«Mach die Büx zu, Henry«, hast du gesagt, und:»Nu komm!«, und denn hast du ihn hinter dir hergezogen und hast ganz gradeaus geguckt und keinen angeguckt und mich auch nich. Und ich dacht, ich geh denn mal lieber.
Später ging das denn los mit den Mädchen, dass er den Mädchen hinterher ist wie sie gesagt haben. Ich weiß nich, ob das stimmte, aber als Gühlmanns Tochter damit anfing, Carina, da hat doch keiner gedacht, dass sie nu lügt. Ich mein, ganz ohne war die nich, aber wie denn auch noch ihre Freundin damit ankam und paar andre noch, da musste da ja was dran sein.»Wenn dat Stück Scheiße mir inne Finger kommt«, soll der Gühlmann gesagt haben. Denn wollt er ihn erwürgen, Henry, oder tothauen oder was weiß ich. Aber gemacht hat er nix, da haben ihn schon die andern von abgehalten, weil, er war ja nu schon drangekriegt worden wegen diese Fahrerflucht, und da musst er ordentlich was für bezahlen, und wenn er nu noch mal auf Henry los wär, na, ich weiß ja nich. Da hätten sie ihn am Ende denn doch noch für eingebuchtet, und das wär vielleicht gar nich verkehrt gewesen, aber gesagt hab ich das nich, das hab ich bloß so gedacht da. Auch wenn er vielleicht recht gehabt hat mit Henry, ich mein, dass er da Angst um seine Carina hatte, denn bei Henry konnt man nie wissen. Aber richtig was angestellt hat der nich, ich mein, bis das mit Erna war, der is doch bloß allen aufn Senkel gegangen, aber getan hat er keinem was, der hat doch immer bloß gelacht, deswegen haben sie ja auch» Haha «zu ihm gesagt, zu Henry Hanske. Und wie die Mädchen nu mal so sind in dem Alter, die wollen doch, dass einer denen hinterherguckt und vielleicht auch hinterherläuft, und wenn das nu bloß Henry war. Da hatten sie wenigstens gleich einen, wo sie sich drüber mokieren konnten, und vielleicht wollten die das gar nich, dass die Jungs denn losziehen und ihn sich vorknöpfen. Da hat er schlimm ausgesehen danach. Aber er hat nich gesagt, wers war, und da hat ihn auch keiner gefragt, wer sollte das schon gewesen sein, das konnt sich ja jeder denken. Danach war denn erst mal Ruhe, bis sie denn wieder anfingen, Sachen über Henry zu erzählen, so schmutzige Sachen, dass er das mit Tieren macht und so, weil er ja so an Tiere hing, der wollt ja alles anfassen, Kühe und Schafe und Hühner, und mit Katzen hat er egaleweg rumgekütert, bloß vor Hunde hat er Angst gehabt, weil da wohl auch mal einer seinen Hund auf ihn losgelassen hatte, wie er noch lütt war, aber sonst war der nur hinter die Viecher her, und denn haben sie so was erzählt, aber das hab ich denn nich geglaubt.
Ich weiß, Anna, du hast das nur gut gemeint. Aber das war zu viel für dich, in deinem Alter. Du hast gedacht, wenn schon deine vermaledeite Tochter sich nich drum kümmert und einfach in Westen abhaut und nich mal sagt, von wems nu is, nich mal dir hat sie das gesagt, das is ja nie rausgekommen, ob das nu einer ausm Dorf war und wer oder einer ausse Stadt oder von sonstwoher, die hat sich ja auch ganz schön rumgetrieben, deine Ingrid, und das hatte sie denn davon, bloß dass das denn an dir hängen blieb, du hast gedacht, das wär nu deine Aufgabe, das Balg von deine Tochter großzuziehen. Manchmal hab ich so gedacht, aber das hab ich auch nich richtig gedacht, bloß mal so, wie das einen so manchmal in Kopp kommt, da hab ich gedacht, wenn das nu Hartmut wär, ich mein, der Vater, wenn nu Hartmut damals mit Ingrid, wenn die ihn nu damals — na, verführt hätt, ich weiß ja, dass Hartmut bisschen n Auge auf sie geworfen hatte, auf Ingrid mit ihre blonden Haare, das hab ich schon mitgekriegt, und wenn sie das nu ausgenutzt hätt, denn durchtrieben genug war sie ja anscheinend, auch wenn sie nich den Mund aufkriegte manchmal. Gesagt hat sie nich viel. Aber stille Wasser, nich. Das kennt man ja. Aber wieso hat sie denn nich gesagt, dass er das war, ich mein, er hätt ja zahlen müssen, und dass er nu nich aus eine ganz arme Familie kommt, das hat sie doch wohl gewusst, dass wir bisschen was auffe hohe Kante hatten. Auch wenn sie ihn nu vielleicht nich heiraten wollt, weiß der Düüwel, warum nich, aber das Geld hätt sie gekriegt, und so Sahne gings euch nu auch nich, als dass man da zu stolz zu hätt sein können, wo sich ja rausgestellt hatte, dass ihr gar nich so viel geerbt habt von dem alten Hanske, gar nich so viel, wie alle gedacht hatten. Aber ich kann mir das auch nich vorstellen mit Hartmut, auch wenn er n Dummlack war ab und zu, wie bei Britta, aber ich mein, dass Henry nu von ihm wär, das konnt ich nich glauben, son Bengel, der nich ganz richtig is.
Du wolltst ihn nich ins Heim geben, das wolltst du partout nich. Da hast du bloß gesagt:»Nein«, wie ich dich mal gefragt hab, und das hat mir Überwindung gekostet, das kannst du mir glauben. Das war kurz nachdem Ingrid weg war, nachdem sie nich zurückgekommen war und du da nu gesessen hast mit dem Lütten, und der konnt ja man grad paar Worte sprechen, nich so wie andre in dem Alter, die egaleweg drauflosplappern, und bei ihm hat man auch bloß»Mama «verstanden. Na, ne schöne Mama war das. Und die Zeit hat er erst nur geschrien. Der war ja nich zu bändigen. Und du sahst schlecht aus. Wie ich mal vorbei bin an dein Garten, da warst du draußen, da hab ich dich gesehn,»Tach, Anna«, hab ich gesagt, und du:»Maria, willst nich reinkommen?«
Und das war das erste Mal seit ich weiß nich wie viel Jahrn, dass ich wieder in deine Küche gesessen hab. Ich wusst nich recht, was ich sagen sollt zu dir, ich war bloß verdattert, dass man dir das alles so ansieht auf einmal.
«Is schwer, nich?«, hab ich gesagt.
Du hast gar nix gesagt, vielleich bloß genickt, genau konnt ich das nich sehn, weil du mitm Rücken zu mir standst und Kaffe gekocht hast. Und wie du da so standst, musst ich dran denken, wie wir noch ganz jung waren und ich schon zum zweiten Mal schwanger war mit das zweite Kind, das ich verloren hab, und wie ich dich nach deinem Vater und nach Theo gefragt hab. Wie ich da auf deinen Rücken geguckt hab. Und wie da noch keiner wissen konnte, wie das ausgeht.
Du hast mir den Kaffe hingestellt, und denn haben wir uns bloß so gegenübergesessen, und ich wusst nich, was du nu eigentlich von mir wolltest, wieso du gewollt hattst, dass ich reinkomm.
«Ich weiß ja gar nich, was ich ihm sagen soll«, hast du da gesagt.
Da war ich erschrocken. Ich weiß nich, wieso, aber da hatt ich auf einmal Angst.
Und denn hast du erzählt, dass den Tag vorher die Polizei dagewesen war, und sie hatten gesagt, dass deine Tochter eine Verbrecherin wär, weil sie nu Republikflucht begangen hätte, weil sie nich zurückgekommen wär und nu schon zwei Wochen lang nich, und dass du auch schuldig wärst, weil du das nich gemeldet hattst. Du hast gesagt, du hättst gesagt, dass deine Tochter erwachsen wär. Ob du was von ihre Fluchtpläne gewusst hättst. Nein. Ob du sie angestiftet hättst. Nein. Ob sie sich bei dir gemeldet hätt. Nein, wie denn. Zum Beispiel angerufen. Da hättst du gelacht.»Denn wüssten Sie das doch längst«, hättst du gesagt. Wie du das meinen würdst. Na, wenn hier ein Telefon klingelt, würd man das doch bis Anklam hörn. Wieso.»Weil das so schön ruhig hier is«, hättst du gesagt. Eine Totenstille wär das hier. Hier würd man alles hörn. Und wenn hier ein Telefon klingeln würd, denn wüssten alle auch, bei wem, nämlich entweder beim Bürgermeister von Bresekow oder beim Bürgermeister von Putlitz, mehr Telefone wärn dir hier jedenfalls nich bekannt. Frau Hanske, hätten sie gesagt. Ob du das denn geahnt hättest, dass deine Tochter nicht zurückkommt. Nein.