Aber dass ich auch n bisschen misstrauisch war, wie sie nu alle auf einmal um mich rumscharwenzelt sind, das war schon richtig, denk ich, und so bin ich nunmal, so war ich schon immer, schon als kleines Mädchen. Ich konnt das nich glauben, wenn unser Pfarrer mir was geschenkt hat, einen roten Apfel aus seinem Garten oder einen Keks, dass der das einfach so macht, ich dacht immer, das reicht nich, wenn ich denn danke sag, der will noch irgendwas andres von mir, dass ich jetzt ganz artig sein muss oder in der Messe ganz stillsitzen muss. Und meine Mutter hat» danke, Herr Pfarrer «gesagt und mit dem Kopf genickt, und wenn er dann um die Ecke war, hat sie mir den Apfel aus der Hand genommen und gesagt,»so, nich dat du nu glööwst, dat dat allet för di is, do kricht nu jeder wat von aww«, und denn hat sie den Apfel in Viertel geschnitten und bloß grad so das Kerngehäuse raus, dass die Schlusen vonne Kerne da noch drin waren, und die mussten mitgegessen werden und wehe, man hat die ausgespuckt. Und denn kriegte Karl ein Stück und ich ein Stück und Heini ein Stück, Lisbeth war ja noch ein Säugling und Reni noch gar nich auf der Welt, und wenn mein Vater sein Stück nich wollte, dann hat Karl das gekriegt, weil meine Mutter denn immer gesagt hat, sie macht sich nich so viel aus Äpfel. Und ich hab mir auch nich viel aus Äpfel gemacht, aber essen musst ich mein Stück trotzdem.
Bei dir, Anna, bei dir musst ich nie was essen, was ich nich mocht, und das hat mir gleich gefallen. Gleich am ersten Tag, wie du das erste Mal nach der Schule meine Hand genommen und gesagt hast,»So!«, da hast du mich gleich mit zu dir nach Hause zum Mittagessen genommen, und ich hab da gar nich groß drüber nachgedacht und bin dir einfach hinterher in eure gute Stube, denn bei euch wurd gar nich in der Küche gegessen. Und wie deine Mutter da so stand in ihrem schönen Kleid, so ein schönes Kleid, obwohl sie schwanger war, und ich kannte das ja bloß von meiner Mutter, dass sie denn immer die ollen Kittel angezogen hat, wenn der Bauch in ihre Kleider nich mehr reinging, und die waren nu lange nich so schön wie dieses gelbe Umstandskleid von deine Mutter, also, das vergess ich mein Lebtag nich, und wie sie sich auch gar nich gewundert hat, dass ich da nu dabei war.»Na, denn kommt mal rein«, hat sie bloß gesagt, und da hab ich gemerkt, dass ihr auch zu Hause» ordentlich «sprecht, wie unser Lehrer Herr Pittelkow uns das beibringen wollt, und da dacht ich so, kein Wunder, dass du das so gut kannst, Anna, dass unsereiner da nich mithalten kann. Aber ab da wollt ich das dann lernen, so richtig, und das ganze Mittagessen über hab ich überlegt, wie ich dich das nu fragen kann, ob du mir das beibringst, das ordentliche Sprechen.
Und es gab Königsberger Klopse, das weiß ich noch, als wär das gestern gewesen, und das war an einem Freitag, und das durft ich meinen Eltern nich erzählen, weil die ja dachten, dass man freitags kein Fleisch essen darf, dabei gabs bei uns sowieso höchstens Sonntag mal ein Huhn oder ein Karnickel, meistens Karnickel, und das mocht ich nich, weil das immer wie eine Katze aussah, wie das da so lag aufm Tisch. Und ich hab gesehn, wie du die Kapern rausgepükert und mit der Gabel an den Rand geschoben hast, und so hab ich das denn auch gemacht und keiner hat was gesagt, aber wie ich da so auf dem Klops rumkaute, hab ich mir gedacht, dass ich das mit dem Hochdeutsch, wie Herr Pittelkow das nannte, dass ich das auch nich zu Hause erzähl.
Und denn gab das noch Nachtisch, Anna, ich wurd ja nich wieder, und den hab ich mir denn auch noch hintergeschoben, obwohl ich schon nich mehr konnt, aber das hat alles so gut geschmeckt bei euch, und ich kannt das ja sonst nich so. Und denn bin ich nach Hause, immer die Landstraße lang nach Putlitz, und mir war, als müsst ich das nu alles gleich wieder ausspucken, so stramm war mir der Magen, aber ich dacht, das darfst du nich, Maria Behn, das darfst du nich, behalt das bloß alles schön drinne.
Und wir wohnten gleich an der Straße, gleich da, wo das reingeht nach Putlitz, und ich sah meine Mutter schon von weitem ausm Fenster hängen, und da musst ich nu immer drauf zu.»Wo kümmst du denn nu all her? Weitst du nich, wo du tohus büst?«Na, da wusst ichs denn wieder. Und wie ich reinkomm, sagt sie, dass es nu zur Strafe kein Mittag mehr gibt, dass sie das nu schon Karl gegeben hätt. Und da wollt ich ja erst nich so richtig raus mit der Sprache, aber wie sie mich denn noch mal fragt, wo ich gewesen bin, hab ich denn gesagt, dass ich bei Anna Hanske war, weil sie mich mitgenommen hat, und außerdem, dass ich da schon gegessen hab.
«Möötst du di nu all bi anner Lüü dörchfuttern? Krist hier nich nauch?«, so was hab ich mir denn alles von meine Mutter anhören können, weil sie das nu wohl auch gewurmt hat, dass das nu gar keine Strafe für mich war, dass ich kein Mittag mehr krieg, gab aber Weiße-Bohnen-Eintopf und war ja schon schlimm genug, dass denn Karl und Heini wieder die ganze Stube mit ihre — na, Blähungen verpesten, und ich musst da ja noch mit Heini in ein Bett schlafen, und nur eine Decke, und er hatte so spitzige Kniee, und was hab ich immer gefroren am Rücken, weil die Decke so knapp war.
Denn hat sie sich aber wohl gedacht, meine Mutter, dass das nu gar nich so verkehrt is, und hat gesagt:»Öwwer denn bedank di nächstens gefällichst uch un segg de Fru Hanske n schönen Gruß, ick bring ehr denn ma eis wat vörbi. «Aber das konnt ich mir nu gar nich vorstellen, dass meine Mutter in ihre Kittelschürze da bei euch auf euer Gehöft marschiert, und ich hab nächstes Mal auch nix gesagt, und meine Mutter is auch nie zu euch hin.
Na, und irgendwann war das denn ja so weit, dass ich gar nich mehr mittags nach Hause bin, sondern immer bei dir gegessen hab, und wenn schlechtes Wetter war, durften wir sogar bei euch in der Stube bleiben oder bei dir in dein Zimmer, aber sonst sind wir immer raus und immer im Dorf umher und überall rumgestrolcht, und da kam das denn, dass die Leute» Annamaria «zu uns gesagt haben, zusammen,»kiek eis, doo kümmt Annamaria allwedder«, wenn sie uns gesehn haben. Und denn war das auch meistens schon abends, wenn ich gesagt hab,»so, nu muss ich aber, Anna«, und du hast mich denn immer noch den halben Weg gebracht, und mit dem Hochdeutsch ging das auch immer besser.
«Na Frollein«, hat mein Vater zu Hause gesagt,»du müchst di woohl goor nich mihr schuppen, wat? Nu kümm eis mit und help mi mitte Heuhners«, und denn musst ich noch den Hühnerstall mit meinem Vater ausmisten, und die Schulaufgaben waren auch noch nich fertig, und meistens wurden die das auch nich mehr, und denn bin ich morgens so früh los, wies nur ging, und hab dich abgeholt und ruckzuck alles von dir abgeschrieben, und du hast gesagt, dass ich das nich nur so abschreiben kann, weil Herr Pittelkow das sonst doch merkt, aber ich war so flusig, ich hab sogar noch beim Abschreiben Fehler gemacht, und Herr Pittelkow hat das nich gemerkt. Du warst sowieso besser als ich, aber bei Herrn Pittelkow hatten wir das beide nich einfach, der war ja son ganz Forscher, und wie denn das erst mit die Hitlerei losging, da war der ja obenauf.
Und denn bin ich einen Nachmittag zu dir hin, das war ein Sonnabend, und ich hab mich so gefreut, weil ich sonnabends sonst immer zu Hause bleiben musst und meine Mutter beim Waschen helfen, ich musst immer aufn Hocker klettern und dann mit so eine Holzlatte die Wäsche in dem großen Kessel umrühren, und das war schwer, und immer der heiße Dampf mir ins Gesicht. Ich weiß nich mehr, wieso ich an dem Tag keine Wäsche machen musst, aber dass ich gleich nach dem Mittag zu dir bin durch den hohen Schnee, das weiß ich noch. Das war nich lang nach Weihnachten, ich hatte noch Nüsse übrig vom bunten Teller und zwei Plätzchen, und die wollt ich dir mitbringen, aber eins hab ich schon unterwegs gegessen. Und wie ich denn endlich bei euch war, war ich ganz nassgeschwitzt von dem langen Weg, und wie ich da immer so durch die Schneewehen durch musst die ganze Zeit, und meine Mutter hat noch gesagt:»Du büst woohl nich gescheit! Bi dat Wääder!«, aber ich bin trotzdem los. Und ich weiß nich, wieso, Anna, aber ich hatt gleich son komisches Gefühl, wie ich da an eure Tür gekloppt hab, und denn kam erst keiner, aber ich hab ja Licht gesehn bei euch, und ich hab gekloppt und gekloppt und war schon bald am Heulen, weil mir ja auch so kalt war, und der nasse Rücken und die kratzige Wolle, und denn hast du endlich die Tür aufgemacht mit ein ganz verweintes Gesicht. Und ich hab dir die Nüsse und das eine Plätzchen hingehalten, aber du hast das gar nich angeguckt, bloß mir so ganz grade ins Gesicht, und hast gesagt:»Meine Mutter stirbt.«