Выбрать главу

Sprich: die letzte Woche. Und solcherart nichtsnutzige Gedanken kommen mir stets freitags, wenn ich über der Predigt brüte wie ein altes Huhn, närrisch hoffend, es möge doch einmal etwas anderes herauskommen als gelbe Küken; der Sonnabend beschäftigt mich mit haushälterischen Erledigungen und kleinen Arbeiten, und Sonntag — ist eben der Sonntag. Der Freitag ist ein erbärmlicher Tag. Unser Herr starb an einem Freitag, und zur Erinnerung daran ist Karfreitag immer Mistwetter, immer schon gewesen, darauf würden sie hier alle einen Schwur ablegen. Und der da starb am Kreuze hatte sich noch nicht mal etwas vorzuwerfen. Er brauchte keiner von den Guten sein. Da steh’k doch drüber, hätte er locker sagen können, sagte er aber nicht, eben darum, quod erat demonstrandum.

Und unsereins muss sich selber martern. War es denn gut, in der im gar trockenen Munde geführten Rede zu Anna Hanskes Grablegung gar Etliches zu bezeugen von ihrem Leben, das mir nur aus Peter Hanskes Bericht bekannt geworden war, aber still zu schweigen von dem, was zwischen seinen Worten klar wie Tränen hervorgeglitzert hatte und hervorgelockt worden war vom scharfen beständigen Winde der gemeindlichen Rede? War es denn gut, mich darob zu besänftigen damit, dies im Sinne Ingrid Hanskes vollzogen zu haben, und mich alsdann dem Verständnis, mit etwas anderem ihr Gutes getan zu haben, widersetzte, als sie mir, während ich ihr ein Stück vom Kuchen reichte, zuraunte:»Das war man eine gute Idee, Herr Pastor«, und ich nur milde lächelte wie einer, der getan hat, was sich nun einmal geziemte?

War es denn gut, dass ich wiederholten Males mit meinen Schritten einen Bogen beschrieb um Hartmut Wachlowskis Ehegattin, als ich ihrer ansichtig wurde von ferne auf ihrem Hofe und also den Umweg an der Straße entlang nahm und mir in nämlicher feiger Weise zuredete, dies geschähe, sie nicht zu beschämen mit einer im Grunde wohl entbehrlichen Erinnerung? Und hatte ich nicht obendrein am Anfang den Versuch unternommen, mir vorzuführen, dass dies Weib womöglich gar nicht selbiges sei, dass ich vor langen Jahren in den Gemächern meines Onkels selig einmal mit erschreckten, wiewohl ungenierten Augen angetroffen?

Und schließlich, war es denn gut, dass ich nach meinem Mittagsmahle am vergangenen Sonntage aus dem Fenster sah und meinen alten Nachbarn Gniedeck gewahrte, wie er mit seinen schwachen Händen die Axt schwang in seinem Garten mit großer Mühe und einen Haufen Holz spaltete und ich nicht herauseilte, ihm zu helfen, und bei mir dachte, es wäre der Tag des Herrn, an dem wir unsere Arbeit sollen ruhen lassen und stattdessen nach Greifswald fahren zu Elena?

Und diese sonntäglichen Ausflüge wären ein Quell gar vieler neuer Fragen, die meiner Tüchtigkeit und dem Vorhaben, dem kommenden Sonntage eine erbaulich zu hörende Predigt zu geben, nun sehr entgegenstünden. Was aber ist so Tüchtiges daran, der Gemeinde mit wohlgesetzten Worten über erhabene Dinge in den Ohren zu liegen und nicht allein die geistigen, auch die Kräfte des Körpers zu sammeln, wenn ich später am Tage mich im Laufschritt werde ertüchtigen, solang dies alles nur zu meinem eigenen Wohlbehagen geschieht?

Auch mir ist bekannt die junge Legende von der Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit eines Pastors im Dorfe Bresekow, der sich nicht zu schade war, helfend mit kräftigen Armen und gewichtigen Worten und starkem Glauben anzupacken, als der große Bullenstall lichterloh brannte, und sich den Flammen entgegenwarf und Tier um Tier heraustrieb aus dem Inferno. Und nachher gab man meinem Vorgänger Schnaps und viel Klopfen auf die verräucherte Jacke über der Schulter, und nie, sooft ich seiner gedenke, kann ich anders, als mir diese Jacke als einen im Feuerwinde wehenden Talar vorzustellen, und man nahm ihn endgültig auf als einen Ebenbürtigen und Vorbildlichen, einen Primus inter Pares, in die Gemeinde. Und später ist er fortgegangen und seine Spuren verloren sich in Bresekow und in der Welt, und wenn er nicht gestorben ist, so tut er Gutes noch heute.

Und darauf wurde für das Dorf Bresekow in Ermangelung regelrechter Amtsträger ein Seelsorger mit Namen Arndt angeschafft und samt den Seinen ins Pfarrhaus gesetzt, und siehe, er fand Zulauf unter den verirrten Schäfchen mit nach ihrem Geschmacke gewürzten saftigen Reden, und die Gemeinde blieb unbehelligt von der kirchlichen Autorität, bis man diesem Zustande meinte abhelfen zu müssen, und dann kam ich, ausgerechnet.

ROMY

Sogar das einzige Live-Album hatten sie! Eigentlich bin ich ja froh, nicht zu der Zeit gelebt zu haben, auch wenn ich mir das manchmal ausmale. Die Beatlemania. Ich wäre verrückt geworden. Ich hätte mir einen karierten Minirock über meine zu schmalen Hüften gezogen und mit der Meute gekreischt. Ich hätte mich haltlos in John verliebt, vielleicht sogar in Paul. Ich wäre genauso gewesen wie alle anderen. Oder eben gerade nicht, so wie jetzt, aber auch so wie jetzt nur heimlich. Was für eine Vorstellung: Ich wäre aus Prinzip kein Beatles-Fan geworden! Das wäre sogar noch verrückter gewesen. Manchmal habe ich Angst, für immer unansehnlich und siebzehn zu bleiben.

Und dann das: Letztes Jahr, am Ende der Zehnten, sollten wir in Musik ausnahmsweise mal nicht vorsingen, diese ewige Blamage auf Zensur, bei der es den meisten ja nicht um die Zensur geht, sondern darum, sich möglichst wenig zu blamieren; einige Jungs machten ja, sobald sie irgendwie die Pubertät erreicht hatten, deshalb gleich auf ganz cool, blieben stur auf ihrem Platz hocken und erklärten, lieber die Sechs in Kauf zu nehmen als zu singen, was mich an Polizeiverhöre denken ließ. Nur dass es hier eigentlich kein Geheimnis zu wahren gab, wir wussten ohnehin alle, von früheren Versuchen, denn die meisten waren nicht gleich so konsequent gewesen, was da verheimlicht werden sollte. Somit erntete diese Art von Renitenz auch nicht den vielleicht erhofften Beifall, denn ausgerechnet die jeweils eigenen Kumpels sahen sich um ihr Vergnügen gebracht und setzten dem Singe-verweigerer so lange zu — »eh, sing doch, nu sing doch, Ronny/ Martin/Christian«—, bis Herr Stiehl sagte,»sing doch selber, Christian/Martin/Ronny«.

Herr Stiehl ist unleugbar nicht gerade der Größte und nebenbei auch nicht der Hellste, generell wird er seit mehreren Generationen, und es sollte mich nicht wundern, wenn sogar einige Lehrer darunter wären, nur entweder» Stengel «oder» Rumpelstiehlzchen «genannt. Ein Kuriosum, an das sich aber alle bereits bis zum Überdruss gewöhnt haben, ist, dass er stets» Schtiel «sagt, wenn er von ›Stil‹ spricht, entweder merkt er es einfach nicht, oder er macht es extra, weil er das am Ende überaus witzig findet, beides ist ihm zuzutrauen. Tatsächlich scheint er aber auch eine besondere Vorliebe für das Wort zu haben; wenn ihn zum Beispiel der Tonfall eines Schülers den nötigen Respekt vermissen lässt, sagt er:»Nicht in dem Schtiel, mein Freund!«Es geht die Legende, dass ein Schüler mal in einer Arbeit das Wort ›Stil‹ konsequent durch das Wort ›Stengel‹ ersetzt haben solclass="underline" Der Stengel dieser Sinfonie …

Unser Rumpelstiehlzchen nun hatte ein bisschen gebraucht, dann aber erkannt, dass sich mit dieser einfachen Replik,»sing doch selber«, die Disziplin in der Klasse schlagartig wiederherstellen ließ. Seitdem setzte er dieses erstaunlicherweise immer wieder effektive Mittel ständig und völlig unvariiert ein, denn auch die Jungs wichen kein bisschen von ihrem Verhaltensmuster ab, aber sie sind bekanntlich auch nicht die Hellsten, und schon gar nicht die Größten, noch nicht mal für ihre mühsam ergatterten Freundinnen, die sich nervös nach jedem Autotürklappen auf dem Schulparkplatz umdrehen, weil eine andere vielleicht einen besseren Fang gemacht hat und also jetzt einem Auto entsteigen kann, mit dem sie von einem Typen-mit-Auto vorgefahren wurde. Nur ein weiteres Muster. Bis dann mal einer, Ronny, als er von Herrn Stiehl wieder mal zum Vorsingen aufgefordert wurde, zu eben Herrn Stiehl sagte:»SDS!«, worauf Herr Stiehl, nicht der Hellste, ihn verständnislos anguckte, worauf Ronny sich zur ausführlicheren Variante aufschwang:»Sing doch selber!«