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Börner! Wat will der’n jetz noch?

«Wat is?«

«Na, weißt, Stefan, wegen de Kameradschaft.«

Mann, Börner, halt die Klappe!

«Wat is damit?«

«Na, weißt doch, ick hab doch letztes Ma gesagt, na weißt doch, dat ick da gerne, na, ob ick da nich mitmachen kann, Stefan.«

Wat? Ick glaub, ick werd nich wieder! Dem ham se doch echt int Gehirn geschissen, Börner!

«Kann ick mich gar nich dran erinnern.«

«Na, du hast doch gesagt, ihr könnt jeden gebrauchen.«

Na, bis uff Börner.

«Na, und, wat hab ick außerdem gesagt?«

«Aber ick hab doch jetz ne orntliche Jacke, hab ick mir extra gekauft, und meine Fingernägel sind uch kurz, hier, kannst gucken!«

Oh, Mann! Ick krieg die Krise!

«Na ja, lohnt bloß alles nix, wenn de dir weiterhin die Hosen vollscheißt! Oder wat stinkt hier so?«

Ha, dat is Wodrich! Nu haben se wieder alle wat zu lachen! So war der früher schon. Deswegen fand ick ihn ja uch gut. War ja mein Vorbild, sozusagen. Na ja. Wer kommt’n da angeschissen?

«Wer is’n dat da?«Wodrich hat den uch gleich gesehn. Das’s dieser Vogel aus Irland. Wat will’n der hier?

«Das der Enkel oder so von die olle Hanske, weißte, die jetz tot is. Die sind extra von Irland hergekommen.«

«Von Irland?«

«Ja. Sind bald wieder weg.«

«Na, würd ick denen uch empfehlen! Also, tschüß denn. Ey, Jacqueline, haste heut abend schon wat vor?«

Jacqueline! Mann, der hat dat echt druff. Aber wat kommt’n jetz dieser Typ direkt uff mir zu?

ROMY

Da hatten sie ja erst mal was zu gucken. Und zu tuscheln, im Ernst, das ging sofort los, überhaupt nicht auffällig. Für Katharina und Katharina muss das der Schock schlechthin gewesen sein, die kriegten sich die ganze Stunde nicht wieder ein. Normalerweise dreht sich mir der Magen schon bei der Vorstellung um, Thema solcherart Konversation zu sein, aber diesmal war ich das genaue Gegenteil von not amused, und was da mein Herz so in Flatterei versetzte, war nur das mühsam unterdrückte Lachen, der Triumph war einfach zu groß, um sich noch irgendeinen Kopp zu machen. Na ja, konnte ich wenigstens mal was zur kollektiven Unterhaltung beitragen. Was von mir ja auch nicht direkt erwartet wird. Aber das war eindeutig zu vieclass="underline" dass ausgerechnet unser hoher, und, nebenbei bemerkt, zum allgemeinen Anschmachten auserkorener Besuch aus Irland, Paul Ishley, ausgerechnet neben der in schulischen Belangen zwar ge-, ansonsten aber nicht weiter beachteten und zudem im Verdacht der Streberei stehenden Schülerin Romy Plötz Platz zu nehmen beliebte! Selbige war ja selber ganz verdattert für einen Moment. Bin ich ehrlich gesagt immer noch. Dabei war das schon gestern, in Kunst. Viola kam nicht, anscheinend krank, und ich freue mich schon, die Bank ganz für mich zu haben und nicht Violas Kontrollblicken auf meine stümperhaften Zeichenversuche ausgeliefert zu sein — wirklich, das ist wie bei diesen unerträglichen Leuten, die anderen ständig auf den Teller und jeden Bissen in den Mund gucken und dabei selbst das Essen vergessen, und schon plumpst einem die Kartoffel von der Gabel, und Viola kriegt auch nie was auf ihr Blatt in der Stunde, und wenn sie mal einen Strich zieht, radiert sie ihn sofort wieder weg, vielleicht aus Angst, jemand könnte ihn bemerken, ich schwanke in der Benennung ihres Stiles noch zwischen ›magersüchtig‹, ›bulimisch‹ oder schlichtweg ›geizig‹ — jedenfalls, da sitzt er plötzlich neben mir, Paul. Wir haben nur Kunst und Geo zusammen, weil sie ihn, in schicksalsimitatorischer Manier einem Zu-schön-um-wahr-zu-Sein vorbeugend, selbstverständlich nicht in meine Klasse gesteckt haben, und in Geo sitzt er so weit vor mir, dass ich nur seinen Hinterkopf angucken kann, wie damals im Bus. Damals? Es ist grade mal anderthalb Wochen her. Für die Zeit, die er hier weilt, wurde er in die a einsortiert, natürlich, die blöde a kriegt wieder alles in den Rachen gestopft, und mit der a ist das ja so: Entweder man ist in der a oder man schüttet tiefste Verachtung über sie aus. Schon in der Unterstufe war a-oder-b eine mindestens ebenso existenzielle Frage wie die, ob man Spinatesser oder Grützwurstesser ist — ich habe Studien darüber angestellt und bin zu dem von mir ohnehin vermuteten Ergebnis gekommen, wer Spinat mag, isst keine Grützwurst und umgekehrt, obwohl beides ja ungefähr die gleiche Konsistenz aufweist, weshalb ich überhaupt darauf verfiel; ich selber kann mir nichts Verabscheuungswürdigeres als Grützwurst vorstellen. Ich würde Paul ja gern fragen. Ja nur, um einen Verbündeten gegen die Grützwurst und einen weiteren Beweis für meine Theorie zu finden. Inzwischen glaube ich sogar, es den Leuten ansehen zu können, und Paul sieht mir ganz nach einem Spinatliebhaber aus. Aber er würde wohl nicht so recht die strengen Bedingungen meiner Studie erfüllen, die ja voraussetzt, dass beide Gerichte dem Probanden bekannt sind, und ich könnte Paul wohl nur dazu beglückwünschen, dass ihm der Anblick — ach, wenns nur das wäre — von Grützwurst bisher erspart geblieben sei, und es würde ja unweigerlich zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen, wenn ich eine Entscheidung aufgrund meiner Beschreibung von Grützwurst von ihm verlangte, denn wer würde sich dabei nicht, schon halb von einem Brechanfall dritten Grades geschüttelt, sofort und für immer dagegen entscheiden? Oder, sei ehrlich, Romy, ist es nur, um nicht letztlich doch noch etwas gegen den desiderierten Liebhaber — des Spinats — in der Minusspalte auflisten zu müssen? Als ob das noch viel nützte. Vielleicht nützte es.

Er hat einfach gesagt:»Dieser Platz ist frei heute, oder?«, und mich angegrinst, und ich hätte am liebsten gesagt: Dieser Platz ist immer frei. Aber die Wahrheit klingt manchmal einfach zu sehr nach NDR-1-Schnulze.

Die Stunde war natürlich gelaufen. Die anderen waren, bis auf ein paar, die das auch nicht mehr als der Unterricht kratzte, noch zu sehr mit dem Wunder beschäftigt, und ich — wohl auch. Bloß Pauls Aufmerksamkeit für Frau Kümmel schien nicht getrübt, obschon nicht ersichtlich war, ob sie die wirklich durch ihren näselnden Vortrag absorbierte oder nicht vielmehr durch ihren Pullover mit dem extra tiefen Ausschnitt. In der Abizeitung vom letzten Jahr wurde sie als» Miss Nabelschau «tituliert, und das trifft es, nicht nur, weil das in Deutsch eine ihrer aufgeschnappten Lieblingsschmähvokabeln für Literatur ist. Meine Plus/Minus-Liste blinkte wieder kurz auf, allerdings zu kurz, um irgendetwas eintragen zu können.

Wir redeten nicht viel, mir fiel auch gar nichts ein. Jedenfalls nichts, was für ein abgehacktes Flüstergespräch getaugt hätte. Paul war bloß im T-Shirt, während ich fröstelte, und sein Arm hing so dicht neben meinem, dass ich förmlich seine Wärme absaugte, von seinem Wohlgeruch ganz zu schweigen. Das haut mich sowieso jedesmal um. Es war komisch, aber ich hatte auf einmal fast so was wie ein schlechtes Gewissen. Als würde ich irgendwas Verbotenes, zumindest nicht ganz Koscheres tun. Ich meine, ich sitze da neben einem, der sich arg- und ahnungslos in meine Nähe begeben hat, und hege Gedanken über ihn und wärme mich an ihm und rieche ihn. Gerne. Ich ekelte mich fast ein bisschen vor mir. Als hätte ich mich in so eine altjüngferliche Schlüssellochguckerin verwandelt, einen alten Knacker, der sich im Gedränge an jungen Mädchen reibt.

Ich fragte mich plötzlich, ob ich auch rieche. Und wie. Für ihn.

Zeichnen ging dann auch nicht mehr. Wir sollten zwar noch die letzte Viertelstunde damit ausfüllen, aber von einem Füllen des Blattes konnte bei mir keine Rede sein. Im Prinzip war es wie mit Viola. Nur, dass ich auch gleichzeitig Viola war. Ich fühlte mich wieder mal beobachtet und brachte aus Angst vor totaler Unfähigkeit keinen Strich zustande, obwohl Paul mich ja gar nicht beobachtete, sondern ich ihn, ich musste immer wieder hinsehen, zusehen, was da unter seinen Händen entstand. Und es war seine eigene Hand, die er zeichnete, unverkennbar. Er kann das unglaublich gut, so wie Ella. Er hat neulich ihre Zeichnungen bemerkt, und Ella war erst ein bisschen embarrassed, hat sich dann aber doch eine halbe Stunde oder so mit ihm darüber unterhalten, während ich dagesessen und sinnlos Schokorosinen in mich reingestopft habe.