämlicher Bruder, son dämlichen Bruder kannst auch bloß du haben, hetzt uns deine vermaledeite Tante aufn Leib, was will die denn hier, die hat doch keine Ahnung, die stürzt uns noch alle ins Verderben stürzt die uns doch«, so was. Und blöderweise hab ich gedacht, dass er recht hat, auch wenn ich gar nicht genau wusste, wieso, aber wie er das so gesagt hat, das ging mir gar nicht mehr ausm Kopp, ich hab wirklich Schiss gehabt und hab mir die ganz horrormäßig vorgestellt, diese Tante von Mutti, und dann war mir Mutti auf einmal auch ganz unheimlich, dass die so eine Tante hat. Und dass sie uns das nie gesagt hat, wer weiß, wieso.

Das hat dann noch ne ganze Zeit gedauert, und wir dachten schon, da passiert gar nichts mehr, die kommt nie, und wir haben schon gar nicht mehr die ganze Zeit dadran gedacht, und Onkel Helmut haben wir nicht mehr besucht, weil der jedesmal bloß davon gequatscht hat und immer gesagt hat:»Die kommt!«, und gegrinst hat.

Aber dann war sie doch auf einmal da. Onkel Helmut hat uns angerufen. Mutti hat zu ihm gesagt:»Spinnst du, das geht nicht«, und so, aber Onkel Helmut konnt es der Tante ja schlecht verbieten, was er zu Mutti auch gesagt hat und weshalb sie dann den Hörer aufgeknallt hat und gesagt, dass Helmut für sie ein für allemal gestorben wär. Und kurz danach ist die auch tatsächlich bei uns angerückt und hat gesagt, wir sollen» Tante Rosalind «zu ihr sagen, da musst ich lachen, aber sie hat nicht gemeckert. Sondern mir was zum Naschen geschenkt und ein dunkelblaues Kleid, das mir eigentlich schon zu klein war, aber ich hab das trotzdem immer angezogen, solang es ging, obwohl ich sonst Kleider gehasst hab, aber das hab ich mir immer angepellt, nur zu Hause natürlich,»damit kannst du doch nicht rausgehn«, hat Mutti gesagt, bis der Reißverschluss geplatzt ist, und dann kams aber auch sofort weg. Noch mehr hab ich Thorsten um seine Mütze beneidet, so eine karierte, aber der war nun erst beschissen dran, weil draußen durfte er die auch nicht aufsetzen, und drinnen mit Mütze, na ja. Zum Glück kam dann die Wende. Aber das hat ja da noch keiner geahnt, und dann saß da diese Westtante bei uns in der Wohnstube, und das ganze Dorf wusste schon Bescheid.

Aber wo sie nun schon mal da war, haben Mutti und Vati sich wohl so gedacht, können sie ihr auch ihre Schätze zeigen, schließlich war sie die einzige Gelegenheit weit und breit. Das wurde uns ja auch jeden Tag eingeschärft, dass wir das ja keinem erzählen sollen, was wir für Musik zu Hause haben, weil sonst Mutti und Vati vielleicht nicht mehr arbeiten dürfen und vielleicht ins Gefängnis müssen und Thorsten und ich ins Heim. Zum Glück brauch ich das keinem zu erzählen, hab ich gedacht. Aber manchmal hab ich mir versucht vorzustellen, wie es wohl so wär im Heim.

Jedenfalls haben sie dann Tante Rosalind ihre ganzen Beatles-Platten unter die Nase gehalten und waren mächtig stolz dadrauf, die wollte aber, glaub ich, gar keine davon hören.»Über das Alter bin ich ja nu schon raus, nech«, hat sie gesagt. Oma hat sich gut mit ihr verstanden,»das is ne feine Frau«, hat sie zu mir gesagt, mit der würde sie endlich mal ordentliches Deutsch reden können, und die würde das gar nicht komisch finden. Ich hab mich bloß gewundert, woher Oma die Westsprache kennt.

Ich glaub, die ist gar nicht so lange geblieben, höchstens zwei Tage oder so, aber jetzt im Nachhinein kommt mir das wie ein endlos langer Besuch vor, weil wir alle die ganze Zeit nicht wussten, was wir eigentlich machen sollen, wir konnten ja nun auch nicht mit ihr die Dorfstraße rauf und runter. Thorsten und ich haben MENSCH-ÄRGER-DICH-NICHT mit ihr gespielt und sie hat uns gefragt, wann wir Geburtstag haben und Mutti und Vati. Mutti hat dann zum Schluss zu ihr gesagt, dass sie uns auf keinen Fall Pakete schicken soll, aber die hat das wohl irgendwie falsch verstanden.

Und so war dann das Ende vom Lied, dass kurz vor Muttis Geburtstag ein ganz flaches Paket ankam, von Tante Rosalind, und dadrin war eine Beatles-Platte, ich glaub, Help!. Da war das Theater erst groß! Aber was wollten sie machen. Das Dilemma war nur, als Mutti die Platte ganz vorsichtig aus der Hülle genommen hat, ist sie auf einmal in zwei Teile auseinandergefallen. War ja klar, was passiert war, wahrscheinlich hatten die bei der Post irgendein schweres Paket da draufplumpsen lassen, nur dass Mutti jetzt dachte, dass die das extra und mit Absicht und» aus purer Missgunst «gemacht hätten. Die hat total verrückt gespielt, die ganze Zeit rumgeheult, dass mir am Ende auch ganz komisch wurd und ich beinah mitgeheult hätt, dabei war ich ja eigentlich froh, sozusagen. Sie hat sogar versucht, die wieder zusammenzukleben, aber ging natürlich nicht, schon gar nicht mit KITTIFIX. Aber ich seh sie da noch sitzen, ganz steif, mit den Ellbogen schräg nach außen, und die beiden Plattenteile aneinandergepresst, und man durfte nichts sagen. Ich musste mir so das Lachen verkneifen, besonders als nach einer Stunde Rumsitzen und Zusammenpressen das Ding dann wieder auseinandergeklappt ist, als sie losgelassen hat! Hat die geheult, vor Wut!