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Aber was soll ich denn machen. Wenn die mich angucken und sagen,»Frau Plötz, ick bezahl nächstes Mal, ehrlich«. Und denn haben sie nächstes Mal wieder nicht die dreißig Pfennig fürn Kaffe. Aber Kaffe muss immer da sein. Und Saft. Und dann wollen sie auch mal Kuchen oder Sandwiches, und da muss ja alles eingekauft werden dafür. Und bezahlen muss ich das erst mal und dann sehen, wie ich mein Geld wieder reinkrieg. Natürlich könnt ich mich hinstellen und sagen, pah, gibts nicht mehr, ihr könnt zu Hause essen und trinken. Aber das ist doch dann auch nix. Dann kommt ja auch keiner mehr, und sie hängen woanders rum und kippen Bier, Bier gibts ja bei mir nicht, und machen Mist, oder ich sitz da mit zwei Hanseln oder ganz alleine rum, denn da sein muss ich ja sowieso. Dann haben sie plötzlich alle was andres vor, aber was, sagen sie mir auch nicht, wenn ich dann beim nächsten Mal frag, na ja, wieso auch. Und dann ist es wieder rappelvoll, und alle wollen sie gleichzeitig was von mir, das ist wie im Kindergarten, das finden die einfach herrlich, wenn sich einer was für sie ausdenkt und sie nicht selber ihren Kopf anstrengen müssen, wie sie ihre stinkende Langeweile loswerden.

Ich wollt ja mal Kindergärtnerin werden. Ich hatte deshalb sogar Konfirmation und Jugendweihe gemacht, weil sie mir eingeredet hatten, ohne Jugendweihe würd das nicht gehen, wär ja auch nicht gegangen, nur dass es dann auch so nichts wurd. Wegen meinem angeblichen Sprachfehler, ich könnte die Zischlaute nicht richtig aussprechen. Komisch, dass das sonst nie einer gemerkt hat. Zwar sagten sie, ich könnte zum Logopäden gehen damit, aber große Hoffnungen haben sie mir nicht gemacht. Die wollten mich einfach nicht. Das Arbeiterkind, und dann noch in der Kirche. Tja, damit waren erst mal alle meine schönen Hoffnungen futsch.

Pastor Maltzahn war dann so nett und hat sich richtig um mich bemüht und was mit einer kirchlichen Einrichtung vermittelt, aber wie ich die Zusage bekam, wollt ich plötzlich nicht mehr. Da kriegte ich richtig Schiss auf einmal. Ich hatte Angst, dass ich dann irgendwie so nonnenhaftig werden müsste, und das wollte ich auf keinen Fall, das war mir dann zu viel. So viel hatte ich da mit Glauben und so ja auch noch nicht am Hut. Ich mein, man war ja jung, viel zu jung eigentlich, um irgendwelche richtigen Entscheidungen treffen zu können, aber trotzdem haben die alle schon mit achtzehn, neunzehn geheiratet und Kinder gekriegt, und wenn du mit zwanzig noch nicht unter der Haube warst, so wie ich, da wurdste doch schon komisch angeguckt, dann haben die schon gedacht, mit einem stimmt was nicht.

Manchmal denk ich, dass ich bloß deshalb Friedhelm dann so schnell geheiratet hab, dass ich zu ihm gesagt hab:»Eigentlich könnten wir auch heiraten«, und er:»Meinst du?«, von ihm wär da nie was gekommen, und einer musste es ja mal in die Hand nehmen. Aber ich war mir auch total sicher, dass er der Richtige ist, ich hab gedacht, ich hab den besten Mann der Welt. Da hatte ich dann auch gerade angefangen zu arbeiten, und nun konnts losgehen mit dem eigenen Leben. Da war ich ja nun Verkäuferin geworden, ausgerechnet das, was ich nie machen wollte. Aber für was anderes hätte ich noch ein Jahr warten müssen, und meinen Eltern noch weiter auf der Tasche liegen oder gar noch zwei Jahre EOS in Anklam — das wollten die Lehrer ja unbedingt, dass ich zur ERWEITERTEN OBERSCHULE geh, wie das hieß — das ging ja nun überhaupt nicht, da hätt ich mir aber was anhören können.

«Du möötst joo nu irgendwat mooken«, hat meine Mutter bloß gesagt, aber ich war ja viel zu spät dran in dem Jahr, ich hatte mich ja auf den Kindergarten verlassen und ewig nicht entschieden, weil ich auch nicht wusste, wie ich Pastor Maltzahn das nun beibringen soll. Kein Arsch in der Hose. Und dann war die Kacke am Dampfen, dann gabs bloß noch Planstellen für Verkäuferinnen und Friseusinnen, und Friseuse ging auch nicht, denn das wurden ja nun wirklich bloß die allerletzten Sitzenbleiber, und ich mit meinem guten Zeugnis! Das wollte auch meine Mutter eigentlich nicht, aber die hätt das nicht so schlimm gefunden, Hauptsache, ich wurd überhaupt irgendwas. Aber dann sagten sie, dass sie dieses Jahr sowieso bloß Achte-Klasse-Schüler nehmen, ich war also sozusagen überqualifiziert, wie sie das heut so nennen. Tja, und da blieb bloß noch Verkäuferin.»Aber ick verkauf keine Wurst!«, hab ich gesagt.

Gelernt hab ich dann bei FOTO-OPTIK, und das hat mich erst mal angekotzt, weil mich das erst nicht die Bohne interessierte, und ich hatte auch kein bisschen Ahnung davon, Kameras und Uhren und so. Außerdem hatte meine Chefin mir gleich gesagt, dass sie mich nach der Lehre nicht übernehmen kann, dass ich dann woanders hinmuss. Da hab ich erst recht nicht eingesehn, wozu. Aber irgendwie musst ich die drei Jahre ja rumkriegen, und mit der Zeit hab ich mich da ganz wohl gefühlt. Son kleiner, dunkler Laden, nicht viel los, so dass ich Zeit hatte, das ganze Sortiment zu studieren und mir erklären zu lassen. Wenn die Chefin nicht da war, die ist oft zum Friseur oder einkaufen, das hat die richtig ausgenutzt, dass sie nun einen hatte für den Laden, die hatte auch gleich großes Vertrauen in mich, konnt sie ja auch haben, also wenn sie weg war, hab ich oft nur aus dem Fenster geguckt. War ja mitten in der Stadt, und Leute hab ich ja schon immer gern beobachtet, schon als meine Mutter mich als Kind mit in die Stadt genommen hat, das fand ich immer toll. Die ganzen Menschen, und keinen kannte man, nicht so wie aufm Dorf, wo man schon von weitem sehen konnte, da kommt Beschke oder da torkelt Karlchen Kröwer lang. Einmal, als ich bei unsern Verwandten in Petershagen bei Berlin über die Ferien war, sind die mit mir auch in den Berliner Tierpark gegangen und dachten, das wär nun aber was für mich. Wars auch, bloß dass ich die ganze Zeit nicht die Tiere, sondern die Menschen angeguckt hab, die vielen, vielen Menschen.»Nu kiek dir ma nich fest, dat gehört sich doch nich, kiek doch ma lieber hier die schönen Tiere …«Aber ich konnt mich nicht von den Menschen losreißen. Das hat meine Tante noch Jahre später jedem erzählt, das konnte die gar nicht fassen, wie man so stur sein kann.

Und dann stand ich da hinterm Schaufenster und hab wieder bloß die Menschen angeguckt, wie in nem Stummfilm, und um mich rum die ganzen Uhren, tick tack tick tack, das hab ich bald gar nicht mehr gehört, nur wenn sie dann alle gleichzeitig anfingen zu schlagen, da hat die Chefin ja penibel drauf geachtet, dass die alle richtig gingen, wenn das dann ding dong ding dong in den verschiedensten Tönen ging, dann wusst ich, dass wieder eine Stunde rum war.»Mensch, die Zeit vergeht!«, hat meine Chefin dann immer gesagt, aber ich hab das damals gar nicht so empfunden. Und heute sagt man das selber, und dabei hab ich dann manchmal die ganzen Uhren in dem Laden vor Augen, tick tack tick tack.

Kunden kamen gar nicht so viele, jedenfalls nicht im Vergleich zu SCHUHE oder KURZWAREN später, wo sie einem ja fast die Bude eingerannt sind manchmal. Wenn in der Ladentür das Schild hing WEGEN WARENANNAHME GESCHLOSSEN, dann haben sich manche schon mal vorsichtshalber davorgestellt, um ja die Ersten zu sein, auch wenn das dann noch zwei Stunden dauerte. Das waren immer aufreibende Tage. Einerseits hat man sich ja gefreut über die ganze neue Ware, und das Beste konnte man sich gleich selber einheimsen, das haben wir dann erst mal nach hinten gelegt. Aber dann musste das alles gezählt werden, dieser ganze Kleinkram, Garnrollen und Knöpfe und alles, und oft stimmte das nicht, die hatten uns oft weniger geschickt. Und draußen standen schon die Leute und murrten, wie lange dauert das denn noch. Manchmal waren wir dreist und haben die Uhr auf dem Schild zwischendurch noch eine halbe Stunde weitergedreht und uns hinten erst mal nen Kaffe gekocht. Da wollten die ja draußen fast verrückt werden und haben an die Scheiben gekloppt, aber das hat uns gar nicht gejuckt. Aber irgendwann mussten wir ja aufmachen, und dann ging das los, das Gedrängel, die haben sich da bald in die Haare gekriegt, und die Schlange bis zum nächsten Haus, wegen Wolle! Das glaubt doch heut keiner mehr.