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Ich hab dich angestarrt und war nu ganz vonne Socken und hab bloß gefragt:»Warum denn, Anna, woher weißt du denn das?«, weil ich das gar nich glauben konnt, die schöne Frau Hanske, und was wird denn da bloß mit dem Baby in ihrem Bauch? Aber das Baby war auch schon gestorben, am Abend vorher wars losgegangen, mehr als ein Monat zu früh, und wie es rauskam, war das schon ganz blau gewesen und hat keine halbe Stunde gelebt. Und das war ein Junge gewesen, und du wolltst doch immer so gerne einen Bruder. Und deine Mutter hat so geblutet, das ganze Bett voll, hast du gesagt, und ich konnt mir das gar nich vorstellen, ich wusst ja gar nich, wo sie denn nu rausblutet, und dachte wirklich, sie wär vielleicht geplatzt von der Anstrengung, weil meine Mutter denn ja auch immer so geschrien hat dabei. Und deine Mutter war gleich nach Anklam gekommen, ins Krankenhaus, und ich hab zu dir gesagt, dass du doch so was nich sagen darfst, dass sie nu stirbt.

«Wir können heute nich spielen, Maria«, hast du bloß noch gesagt, und ich hab genickt und bin wieder los.

Den ganzen Weg über hab ich gedacht, ich muss beten, ich muss für deine Mutter beten, dass die nich stirbt, aber das hat so geschneit, das wurd immer schlimmer, und mir war schon angst und bange, dass ich nu gar nich mehr nach Hause komm, dass ich nu auch sterben muss, und ich hab gebetet,»lieber Gott, lass mich nach Hause kommen, dann werd ich auch ein ganz langes Gebet für Frau Hanske sprechen, aber lass mich man erst nach Hause kommen«, und ich dacht, damit der liebe Gott auch sieht, dass ich das ernst mein, hab ich immerzu gesagt,»lass Frau Hanske nich sterben, lass Frau Hanske nich sterben«, und wie ich denn doch endlich bei unserm Haus war, da war mein Schal ganz gefroren vom Weinen und vom Schnee, der is mir ja nur so ins Gesicht. Und was hat meine Mutter geschimpft mit mir, aber ich konnt gar nix mehr sagen, weil meine Lippen ganz steif waren, und der Frost brannte in den Backen.

Und denn kamen auch noch Heini und Karl von oben runtergepoltert, und mein Vater kam vom Stall rein und denn ging mir alles durcheinander, ich hab gar nich mehr gehört, was die nu alle zu sagen hatten, bloß dass Heini geweint hat, das hab ich noch gesehn, und da hab ich ihm das Plätzchen gegeben, das war schon ganz durchgeweicht. Und mein Vater hat mich hochgetragen, und meine Mutter hat mir die nassen Sachen ausgepellt und mich gleich ins Bett gesteckt und mir noch die Wärmflasche gebracht, aber half alles nix. Nächsten Tag war ich krank. Und ich hatte so hohes Fieber, dass sie schon dachten, das wär eine Lungenentzündung, und schon fast den Doktor holen wollten, aber denn haben sie mich doch wieder alleine hingekriegt mit Wadenwickel und Hühnersuppe, und damit ich nich erst anfang, mich dadran zu gewöhnen, an das» Faulenzen«, musst ich eine Woche später wieder in die Schule, und ich konnt mich kaum auffe Beine halten und bin ganz komisch nach Bresekow getorkelt. Aber ich hab immer an dich denken müssen, Anna, wie ich da so lag, und was denn nu mit deine Mutter wär, und dass dir das viel schlechter geht. Und als ich in die Schulstube komm, warst du schon da und hattest ein schwarzes Kleid an und hast gesagt:»Maria! Wo warst du denn bloß?«

Und da hab ich gesehn, dass du recht gehabt hattest, mit deine Mutter. Aber da drüber hast du gar nix mehr gesagt, außer einmal, viel später, wo du mich gefragt hast, ob ich mir das Grab angucken will. Ich wollte gar nich so richtig, bin denn aber trotzdem mit dir mit aufn Friedhof, und da hatten sie schon alles schön bepflanzt und geharkt, und die Sonne schien so schön auf die Blumen, und ich hab mir vorgestellt, wie sie deine Mutter in ihrem schönen gelben Kleid begraben haben, und einen Grabstein hat sie auch schon gehabt, den gibts nu schon lange nich mehr, aber ich weiß noch genau, was da draufstand, den hab ich mir immer wieder angeguckt, bis ich das auswendig konnte: Dorothea Hanske geborene Wilders Achtzehnter Neunter achtzehnhundertneunundneunzig bis Neunter Erster neunzehnhundertdreiunddreißig, und dann noch so ein Schnörkel da drunter.

Und ihre Mutter, was ja deine Oma gewesen war, die war eine geborene Finckelmann gewesen, von den reichen Finckelmanns aus Anklam, die das große MODENGESCHÄFT FÜR DAMEN UND HERREN gleich neben KARSTADT hatten und die dann auf dem Judenfriedhof begraben worden war und nich neben ihrem Mann auf dem Alten Friedhof, weil ihre Schwester das so wollte. Das hast du mir alles erzählt, und siehst du, ich weiß das noch. Und deine Mutter is da manchmal hin mit Blumen zum Judenfriedhof, aber nich oft, weil sie sich mit ihrer Mutter verzankt hatte, als sie den Hanske, deinen Vater, geheiratet hat, obwohl ihre Mutter selber von zu Hause ausgerissen war mit deinem Opa, und lieber is sie zu ihrem Vater auf den Alten Friedhof. Und nu konnt sie sein Grab nich mehr pflegen und konnt nich mehr zu ihre Mutters Grab, na, und das war ja vielleicht auch besser so. Und dass da denn nie einer nach gefragt hat, Anna, da hattest du ganz schön Glück.

Na, das heißt, gefragt hat wohl schon einer, das war ja noch im selben Jahr, glaub ich, wie da einer ankam, so ein Offizieller, und durchs ganze Dorf is und bei jedem an die Tür gekloppt hat und gesagt hat, das wär nu wegen der Volkszählung, und denn wurd für jeden so ein Zettel ausgefüllt, wann man geboren is und was von Beruf und welchen Glauben, und später hat denn mein Vater auch so einen Ausweis gekriegt, wo alles über ihn drinstand, sogar seine Fingerabdrücke warn da drin, das hat er uns gezeigt, aber nur so auf Abstand, anfassen durft den keiner, den Ausweis. Und ich hab dich gefragt, ob dein Vater auch so einen gekriegt hat, und du hast gesagt, nein. Ich hab mich erst nich getraut zu fragen, wieso nich, ich dacht, vielleicht hätt er was ausgefressen, und da war ich stolz, dass mein Vater aber nu so einen Ausweis gekriegt hat, wenn den nich jeder kriegt. Aber da hast du gesagt, dass es wegen seinem Auge is, weil er ja vom Krieg her auf einem Auge blind war, und denn hast du noch gesagt, dass er gesagt hat, dass er da auch ganz froh drüber wär, dass er keine von diese Kennkarten, so hieß das ja nämlich, dass er die nich gekriegt hat, weil mit den Fingerabdrücken, das wär wie bei einem Verbrecher, und er wär ja schließlich kein Verbrecher, auch wenn er im Krieg Leute totgeschossen hätt, aber das würd ja wohl nich zählen. Da hab ichs aber mit der Angst gekriegt und ganz laut gesagt:»Mein Vater is aber auch kein Verbrecher, und der war auch gar nich im Krieg«, und da hast du bloß gesagt:»Na, weil er noch zu lütt war, und da muss er jetzt vielleicht«, denn dafür wär der Ausweis, hat dein Vater gesagt. Das konnt ich gar nich verstehn, weil ja gar kein Krieg war, und wie du gesagt hast,»zu lütt«, konnt ich mir das auch gar nich vorstellen, weil mein Vater son Spacker und Langer war und es mir nu gar nich in’n Kopp wollt, dass er ja auch mal ein lütter Bengel gewesen war. Und da musst ich auf einmal lachen, weil ich mir meinen Vater vorgestellt hab, so wie er da war, nur kleiner, und wie denn einer zu ihm gesagt hat:»Dootau büst noch tau lütt«, wie er das zu mir gesagt hat, als ich einmal mit seinem Fahrrad fahren wollt, und da hatt ich auch eine Woche für gebraucht, bis ich mich getraut hatte, ihn das zu fragen, aber bloß Karl durft das manchmal.