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Fragte erstens mal unseren Pastor, den wir inzwischen duzten und mit seinem Vornamen, Konrad, ansprachen, was auch so eine Idee der anderen und mir selber einigermaßen unangenehm war, auf eine ähnliche Art wie seine übergroßen Ohrläppchen, ob ich für meinen Geburtstagsabend den Kellerraum im Gemeindehaus bekommen könnte. Konny, wie wir ihn unter uns nennen, hatte erwartungsgemäß nichts dagegen, seine Antwort war wie üblich luftgepolstert mit Ausdrücken der Sorte» selbstverständlich«,»na meinetwegen gerne«,»aber klar doch«, er hatte» Verständnis «für meine» Situation«. Ich war kurz irritiert und überlegte, welche» Situation «in aller Welt er bloß meinte, ich fühlte mich durchschaut, ohne zu wissen, in welcher Hinsicht. Was wusste er über mich? Na ja, bloß dass wir gerade aufs Dorf zogen.

«Ihr wollt wohl nicht zwischen Umzugskartons feiern, was?«, sagte er mit einem Ausmaß an Verständnis, das weit über meins ging, und ließ darauf sein hohes, kurzes Kichern ab, bei dem er keine Miene verzieht.

«Nicht so gerne«, sagte ich bloß, denn jetzt ging es darum, einem dreistündigen Gespräch mit ihm zu entkommen, das heißt einem seiner gefürchteten Monologe, die sich zu neunzig Prozent um seine Zeit in Namibia drehen, wo er jahrelang mit seiner Familie gelebt und einer deutschsprachigen Gemeinde vorgestanden hatte, bevor er nach Anklam sozusagen versetzt worden war, und für die er überall Gesprächsanknüpfungspunkte sucht und unglücklicherweise auch findet.

«Na ja, ich weiß noch, wie wir damals mit Sack und Pack nach Namibia sind, und Ruth, also meine Frau, hochschwanger …«Worauf er eine seiner nicht minder gefürchteten Kunstpausen einlegte, mit denen er, wenn sie in seinen Predigten auftreten, der ganzen Gemeinde regelmäßig ein schlechtes Gewissen verursacht, zunächst nur, weil die andächtigen Zuhörer sich fragten, ob sie Anlass für dieses plötzliche Verstummen gegeben hatten, weil einer unter ihnen vielleicht nicht andächtig genug zugehört hatte, jetzt, weil sie in dieser Pause der beschämenden Tatsache inne werden, dass sie allesamt den Worten des Pastors nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben, da sie sich beim besten Willen nicht an seinen letzten Satz, nämlich nicht an den Grund für die Pause erinnern können und überdies sich zusammenreißen müssen, in ebendieser Pause nicht einzunicken. Man muss also leider sagen: Konny und seine Diktion erfreuen sich keiner sonderlichen Beliebtheit.

Zu Unrecht, wie ich in diesem Augenblick fand, warum wollte denn niemand das Gute daran sehen? Das Gute daran ist, dass man diese Lücke in seinem Sprech- und vermutlich auch Denkprozess dazu nutzen kann, sich zu verabschieden, was ich also tat.

«Ach ja, Romy, na dann … Vielleicht schau ich am Samstag mal vorbei, aber ich kann nichts versprechen. «Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte, und nickte nur vorsichtig. Beinahe verständnisvoll.

Punkt zwei war die Bowlingbahn. Die ist relativ neu und nimmt unter unseren spärlichen Freizeitaktivitäten einen gewissen Stellenwert ein. Das heißt, zuerst war mir das ja wie ein etwas zweifelhaftes Vergnügen vorgekommen, einfach deshalb, weil ich seit jeher eine starke, wenn auch, zumindest meinen Eltern, unerklärliche Abneigung gegen populäre Vergnügungen aller Art empfinde. Und ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich mich schätze, dass die Zeit, als man noch veranlasst wurde, mit Mama und Papa Sonntags- und Ferienausflüge zu irgendwelchen Stadt- und Strandfesten, historischen Spektakeln und Töpfermärkten zu unternehmen, mittlerweile ein für allemal ausgestanden scheint. Wobei, wohlgemerkt, nicht die Umstände dieser Veranstaltungsbesuche — mit Mama und Papa — in erster Linie so peinigend auf mich wirkten, sondern die Veranstaltungen an sich. Schon als Kind waren mir, obwohl ich wie alle anderen auch hindallerte und Zuckerwatte zu meinen erklärten Leibgerichten zählte, zum Beispiel Rummelplätze ziemlich zuwider. Es ging etwas Anrüchiges, Rohes und Dreistes von ihnen aus, das bis heute seine einschüchternde Wirkung auf mich nicht verloren hat. Der Gedanke daran, dass Tante Marlies immer mal was mit sogenannten Rummelfritzen gehabt haben, ja, regelrecht verrückt nach ihnen gewesen sein soll, diesen kleinen, muskulösen, speckigen Typen, die gefährlich grinsten, wenn sie die Wagen der Berg-und-Tal-Bahn herumschleuderten, drehte mir schon damals den Magen um, war allerdings auch so faszinierend — eine Faszination von der Sorte, die sich beim Anblick von Monstrositäten einstellt — , dass er sich nie ganz verdrängen ließ.

Die Bowlingbahn ist harmloser, das hatte ich gleich gesehen, als einmal unsere Klasse einen Nachmittag dort verbracht und sich bei mir sogar ein kleines unvermutetes Talent herausgestellt hatte. Zwar gibt es die üblichen ihrem Bierbauch Nach- und Vorschub leistenden Männer mittleren Alters, aber genauso Frauengruppen, an denen das Nervigste nur ihr häufiges Juchzen ist, und sogar regelrecht seriös wirkende Leute, darüber hinaus eine resolute Chefin, unter deren Regiment es vermutlich nicht mal zu Ansätzen von Ausschweifungen kommen würde. Zu meiner Überraschung sammelt sich dort also nicht eine Querschnittsmenge aller dubiosen Bevölkerungsgruppen Anklams und Umgebung, was vielleicht daran liegt, dass sich DER CLUB als altbewährte Sammelstelle gleich nebenan befindet. Wahrscheinlich hat man bei der Namenswahl dieser einzigen Disco Anklams erst gar keine Zweifel aufkommen lassen wollen, allerdings ist die Bestrebung, falls es eine gibt, dem Ziel der Coolness, das mit dieser Namensgebung gesteckt ist, auch nur ein Stückchen näherzukommen, über all die Jahre vergeblich und DER CLUB ein erbärmliches Bumslokal geblieben. Wo sich unfehlbar jedes Wochenende eine Klientel trifft und betrinkt, der man schon im nüchternen Zustand eigentlich nicht begegnen möchte. Typen wie die von der Elpe. Von uns verirrt sich kaum mal einer da hin, und wenn, dann ist er meistens bemüht, diese Verirrung nicht publik werden zu lassen. Mutmaßliche Ursache für sie ist eben die Alternativlosigkeit, die besagten Schulfesten nur eine umso unverhältnismäßigere Wichtigkeit verleiht. Ich war ein einziges Mal da, zum Geburtstag einer früheren Freundin, und seitdem ist mir klar, dass DER CLUB für meine eigenen Geburtstagsfeiern und überhaupt auf keinen Fall in Frage kommt. Ich mietete für meine Party eine Bowlingbahn von acht bis zehn.

Außerdem wollte ich meine bescheidenen Kochkünste auf ihren individuellen Zenit treiben und selbständig sowohl unsere berühmte Käsesuppe als auch einen dreischichtigen Kuchen, wobei es sich um ein beinahe schon Torte zu nennendes Gebilde aus Pudding und Sahne handelte, fabrizieren. Dazu: Bowle. Beliebtestes Gesöff nicht nur auf Omageburtstagen, sondern auch auf denen der Jugend, da es bei diesen wie bei jenen vornehmlich als Lösungsmittel zur Tarnung von drei Vierteln eines Dreiviertelliters dient und folglich auch genauso schmeckt. Müßig zu sagen, dass meine Bowle dieser billigen Mode nicht folgen, sondern mit ihrer feinen Martini-Note auch höherentwickelten Geschmacksknospen Genüge tun sollte. Nun ja, der Konjunktiv: Bis mir das mit dem Martini nämlich einfiel, war es bereits Sonnabend nachmittag, und das Angebot des einzigen noch offenen Supermarktes in Anklam ging, neben den üblichen Abartigkeiten wie GOLDKRONE, der hiesigen Schattenwährung, über Gin nicht hinaus, und ich muss an dieser Stelle mal Folgendes loswerden: Gin ist, abgesehen von GOLDKRONE, das allerwiderlichste alkoholische Erzeugnis, das die Menschheit je ersonnen hat, besonders in Form von Gin Tonic! Zwar hält sich meine Erfahrung auf diesem, ja, und nicht nur auf diesem, Gebiet in ziemlich überschaubaren Grenzen, aber etwas noch Gaumenmissbrauchenderes ist einfach nicht vorstellbar. Ich weiß, dass ich mit dieser Aversion wieder mal allein dastehe, ungefähr so allein wie mit meiner Aversion gegen Volleyball, aber das ist ein anderes Thema. Beides genießt übrigens unter meinen früheren Freunden größtes Ansehen, und der Wind, der mich über die dürre Ebene zunehmender Distanz von ihnen beständig anweht, trägt mitunter den Brechreizgeruch von Gin Tonic in meine Nase, legt mir die staubige Unbarmherzigkeit von Volleyball auf die Zunge.