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«Mit wem hast du geredet?«Ellas Stimme poltert noch eine Kellerstufe tiefer als sonst, vielleicht ist das ihre Form von Hysterie, und irgendetwas daran macht mich nervös, es würde mich nicht wundern, wenn sie plötzlich aufspränge und ihren mongolischen Krummsäbel zückte, um einen unverzeihlichen Verrat zu rächen. Dann ist sie ganz stumm und scheint irgendwie in sich zusammenzusacken, ihr Gesicht zeigt eine milde Enttäuschung, oder enttäuschte Milde. Als hätte sie ein Kind mit irgendwas überfordert und wüsste nun nicht, wem sie die Schuld am Misslingen geben soll, sich oder dem Kind. Und in meinem Bauch gären hundert unreife Äpfel.

«Wieso bist du da hingegangen? Was wolltest du da?«

Paul im Kreuzverhör scheint immer mehr zu ermüden, ich rechne jeden Augenblick mit einem Gähnen. Ist mir schon klar, wie wir jetzt wieder dastehen. Vor ihm. Pastorentöchter. Wir knien vor Sankt Paul und langweilen ihn mit unseren irdischen Sorgen. Schließlich lässt er sich doch noch herab, uns eine Antwort zuteil werden zu lassen:»Ich war neugierig.«

«Auf dieses Gesocks?«

Er schenkt mir ein heiliges Stirnrunzeln, und ich zittere, es möge nur das Wort sein, das sich seinem Verständnis entzieht.

«Ich wollte es sehen mit meine eigene Augen, you know! — Was ist schlimm dabei?«

Das ist doch nicht das richtige Wort. Schlimm. Es stand einfach für alle Zeiten außer Frage. Ich merke, dass es mich nicht so sehr erschreckt, dass Paul seinen von lauter Anbetung vermutlich schon ganz blankgeküssten Fuß dort hingesetzt hat. Ich finde es nicht schlimm. Es erschreckt mich, dass er überhaupt auf die Idee kam. Für Ellas an weiten Ebenen, nicht an einzelnen Grashalmen geschulten Hunnenblick macht das wohl keinen Unterschied. Sie guckt, als hätte sie es förmlich herangaloppieren hören, dann schon, als noch kein schwarzer Punkt am Horizont zu erkennen war.

Nur eins interessiert sie noch, sie fragt mit geradezu inquisitorischer Strenge:»Und? Willst du das noch mal machen?«

Der arme Sünder Paul, der Ketzer McCartney kneift die Lippen zusammen. Um dann ein kurzes» Ja!«hervorplatzen zu lassen.»Ja. Noch einmal. Mit euch.«

Für einen Moment bin ich wirklich sprachlos, und fast überraschter darüber, dass es diesen Zustand tatsächlich gibt, als über dessen Ursache. Was vielleicht auch wieder nicht stimmt. Irgendwas stimmt doch hier schon die ganze Zeit nicht. Dann lache ich plötzlich. Okay, alles klar, uns so zu verarschen! Ich gucke Paul an und warte darauf, dass er mitlacht, von mir aus, dass er uns auslacht, ich blicke zu Ella, die drauf und dran war, Paul einen Vogel zu zeigen, und jetzt nur etwas unschlüssig sagt:»Du spinnst«, und zu grinsen versucht. Das letzte Grinsen, bevor man sich in die Hosen scheißt.

Paul mustert Ellas Teppich, bis ich frage, auch auf die Gefahr der Komplettblamage hin:»Das ist doch nicht dein Ernst, oder?«

Sein Aufblicken lässt mich erst mal wieder innerlich nach hintenüberfallen. Ich vergesse manchmal, dass er diese Augen hat. Zumindest versuche ich es, ha.

«Of course, it is!«

Klingt wie: Na, was denkt ihr denn? Dass ich bullshit rede? — Ja, in gewisser Weise denken wir das wohl.

«Sie haben gesagt, ich soll wiederkommen. Sie sind nicht schlimm. Sie waren nett. Aber ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen alles.«

«Dat kann’k mir vorstelln, ey!«Ella lacht kurz auf.

«Yeah, exactly! Ihr sprecht auch so, ich mein, wenn ihr nicht mit mir seid?«

«Nee!«Wir gucken uns an, Ella und ich, und wir lachen. Wir lachen es einfach weg, okay?

Paul sagt:»Ihr könnt euch etwas wünschen jetzt.«

«Etwas wünschen?«Noch mal das Gleiche, wir kriegen uns gar nicht mehr ein. Fast kommt es mir vor, als lachten wir Paul aus. Er lacht mit.

«Ja«, sagt er,»weil ihr habt das Gleiche, also, zur gleichen Zeit, I mean, wenn man sagt zusammen das Gleiche, dann kann man sich etwas wünschen und muss so machen mit die Finger«, und er nimmt unsere Hände und legt jeweils unseren Zeigefinger und Daumen zu einem Ring zusammen und beide Ringe ineinander.»Und jetzt wünschen! Aber nicht sagen!«

Ich spüre den Abdruck von Pauls Fingern auf meinen und weiß nicht, was ich mir wünschen soll. Ich kann mich nicht entscheiden.

«Fertig?«, sagt Ella.

Ich möchte wissen, was sie sich gewünscht hat. Wahrscheinlich etwas, das nicht völlig im Bereich des Unerfüllbaren liegt. Beziehungsweise von dem sie das nicht glaubt. Vielleicht ist das das Gleiche.

Paul sagt:»Wirklich, sie sind okay. «Weg. Einfach. Es. Lachen. Wir.»Ich glaub, sie sind einfach langwei-, no, eh …«

«Langweilig? Ja, das glaub ich auch. «Langweilig ist gut.

«Nein, das andere. Sie haben Langweile, sagt man so?«

«Ja, das auch. Langeweile, die: eine gefährliche, ansteckende und nicht selten tödliche Krankheit, siehe ›todlangweilig‹, die, nicht behandelt, im Endstadium oft mit dem Gebrauch von Kraftausdrücken und Anfällen von Zerstörungswut einhergeht. Von Kontakt mit Betroffenen wird dringend abgeraten.«

Paul lacht, Ella guckt mich an, als hätte ich auch irgendeine Krankheit, dann grinst sie ein bisschen. Ich habe Paul zum Lachen gebracht.

Er fragt:»Was ist das, ›Kraftausdrücken‹?«

«Scheiße«, sagt Ella.»Mist, Kacke, verdammte Scheiße, verfluchte Scheiße, Scheißdreck, Fuck, fick dich, verpiss dich, du Arsch, Arschloch, Drecksau, schwule Sau, Missgeburt, leck mich, Wichser. Stinktier. Fotze. Halt die Fresse!«

«Wow!«, sagt Paul.

Ella rollt mit den Augen.»Ist eben mein Lexikon.«

«Klingt, als wärst du heimlicher Stammgast auf der Elpe«, sage ich. Sie guckt mich an, fast erschrocken, als würde ich das ernst meinen. Ich lache.

«Jedenfalls, wir können hingehen«, sagt Paul.»Ich soll ›die Mädchen‹ mitbringen. Das ist, was sie sagten.«

«Was?«›Die Mädchen‹ mitbringen! Das haben sie sich so gedacht! Wie doof sind die eigentlich? Und Paul fällt dadrauf rein. Sorry, Sweetie, aber da muss ich jetzt leider einen eindeutigen Minuspunkt notieren. Hätte ihn gar nicht für so naiv gehalten. Fast zufrieden sehe ich ihn an. Er lächelt. Er versteht es falsch.

«Ja«, sagt er.»Und ich denke das auch.«

«Was denkst du auch?«

«Dass es gut ist, würde sein, wenn ihr — also, wenn ihr mitkommt.«

«Wieso?«, brummt Ella.»Traust dich wohl nich mehr alleine.«

Und Pauclass="underline" »Nein, es ist, weiclass="underline" ihr traut euch nicht alleine.«

Er lächelt, lächelt den Teppich an. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. Weil er recht hat. Weil er nicht recht hat.

«Ich will da gar nicht hin!«, stoße ich bloß hervor.

Paul legt lächelnd den Kopf schief, sieht tief unter seinen Mädchenwimpern zu mir auf:»Du kannst es nicht wissen, bevor du nicht warst dort.«

Und bevor ich noch irgendeinen Widerspruch einlegen kann, denn, oh ja, solche Situationen werden mich nicht wehrlos finden, ich rieche alle Arten von Besserwisserei, Belehrung, Wir-wollen-doch-nur-dein-Bestes drei Lichtjahre gegen den Sonnenwind, also — noch bevor ich überhaupt die sich wie böse Schlangen windenden Lippen auseinanderkriege, gelingt es Paul, dem Schlangenbeschwörer, die unsichtbaren Fäden zuerst meines, dann Ellas Blicks mit einem Ruck an sich zu ziehen und uns einzuflöten:»Ich möchte, dass ihr mit mir zu die Elpe geht, heute abend. Ich bitte euch.«

Er sagt es wie auswendig gelernt. Vielleicht ist es gerade das. Ich merke, dass auch er nervös ist. Auf Ella macht das keinen Eindruck, und ich sollte sie dafür bewundern.

«Nein! — Ich geh da nich hin!«Und ihre Stimme vibriert wie die tiefste Seite von Paul McCartneys Bass, ein Instrument, das nicht klagt, nicht aufheult. Sie geht raus, ich lausche auf das Knarzen jeder einzelnen Stufe, dann eine Stille wie der zunehmende Druck bei einem Tauchgang. Ich bin noch nie getaucht.

Paul sieht mich erwartungsvoll an. Als er endlich blinzelt, sage ich leise:»Warum. «Und dann:»Okay.«