Sprach der Bauer Bölschow zu seinem Weibe, als der Pastor vorüberschritt an ihrem rostigen Zaune und beide Eheleute ihm einen guten Tag entboten hatten, es heißet in ihrer Sprache aber: ›Tach‹ und wird für Personen gehobenen Standes ehrerheischend in die Länge gezogen zu: ›Ta-ach‹, sprach also Bölschow laut und vernehmlich:»Dän Lackoopen warn’w all stutzen, de sull sick man bloot nich upspääln, dän warn’w noch grugen mooken, Arndt ward em all denn Marsch bloosen!«
Der Pastor verfügte sich darauf seines Weges und kommenden Sonntages in seine Kirche, allwo er von der Kanzel herab gewahrte das Ehepaar Bölschow, einträchtig beieinander sitzend in der zweiten Reihe rechter Hand, denn es war die Einsegnung ihrer Enkelin. Ein gar liebliches Mädchen und so klug, dass es allezeit Nutzen aus seinem Liebreiz zu ziehen weiß, allein doch wieder nicht gar so klug, als den Nutzen nicht teils mit dem Schaden zu verwechseln. Und nur der Güte unseres Herrn ist es zu verdanken, dass diesem Schaden noch kein sichtbares Zeugnis ward.
Und als nun die Reihe an dem Lied mit der Nummer 341 des Evangelischen Kirchengesangbuches war, siehe, da ward zur Feier des Tages dem Hirten des Herrn gegeben zu reden in Zungen, und er sprach:»Nu wulln’w ma eis dieset Leid singen un dän Lackoopen vun Düüwel dän Marsch bloosen, dei sull sick man bloot nich upspääln. Ji mööten juch nich grugen mooken looten vun dääm, wi künn’n em tiedig nauch stutzen!«
Und die Gemeinde hob an zu singen, denn es war ein leidlich bekanntes Lied, jedoch des Pastors Blick fiel auch auf jene, die untereinander aufgebrachte Worte flüsterten, er aber betrachtete sie wohlgefällig. GAR HEIMLICH FÜHRT ER SEIN GEWALT,/ ER GING IN MEINER ARMEN G’STALT/DEN TEUFEL WOLLT ER FANGEN.
An die Tür der kleinen Kirche begab nach dem Gottesdienste der Pastor sich, um zu verabschieden seine Schäfchen. Unter all ihnen aber konnte er nicht mehr finden die Eheleute Bölschow, und auch die nachfolgenden Sonntage musste er ihrer vergeblich harren. Bei sich aber dachte er: das Wort des Herrn, durch ihn verkündet, habe sie so sehr erbauet, dass sie fürderhin keiner weiteren Stärkung bedürften. Und er dankte Gott für alles, was Er an ihm getan hatte.
In der Wirklichkeit war es anders. Ich bin nicht spazierengegangen, und die Gemeinde hat nicht gesungen. Gesungen habe ich, und ich bin gelaufen, gejoggt, wozu sie hier nicht anders als ›geschockt‹ sagen mögen, was mich ihren kreativen Umgang mit der Sprache nur neuerlich bewundern lässt, schaffen sie es doch damit, Ursache und Wirkung in einem Worte zu vereinigen.
Vergib mir, mein Gott, ich kann nicht anders. Meine Nächstenliebe ist mein Urteil, und umgekehrt. Und auch den sachten Ärger über Anna Hanskes Ableben sieh mir nach, der aus dem eigennützigen Trachten nach meinem Vorteil erwuchs, denn sehr zu meinem Vorteil wäre es gewesen, hätte ich noch ein wenig länger am Beispiel ihres Lebens lernen dürfen. UND HÜT DICH VOR DER MENSCHEN SATZ,/DAVON VERDIRBT DER EDLE SCHATZ:/ DAS LASS ICH DIR ZUR LETZE.
Doch dann gab sie keine Antwort, an dem Morgen, sie lag noch in ihrem hohen, kurzen, schon lang wohl nur noch einseitig beschlafenen Bett, und ihr Tod war die letzte Lektion für mich. Sie hatte wie immer die Tür nicht verschlossen, der Tisch in der Küche war für das Frühstück gedeckt, als wollte sie sagen, halb so wild, komm rein und iss erst mal einen Haps. Niemand hat ihr wohl den Tod zugetraut, aber ich glaube, sie hat gewusst, mit wem sie es da zu tun hat, und dass es nicht lohnt, seinetwegen einen Aufwand zu betreiben. Mitnehmen wollen hatte ich sie zum Arzt in die Stadt, sie hatte über diesen Termin gelacht und mit dem Kopf geschüttelt und endlich recht behalten. Nun nahm sie mich mit. Die Sonne schien auf ihre Schulter, so dass man, als man sie anfasste und nicht weckte, nicht einmal erschrecken musste ob der Kälte des letzten Schlafes. Hoffährtig mag es sein, aber glauben muss ich es doch, dass ich der Einzige wohl war, der ein wenig um sie weinte. Ach, verzeih, Peter Hanske, wovon aber war dein Gesicht so rot und bildete einen so hehren Kontrast zum fernen Weiß deiner Schwester?
HARTMUT
Die war da. Die war wirklich da. Hat Britta erzählt, die mit Mutter hingegangen ist, komisch eigentlich, weil ja beide anscheinend gar nicht hinwollten, Britta hat immerzu rumgestöhnt, dass sie nichts zum Anziehen hat, und denn die ganzen Leute, sieht ja aus, als ob man auch nur gaffen will, und außerdem, ne, was denn die alte Hanske sie angeht, und Mutter hat nur gesagt:»Na, doo mööten wi woohl.«
Als ich gesagt hab:»Na, sie war ja wohl deine Freundin, oder nich, ihr wart doch früher und so«, hat sie mich bloß so von oben herab angeguckt und gesagt:»Jou-o, Hartmut, du weitst dat nu wedder allet bääder, nä. «Gnatzig war sie, hab ich genau gemerkt, weil sie da nu hinmuss, und dann trau ich mich auch noch, ich, der verlorene Sohn, sie da an was zu erinnern.
Sie spricht immer Platt mit mir, wenn sie schlechte Laune hat, also so gut wie nur. Hab ich schon rausgekriegt, dass das so eine Art Trotz bei ihr ist, ne, sone Macke. Die denkt nämlich, wenn sie mit nem Lehrer Plattdeutsch redet, fühlt der sich irgendwie dadurch beleidigt, weil Platt ja nur für kleine Leute ist. Weshalb sie das auch sprechen darf, weil sie ja zu den kleinen Leuten gehört,»klein, aber nich doof«, und deshalb kann sie auch» sääh gut«, wie sie sagt, Hochdeutsch, aber das hebt sie sich für die etwas Besseren auf, und für sich selber. Echt wahr, die spricht Hochdeutsch mit sich selber; ich hab sie mal belauscht, da hat sie so komische Sachen gesagt wie:»Warum hast du das bloß gemacht?«, und ich war erst nicht sicher, ob sie da mit irgendwem quatscht oder was, aber dann hab ich gemerkt, dass sie da hinten alleine ist in ihrer Bude und da irgendwie mit sich selber zu Gange. Na ja, was heißt Bude, war vielleicht früher mal bloß die Veranda, aber wir haben das alles umgebaut, die Haustür ist ja jetzt auf der andern Seite, und kein Mensch braucht heute noch ne Veranda, und da haben wir schön Wärmedämmung und neue Fenster und Tapeten und alles gemacht, nicht dass du denkst. Die hats schon gut jetzt, die Mutter Wachlowski.
Montag Mittag ging das Theater dann los. Ich war grad aus der Schule da und den Kopf noch voll von diesen Itschies, ich könnt die alle. Alle zusammen in nen Sack stecken und ma ordentlich draufhaun. Manchmal bin ich ja dafür, dass die Prügelstrafe wieder eingeführt wird, du kriegst denen ja nix mehr rein in ihren Kopp. Achte Klasse, Mann, und vom kleinen Einmaleins noch nie was gehört! Und denn sollen die auch noch ne Gleichung lösen, das is aber nu zu viel verlangt, Herr Lehrer. Und kaum hab ich einen Fuß in mein trautes Heim gesetzt, und mit ordentlich Knast inne Röhren, sagt doch Britta, sagt die doch zu mir:»Hartmut, du musst noch ma los, Blumen besorgen, wir brauchen doch noch Blumen für die Beerdigung.«
«Was denn für Blumen«, sag ich,»is doch keine Hochzeit«. Aber weißt ja, wie die ist, die lässt einem keine Ruhe, die kann einem vielleicht aufn Nerven rumtrampeln. Ein ganz tückisches Stück Weib ist das, weil, man sieht ihr das ja nicht an, ich hab ihr das ja auch nicht angesehen, damals, du siehst die ja nur so von außen, und denn denkste, Mannomann, was Bessres kann dir gar nicht passieren. Denken doch alle, oder, dass der Hartmut da aber nen Sechser im Lotto gemacht hat, wa? Na ja, stimmt schon, sieht immer noch zehn Jahre jünger aus, als sie ist, Britta, ne, sagen doch immer alle. Aber manchmal, echt.
War aber zum Schießen, weil ich genau gemerkt hab, dass Mutter nu nicht weiß, ob sie mit ihrer vermaledeiten Schwiegertochter in eine Kerbe hauen soll oder nicht, aber da war wohl mal wieder ich dran, und Mutter fängt auch noch an:»Du hoolst jetz sofort paar weiße Chrisantem ausse Stadt!«
Hatse nu nämlich auch vor Schreck nicht gewusst, ob sie Hoch oder Platt sprechen soll, wahrscheinlich wegen Britta, die meckert sie zwar auch immer auf Platt an, und Britta immer:»Zum Glück versteh ich dich ja nicht«, aber gleichzeitig will Mutter nu vor ihr ja auch nicht als» un-ge-bil-det «dastehn. Und nu hat Britta Oberwasser und sagt:»Los, nu mach schon, wir haben nich ewig Zeit«, und ich also los, was willst denn machen.