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Kurz danach scheppert irgendwas in der Küche, und ich hör, wie sie» Scheiße!«ruft.

Obwohl ihr Zimmer ganz schön groß ist, kommts einem nicht so vor. Ich glaub, es ist noch größer als bei uns das Schlafzimmer, so quadratmetermäßig, und das kam mir als Kind immer riesig vor, auch jetzt noch manchmal, aber mehr wie ein riesiger Blödsinn. Ich mein, die pennen da bloß! Da steht nix weiter drin als ihr klotziges Bett und ihr klotziger Kleiderschrank und Muttis verschnörkelte Frisierkommode, die sie gleich nach der Wende unbedingt haben musste. Man gönnt sich ja sonst nix. Mit goldnen Blumen auf den drei Spiegeln, wodrin sie sich von allen Seiten angucken und anhimmeln kann, sie sagt dazu:»kontrolliern«. Wenn wir irgendwohin wollen:»Ich muss mich noch mal kurz kontrolliern!«Und dann rennt sie zur Kommode und dreht den Kopf wie ne Eule hin und her und klappt dabei die beiden Außenspiegel immer wieder vor und zurück, als wenn sie ihnen irgendwelche Flugbewegungen beibringen und mit dem ganzen Ding einfach abheben will. Wenn ich dann grinse, sagt sie: »Dir würd ein Blick in den Spiegel ab und zu auch mal ganz gut tun!«

Glaub ich allerdings nicht. Als wir die Kommode grade neu hatten, war ich ziemlich fasziniert davon. Zum Beispiel kann man sich ja in einem Außenspiegel, wenn man den so dreht, dass er sich im mittleren spiegelt, so sehen, wie andere einen sehen, also richtig, nicht spiegelverkehrt. Das ist ja erst mal n Schock. Was aber wirklich fies ist: Wenn die Spiegel so stehen, dass der eine Außenspiegel irgendwie noch mal die gegenseitige Spiegelung der andern beiden spiegelt, ich kann mir gar nicht genau vorstellen, wie das funktioniert, aber das ist jedenfalls zu viel, zu viel Spiegelung. Als mir das das erste Mal passiert ist, hätt ich am liebsten sofort mit Muttis Parfumflasche den ganzen Spiegel zerkloppt, aber irgendwie hatte ich Schiss. Nicht wegen Mutti oder so. Als wir neulich bei mir im Zimmer gesessen haben, Paul und Romy und ich, hat Romy ne Spinne an der Wand entdeckt und ist sofort hochgeschossen und hat son ganz kurzen Schrei losgelassen und sich erst wieder halbwegs beruhigt, als Paul die Spinne mit meinem Stiftebecher eingefangen und nach draußen befördert hatte. Ich hätt da einfach den Latschen genommen. Aber Romy hat gesagt, nicht mal das würd sie sich trauen, sie hätte Angst, dass sie» das Vieh «nicht richtig trifft und das ihr dann entgegenspringt oder so. Ich hab gelacht, aber mit dem Spiegel gings mir eigentlich genauso. Und dann stand ich da und hab mich angestarrt wie Romy die Spinne, mich, mich, mich, das hörte nicht auf, wurde nur immer kleiner und undeutlicher, und grade das war das Gruslige, weil ich ja genau wusste, dass da ganz hinten am Ende, auch wenn ichs nicht mehr sehen konnte, immer noch Ella war, und es gab ja gar kein Ende, nur immer weiter Ella, Ella, Ella, und alle guckten sie mich an mit so einem meschuggen Blick. Keine Ahnung, wie Mutti das aushält. Aber wahrscheinlich findet sie das» cool«: Die kriegt ja nie genug von sich.

Romys Zimmer sieht so aus, als obs auch nicht genug kriegen könnte, es sieht so aus, als wenn da nie einer kommt und sagt: Jetzt räum doch endlich mal auf. Es macht einen ganz wuschig. Erst mal die ganzen Bücher. Viel zu viele für meinen Geschmack. Viel zu viele Blumenpötte vor den Fenstern, und die Wand überm Schreibtisch ist mit lauter Postkarten und andern Bildern beklebt, alles quer durcheinander. Und dann liegt überall irgendwas rum, und bei den meisten Sachen weiß ich nicht mal, wofür sie gut sein sollen. Dieser Beutel mit Wolle neben dem Sofa. Die bunt beklebten Schachteln in dem einen Regal, und dadrüber zwei so komische Viecher, Krebse oder so was. Ob die echt sind?

Ich würd mich gerne irgendwohin setzen, aber ich dreh mich nur immer um mich rum, weil ich nicht weiß, wohin. Es gibt die Liege, das Sofa, einen Sessel und zwei Stühle, aber alles ist irgendwie schon besetzt. Von der Liege starren mich die Beatles an, wie irgendwelche blöden Bengels, die sich im Halbkreis vor einen hinstellen und einen einschüchtern wollen. Aber kaum dreh ich mich um, glotzen mir die Leute von den Postkarten entgegen, oder die Kakteen, die mir auch beinah lebendig vorkommen, oder diese drögen Krebse. Ich fühl mich irgendwie — umzingelt.

Romy guckt mich ein bisschen misstrauisch an, als sie mit zwei Kannen wieder reinkommt.»Setz dich doch.«

Ich schieb die Bücher auf dem Sofa ein Stück beiseite und setz mich hin. Es ist so ein Omasofa, mit einer ganz niedrigen Lehne, und man kann sich sowieso nicht anlehnen, weil dann die Beine in der Luft hängen, und dabei waren die Leute doch früher noch kleiner, oder? Auf einmal hab ich son Bild im Kopf, wie meine Oma mit meinem Opa auf sonem Sofa sitzt, und ihre Beine sind nur so lang wie die Sitzfläche breit ist, wie zwei Puppen. Und wie sie dann zusammen in ihr Puppenbett gegangen sind und Vati gemacht haben, der gleich zwei Köpfe größer war, und dann hat er die Flotte Britta, die ja größer ist als er, wenn sie Hackenschuhe anhat, also fast die ganze Zeit, irgendwie dazu überredet, mit ihm ins Bett zu gehen und noch größere Kinder zu machen, und so werden die Leute immer riesiger und klobiger, und nix passt mehr.

Romy hat sich im Schneidersitz neben mich gesetzt, sie wippt ein bisschen auf und ab.

«Ist ein Erbstück von meiner Uroma. Das Ding hat wahnsinnige Sprungfedern, als Kind bin ich dadrauf immer rumgehopst. Aber dann ist meine Oma in den Neubau gezogen, und da warn die Decken zu niedrig. Oder ich auch irgendwann zu groß.«

Sie springt auf, und ich kipp fast zur Seite.

«Die Milch!«

«Ich brauch doch keine Milch«, sag ich.

«Aber ich. Zucker?«

Ich schüttle den Kopf. Romy hat mir pechschwarzen Kaffe eingegossen. Mal was andres als Muttis koffeinfreie Plürre, die sie neuerdings schlürft. Und sogar da sagt sie zu mir:»Aber nur eine Tasse!«Dass ich bloß nicht irgendwie abhängig werde.»Ist doch gar nix drin«, sag ich, und sie:»Alkoholfreies Bier ist auch nicht ganz ohne Alkohol. «Früher durfte ich nicht mal Cola. Ich hab ein Päckchen Kaffe in meiner Schreibtischschublade versteckt. Mutti war natürlich sofort wieder misstrauisch:»Sag mal, hast du irgendwas in deiner Schreibtischschublade, wovon ich besser wissen sollte?«Wahrscheinlich hat sie gleich an Drogen oder so gedacht.

«Nein«, hab ich gesagt.

«Warum schließt du sie denn dann ab?«

«Weil n Schloss dran is.«

«Ella! Ich krieg das sowieso raus! Du bist in letzter Zeit so — apathisch. Irgendwas stimmt doch mit dir nicht!«

Ja, genau. Wenn hier was nicht stimmt, dann natürlich mit Ella.»Wahrscheinlich brauch ich einfach mal stärkeren Kaffe!«

«Das vergiss mal lieber! Du rauchst doch nicht neuerdings, oder?«

«Nei-in!«

«Darf ich dann mal n Blick in deine Schublade werfen?«

«Das vergiss mal lieber!«

Das gab zwei Wochen Taschengeldentzug. Zum Glück hatte ich mir grade vorher neuen Kaffe gekauft. Und mehr brauch ich eigentlich nicht. Bis auf ne Zigarette ab und zu.

«Was is das denn?«, frag ich Romy, als sie sich aus der andern Kanne eingießt.

Sie sagt so was wie:»Öll-gräi«, klingt englisch.

«Was?«, frage ich.

«Schwarzer Tee«, sagt sie,»aromatisiert mit Bergamottöl.«

Mit was?» Mit Milch?«, frag ich.

«Ja«, sagt sie und grinst,»wie die Engländer.«

Wie Paul, denk ich. Aber der ist ja aus Irland. Oder haben sie uns das mal in Englisch erzählt? Als ich gehört hab, dass die Haferschleim zum Frühstück essen, hab ich nicht weiter aufgepasst.

«Magst du Haferbrei?«, frag ich.

Sie guckt mich angeekelt an.»Alles hat seine Grenzen.«

Stimmt, denk ich.

«Willst du mal probiern?«, fragt sie und hält mir ihre Tasse hin. Ich zögre. Sie lacht.

«Keine Angst, ich hab keine Ratten verspeist. Aber ich kann dir auch ne andre Tasse holen.«

«Schon okay«, sag ich. Bloß weil das bei uns son totales Unding ist: aus der Tasse von dem andern zu trinken, die Gabel von dem andern zu nehmen. Als ob sich alle bei uns vornander ekeln.