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Und ich, naiv, wie ich bin, frag noch ganz erschrocken:»Mensch, Toffi, wat hattest du denn?«

«Ach, gar nix, bloß fast ne ganze Flasche Sauern Appel gebechert!«

Als ich das Romy erzähl, sagt die bloß:»Na, da siehste doch schon, dass die nich ganz rund laufen!«

«Ach Mann, Romy«, sag ich,»die können einem doch leid tun. Keiner besäuft sich ohne Grund.«

«Das mein ich ja«, sie dadrauf.»Keiner besäuft sich ohne Grund mit Saurem Appel.«

Hat sie vielleicht auch wieder recht. Und jetzt fiebern sie schon Halloween entgegen, obwohl das noch über einen Monat hin ist. Da brauchen sie sich aber gar nicht drauf spitzen. Das gibts bei mir sowieso nicht, Halloween. Was soll das überhaupt sein, da gehts doch bloß um Leute Erschrecken und böse Geister, das ist doch schon bald Okkultismus, und das soll man nun auch noch feiern. Und ausgerechnet am Reformationstag. Horrorfilme wollten sie da gucken, und Anne sagte zu mir:»Da kann ick denn wieder gar nich einschlafen nach«, und ich frag sie, warum sie sich denn dann so was anguckt, und da zuckt sie bloß mit den Schultern.»Na ja, die andern gucken doch auch.«

«Also, das kommt gar nich in Frage«, hab ich gesagt. Ich kann doch nicht jeden zweiten Mittwoch zu meinem Bibelgesprächskreis rennen und dann mit der Jugend Halloween feiern. Ich wollt aber nun nicht lang und breit mit denen dadrüber debattieren, ich hab einfach gesagt:»Wir machen ein Herbstfest. «Und zwar eher, wenn das Wetter noch einigermaßen ist, dann brauchen sie sich nicht mehr so lange langweilen, vielleicht können wir sogar noch grillen. Ach, ich versteh sie ja auch. Ist ja sonst nix los hier. Das Dorffest übernächstes Wochenende wird ja wohl auch eher ne lahme Veranstaltung werden, da mag auch keiner einen Finger für krumm machen, Hauptsache gibt Bier und Braunen. Na ja, Besäufnis war das schon immer, erst recht zu unsrer Zeit damals, aber wenigstens waren das noch richtige Feste, da ist das ganze Dorf hingekommen, und meine Mutter hat sich in Schale geworfen und ist mit ihren dünnen Trittchen durch die Modder.

Einmal haben sie Pastor Maltzahn besoffen gemacht, da war ich aber noch ziemlich jung und hab das hinterher nur so durch meine Alten mitgekriegt, wie die sich dadrüber aufgehalten haben. Und die hattens grade nötig. Das muss in dem Jahr mit dem großen Brand gewesen sein, als der Bullenstall brannte. Meine Mutter hat mich wachgerüttelt und gesagt:»Stooh up, stooh up, de Bullenstall brennt!«

Weil wir wohnten ja gleich gegenüber, und die hatten Angst, dass das Feuer auf unser Haus übergreift, und dann musste ich bloß schnell die Stiefel anziehen und meinen Anorak über und dann nix wie raus, das war schlimmer als Gewitter, wo sie einen auch immer geweckt haben und alle Papiere zusammengesucht.

Frühmorgens war das, stockduster und eine eisige Kälte, mir blieb fast die Luft weg, auch wegen dem Rauch, der zu uns rüberzog. Das war mitten im Winter und an die minus zwanzig Grad oder so, die Schläuche von den Feuerwehren waren teilweise eingefroren, die kamen ja von überallher an mit Tatü-Tata, und dann konnten sie fast gar nix machen.

Wir dann im Galopp durch den Schnee an dem brennenden Stall vorbei, paar Häuser weiter zu einer Freundin von meiner Mutter, zu der Kahl, und ich seh noch die großen Flammen, das war wie im Traum, wenn man wegläuft und nicht von der Stelle kommt, der Stall wurd immer länger, und dann das Brüllen von den Tieren, und ich hatte grad zu der Zeit immer so einen Alptraum von einer Kuh, vor der ich weglaufen wollte und nicht konnte, und die kam immer näher mit ihrem großen Maul, das kam mir nun alles in Kopp und ich war wie gelähmt, meine Mutter musst mich ziehen, und ich dachte, wenn nun unser Haus abbrennt, dann ist der Aufsatz weg, den ich noch abends bis halb in die Nacht für Deutsch geschrieben hatte, dann war die ganze Arbeit umsonst, und ich krieg ne Fünf. Das war mein einziger Gedanke, und ich hab geheult.

Und dann seh ich, wie uns Pastor Maltzahn auf der Dorfstraße entgegengerannt kommt mit ner Mistforke, und schon ganz rot im Gesicht, und die Haare standen ihm noch vom Schlafen in alle Richtungen ab, und denn hielt der die Forke auch noch so, als ob er damit nun auf einen loswollte, und ich hab gedacht, das darfst du nicht denken, aber gedacht hab ichs doch, nämlich dass er einen ganz guten Teufel abgeben könnte, zum Fasching, aber er war doch der Pastor, und dann dacht ich, wenn jetzt unser Haus abbrennt, dann bin ich schuld, weil ich das über Pastor Maltzahn gedacht hab.

Das haben wir dann alles von der Kahl ihrem Haus aus beobachtet, wie die versucht haben, das Feuer zu löschen und die Tiere rauszutreiben, und unser Pastor ist immer wieder rein, mitten ins Feuer, und hat die Viecher mit seiner Mistgabel rausbugsiert, die sind ja bei so was nicht zu bewegen, die rennen ja direkt in die Flammen. Die haben sie dann alle rüber in die KfL-Werkstätten getrieben, wegen der Kälte. Aber richtig gewütet hat er da, Richard Maltzahn, und die andern Männer angetrieben und rumkommandiert, und die haben vor Schreck pariert. Das hätt dem keiner zugetraut von denen, die haben den ja vorher ganz misstrauisch beäugt, weil er nun ja auch noch von woanders war und Hochdeutsch sprach, na, und nen Pastor hat doch da sowieso keiner ernst genommen, höchstens die Alten. Aber danach hat ihm mein Vadder auf die Schulter gekloppt undn Schnaps gegeben. Da hat er denn dazugehört auf einmal.

Und dann haben sie ihn beim Dorffest noch mal hochleben lassen und ordentlich abgefüllt, dass er nicht mehr alleine nach Hause konnte. Vielleicht hat das da angefangen. Denn aufzuhören, das hat er nachher nicht mehr geschafft, und er war doch der Pastor, auch für die, die dann Richard zu ihm sagten. Und seine Tochter, die hieß Gerda und wurde meine beste Freundin. Die haben sie immer gepiesackt, die hatte ganz rote Haare und alles voller Sommersprossen, und die Bengels haben gerufen:»Rotes Haar und Sommersprossen sind des Teufels Artgenossen!«

Aber das hat ihr gar nix gemacht, oder zumindest hat sie sich nix anmerken lassen, denn gelitten hat sie, glaub ich, schon, aber das wurd mir erst viel später klar. Einmal haben sie mich in der Pause ins Lehrerzimmer bestellt. Was ich denn mit Gerda Maltzahn will. Ich hab erst gar nicht gewusst, was die meinen. Na, ich wär doch so ne gute Schülerin und so vorbildlich und will doch bestimmt mal in die Partei eintreten, da hätten sie gar keine Bedenken, aber dann könnte ich doch nicht mit einer Pastorentochter befreundet sein, das würde ich doch bestimmt einsehen. Ich hab die bloß angestarrt.

«Sonja, wir möchten, dass du deine Freundschaft mit Gerda aufgibst.«

Ich weiß nicht, wie ich aus diesem Lehrerzimmer wieder rausgekommen bin. Aber seitdem hatte ich jedenfalls keine Bedenken mehr, wenn mein Vadder am Abendbrotstisch auf den Staat geschimpft hat, auf die» rote Saubande«. Seitdem war Gerda meine beste Freundin, und ich dachte, dass keiner uns jemals auseinanderbringt. Und ihr Vater hat mir das Schwimmen beigebracht, und sie haben mich mitgenommen zum Zelten am Kummerower See und an ihrem Geburtstag in die Operette nach Greifswald. Das war die Extraüberraschung von ihrem Vater,»jetzt fahren wir alle Mann nach Greifswald«, hat er gesagt, und sie hat sich so gefreut. Ich hab erst gedacht, ööhh, Operette, und dann war das so schön, das war das Schönste, was ich je erlebt hatte, und ich konnt gar nicht schlafen danach und war wie aufgezogen und hab das alles haarklein meiner Oma erzählt. Aber das war ihr irgendwie nix, sie hat dann bloß gesagt:»Na, nich dat du nu ööwerkandidelst!«Und auf dem Rückweg vom Theater, das weiß ich noch, sind wir in ein Gewitter reingekommen, und da hatt ich immer Schiss vor. Son Auto hat doch keinen Blitzableiter, hab ich gedacht, wenn da nu der Blitz einhaut, aber ich hab nix gesagt und war ganz still. Und Gerdas Vater hat das wohl gemerkt und gesagt, dass wir keine Angst zu haben brauchen, und dann hat er uns das erklärt, warum der Blitz nicht ins Auto einhaut, nämlich dass das wie so ein Metallkäfig oder so ist, und dass wir ganz sicher sind, und wie er das so gesagt hat, da hatte ich auf einmal überhaupt keine Angst mehr. Erst später, weil die ja immer gesagt haben, dass der Trabi bloß aus Pappe ist, ist mir das noch mal eingefallen, und da dacht ich, wenn er nu nicht recht gehabt hätt, Pastor Maltzahn.