Aber dann denk ich auf einmal, wieso ist die denn schon so früh zu Hause, ist doch Montag, und ich frag sie, warum, und sie sagt:»Ich hab die in der letzten Stunde ne Klassenarbeit schreiben lassen, die junge Tetzke, die Referendarin, die hat das beaufsichtigt, da konnt ich schon nach Hause, wir müssen doch nachher gleich los.«
«Und wie bist du ohne Auto nach Hause gekommen?«, frag ich, weil der Opel ja in der Werkstatt ist, und da sagt sie doch glatt:»Rolf hat mich mitgenommen.«
«Ach, der hatte wohl auch schon Feierabend oder was«, sag ich, und sie:»Ja, die Fünfte hatte Wandertag, da musst er heut ›keinen auf sportlich machen‹, wie er sagt, und konnte schon los.«
«Und dich gleich mitnehmen, oder wie?«›Sportlich‹!
«Ja, war doch praktisch.«
«Na so was von praktisch, wa!«Ich glaub, ich spinn.»Na, is ja nix Neues!«
«Jetzt hör aber ma auf, Hartmut«, sagt sie,»ich glaub, du spinnst, und das is nu wirklich nix Neues! Jetzt mach ma hinter!«
Ich also los in die Stadt und diese beschissenen Blumen gekauft von meinem beschissenen Geld, und wie ich zurückkomm, seh ich Ella, die grad vom Bus kommt, und ich hupe, aber die geht einfach weiter, also fahr ich auch weiter. Als sie reinkommt, sag ich:»Na, wie war die Schule, nich so doll, wa?«, aber glaubste, du kriegst ne Antwort?
Mutter und Britta sitzen da immer noch rum und schlürfen Kaffee, zur Stärkung, sagt Britta, als ob irgendeine von denen wegsacken könnte, glauben die doch selber nicht, am allerwenigsten Mutter. Klucken da in ihren unbequemen schwarzen Klamotten, wie zwei fette schwarze Krähen, und Ella sagt doch glatt:»Wie seht ihr denn aus?«
Ich hätt ja fast gelacht. Aber das sagt nu grade die Richtige.»Und wie siehst du aus?«, sag ich,»guck dich doch ma an, in dei’m ewigen schwarzen Pullover, der stinkt doch bestimmt schon!«
«Hartmut!«, sagt Britta.
«Brauchst mir ja nich zu nahe zu kommen!«, sagt Ella, und mir wär wieder fast die Hand ausgerutscht.
«Elisabeth!«, sagt Britta.
«Fällt dir nix andres ein?«, sag ich.»Die weiß ja wohl, wie se heißt, und ich auch.«
«Wir gehn jetz zur Beerdigung von Frau Hanske, willst du mitkommen?«
«Nee!«, sagt Ella.
Und dann kommen sie nachher zurück, und Britta sagt:»Gab guten Kuchen«, und dann sagt sie:»Weißt du, wer da war?«
Ich sag:»Nee, will ich auch gar nich wissen«, und sie:»Na, die Tochter! Ingrid, so heißt die doch, oder? Mitsamt Familie!«
ELLA
Was ist das nun wieder für einer? Guckt mich an und dann weg und dann wieder an. Stand schon da, als ich angekommen bin, hat mir zugenickt. Mach mich bloß nicht an, hab ich gedacht, aber ich glaub, der ist harmlos. Ziemlich blass, ziemliche Schlafzimmeraugen, keiner von der Elpe. Zu fein dafür, sagen wir maclass="underline" gepflegt. Das ist ja echt ne Ausnahme hier, ne Seltenheit, na ja, ungefähr so, als würd einer wie Ecki sich bei einem entschuldigen, was der überhaupt nie machen würde. Einmal hat er lieber Pferdeäppel runtergewürgt. Hat ihm nicht grade geschadet. Hat ihm sofort den grenzenlosen Respekt aller Elpe-Typen eingebracht, sogar ein paar von den Älteren haben ihm wie blöd auf die Schulter gekloppt, als es rum war im Dorf. Nur die Weiber wollten nicht mehr mit ihm knutschen, hat anscheinend keine lange durchgehalten. Jetzt ist er der Boss. Arschloch.
«Sorry?«Das kommt aus dem Mund von dem geschniegelten Typen, er sagt auch:»Ich mein, wie bitte?«
Wie bitte? Ach Scheiße, hab ich wohl wieder laut gedacht. Doofe Angewohnheit, passiert mir auch in der Schule ständig, ich merk das gar nicht so, immer erst, wenn die andern schon komisch gucken oder kichern. Ich glaub, ich hab das von Oma, aber die redet inzwischen richtig mit sich selber, was die alle natürlich unmöglich finden,»jetzt verkalkt se«, sagt Mutti immer, aber Vati sagt,»nee, vergiss es, die is zäh wie n oller Truthahn, die überlebt uns noch alle. «Und dann lacht er ganz kurz, vielleicht weil es nicht so aussehen soll, als wenn er das ernst meint, oder weil er sich seine eigene Mutter als Truthahn vorstellt, oder was weiß ich. Manchmal muss ich da mitlachen, weil Omas Hals ja wirklich so truthahnmäßig runterhängt, und ich hasse das, echt, weil Vati einen immer zum Lachen bringt, wenn man grad nicht lachen will, sonst nie. Und deshalb denk ich manchmal, dass es wahrscheinlich gar nicht so verkehrt wär, wenn der olle Truthahn ihn überlebt. Außerdem, wenn seine Mutter so was ist, was ist er denn dann eigentlich?
«Schon gut«, sag ich zu dem Sorry-Typen, dass die neuerdings alle immer ›sorry‹ sagen, wenn denn doch mal ne Entschuldigung fällig ist, oder nur so, aber wie meint der das jetzt eigentlich, ich hör das jedenfalls ständig, sogar von Mutti. Kommt mir zwar ganz schön bescheuert vor, aber ist ja anscheinend cool. Das ist auch so ein Wort. Vati kriegt Ausschlag, sagt er, wenn er das hört. Ich auch, braucht er aber nicht zu wissen. Mutti sagt das trotzdem, sie sagt, es rutscht ihr so raus, weil ihre Schüler das sagen. Glaub ich aber nicht, ich mein, dass es ihr rausrutscht. Die kommt sich nämlich selber ganz schön cool dabei vor.
«Oh«, sagt er, er streckt mir die Hand hin, das soll wohl jetzt sone offizielle Vorstellung werden oder was, kaum macht man den Mund auf, rücken sie einem gleich auf die Pelle. Seine Hand ist ganz warm und weich, fühlt sich unglaublich gut an. Als würde man die eigene noch mal schnell unter die Bettdecke stecken, kurz nach dem Aufstehen.
«Ich heiße Paul, Paul Ishley.«
Krass! Und das morgens um halb sieben an der Bushaltestelle. Eindeutig englischer Akzent, na logisch, der Name, Mann! Ein echter Engländer oder Ami oder was. Ich merk, wie ich ihn anstarr, und wie immer auch noch schön den Mund offen, beweist ja wieder mal herrlich meine Dorftrotteligkeit. Ich guck schnell runter, da sagt er:»Ich komme aus Irland.«
Irland? Wie jetzt? Achso. Er guckt mich an, und wie, der hat ein Talent dafür.»Und du?«
Ich? Oh Gott.»Ich heiße Ella, also Elisabeth — Wachlowski, und ich komme — äh, na aus dem Dorf hier. «Na toll. Ist ja wie im Film. Der Bus, na endlich.
SONJA
«Ja, Renate, ja, mach ich, ne, tschü-üß!«
Mach ich, mach ich, ja, na klar, Sonja macht ja immer, Sonja bäckt einen Kuchen, Sonja bastelt mit den Kindern.»Du kannst doch so gut mit Kindern. «Ja, ja. Ach die Kinder, was können die dafür, und wenn ich es nicht mach … Die denkt sich, ich hab ja Zeit, ich bin ja zu Hause, ich komm ja sonst um vor Langeweile, wenn sie mich nicht anruft und mir Aufgaben zuteilt. Und als braver Christenmensch sagt man ja nicht nein. Nein, Renate, mach ich nicht, du kannst mich mal am Tüffel tuten. Such dir einen andern, die müssen sich nämlich auch nicht alle den lieben langen Tag ihre Ärsche vorm Fernseher plattsitzen.
Jaa, ich guck auch mal ne Talkshow. Aber nicht die blöden, wo es nur um große Busen, kleine Busen geht. Die tun ja alle, als müssten sie gleich sterben, bloß weil die entsprechende Oberweite fehlt, na. Ich hab nun immerhin auch schon vierzig Jahre damit überlebt, oder na ja, also, jetzt nicht vierzig, aber. Manchmal kommt aber auch was Interessantes, zum Beispiel, wenn sich Leute nach soundsoviel Jahren wiedertreffen, und manche keifen sich dann immer noch an. Meistens hab ich das beim Mittagmachen an, und dann kommt Romy von der Schule und sieht mich da auf der Lehne vom Sessel sitzen, wenns grad spannend ist, aber ich setz mich nie richtig hin, muss ja immer mal nach dem Essen gucken. Dann kommt sie rein und trampelt mir den Flur voll und rollt mit den Augen, Mama, was guckst du denn schon wieder für einen Scheiß. Ich glaub, sie hat Angst, dass ihre Mutter dabei langsam, aber sicher verblödet. Sie hat mich mal gefragt, wie ich das aushalte, ob mir da gar nicht komisch wird, wenn diese — Friedhelm würd sagen:»Knallkörper«, wenn die ihr doofes Zeug von sich geben. Nö, hab ich gesagt, ich hab gar nicht genau gewusst, was sie meint. Na, ob mir das nicht irgendwie peinlich wär.