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Mir fällt auf, dass keiner von denen versucht, beim Rauchen irgendwie cool auszusehen, wie die meisten bei uns in der Pause auf der Raucherinsel. Hat man erst mal mit Eintritt in die Elfte das Privileg erworben, sich dort hinbegeben zu dürfen und nicht mehr heimlich auf dem Klo rauchen zu müssen, wo es ja kaum einer sieht, würde man sich natürlich lieber selbst entleiben, als zuzugeben, dass die Coolness eigentlich nicht besonders gut schmeckt, oder gar zu husten oder irgendwas hinterherzutrinken, weils vielleicht erst die fünfte Zigarette ist, die man sich in seinem jungen Leben zuführt. Was bei denen hier sicher nicht der Fall ist, trotzdem verziehen einige das Gesicht nach jedem Zug wie in Schmerz oder Verachtung, kippen eilig Bier hinterher oder spucken aus. Husten ohne Hand davor ist auch ziemlich angesagt. Außer bei Ecki. Das seh ich ja sofort. Schon, wie er Paul eine Zigarette angeboten hat — mir übrigens nicht, wahrscheinlich sieht man es mir an, alles — und bei Pauls Kopfschütteln die Augenbrauen hochgezogen und sich selbst eine in den Mundwinkel gesteckt hat, und zwar so, als würde er das schon mindestens seit dem Kindergarten machen. Nur, dass es eben genau deshalb nicht so aussieht. Sondern wie bei unseren schmalbrüstigen Jungs.

Wer wirklich was auf sich hält, dreht natürlich selber, hantiert umständlich mit Tabak, Papers und Filtern rum und tut somit ganz nebenbei der Allgemeinheit kund, dass er durchaus in der Lage ist, eine ordentliche Tüte zu bauen, und dies, na logisch, auch regelmäßig zur Ausführung bringt. Der Einzige, der nicht so ein Gewese drum machte, war Tobias. Er rauchte schon, wenn alle anderen noch rumfummelten, was mir unbewusst wohl immer als eine Metapher erschien für sein ganzes Tobias-Sein, ein Symbol, in jeglicher Hinsicht. Es machte mich noch schüchterner, als ich ohnehin bin. Ich glaube, es ist wirklich so rum: dass ich mich genau deshalb in ihn verliebte. Er war, auf eine alternative Art, einfach mal der tollste Typ an dieser Schule. Was nun auch wiederum nicht so schwer war. Ich erwog sogar, seinetwegen mit dem Rauchen anzufangen, ich probierte heimlich mit Papas Zigaretten, ich kaufte mir Tabak samt Zubehör, was in Anklam schon ein ziemliches Unterfangen ist, beobachtete Tobias tagelang beim Drehen und brach mir selbst fast die Finger. Diese Gurken waren kaum anzuzünden. Ich unterdrückte das Husten und spürte den Schwindel, den Geschmack trachtete ich so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Mir gefiel nur die Geste, die Pose. Ich beschloss, dass mir die Pose genügen würde. Es gibt Situationen, in denen muss man eine rauchen. Zum Beispiel jetzt. Also lege ich den Kopf ein bisschen zurück und schalte auf Innenmodus, betrachte mich selbst, wie ich den Rauch einer GITANE ohne Filter ausstoße, direkt in Eckis aufdringliche Augen.

Von der Zehnten zur Elften steigt der Raucheranteil besonders unter den Mädchen sprunghaft an. Schon allein, um ihren Angebeteten aus der Zwölften nun endlich durch Einheit von Zeit, Ort und Handlung ein Stückchen näher zu kommen. Drehst du mir eine, Christian, Andy, Matze, Tobias? Ja, klar. Sogar die Nichtraucher stehen auf der Raucherinsel. Ich auch. Der Herdentrieb und so weiter, Tobias. Seit einiger Zeit gelingt es mir nicht mehr, mir sein Gesicht vorzustellen, das hat mich zuerst ganz verrückt gemacht. Jetzt flackert bei jedem Versuch ein anderes dazwischen, von dem ich mich ablenken lasse. Die Raucherinsel war nach den Sommerferien ohne ihn wie eine leere Zigarettenhülse, ich sog die Luft ein, besser als gar nichts. Und schließlich kann man nicht ewig und abgesondert im tiefen Schatten des Schulgebäudes seine Stulle mümmeln, umgeben von Neuntklässlern. Wie froh man damals war, endlich neunte Klasse zu sein und in dieses Gebäude wechseln zu können und nicht mehr das Geschrei der Fünftklässler in den Ohren zu haben, auch wenn man dadurch plötzlich wieder von den Ältesten zu den Jüngsten wurde. Jetzt wieder die Ältesten. Und dann? Das hört ja nie auf.

Im Moment, in dieser Runde, komme ich mir viel älter vor, beinahe tantenhaft, ein Klon meiner Mutter. Und gleichzeitig viel jünger, entsetzlich jung und unerfahren, wie ich hier so zusammengefaltet hocke und keinen Piep sage. So muss ich auf sie wirken, oder, sowohl als auch. Wahrscheinlich sagt deshalb keiner was zu mir, flitzen ihre Blicke immer ganz schnell weg. Sie wissen ja, dass ich zwei, drei, vier Jahre älter bin als sie. Aber das scheint in ihren Augen kein Vorteil zu sein. Eine Achtzehnjährige hätte hier nichts, was eine Vierzehnjährige nicht auch hat, inklusive wechselnder Geschlechtspartner mit Auto. Nur dass die Achtzehnjährige ihre eigene Sozialkohle abfassen oder sich die Woche über in irgendeiner Hotelfachfrau-Lehre verdingen kann, bestenfalls. Aber das interessiert doch keinen, nicht mal die Achtzehnjährige.

«Willst du?«Paul hält mir den letzten Stummel des Joints vor die Nase.

Ich starre auf seine weißen Finger und frage mich, wie lange er ihn wohl so halten könnte, ohne sie sich zu verbrennen. Oder wie er ihn mir übergeben, ich ihn annehmen sollte, wo doch gar kein Ende zum Annehmen mehr da ist. Ich schüttele den Kopf, und Paul drückt ihn schnell aus, die blöden Weiber kichern schon wieder. Eine sitzt mir gegenüber, ich nehme sie ins Visier, sie guckt weg, ich nicht, ich gucke sie einfach an, bis sie wieder hochguckt und sagt:»Is wat?«

«Nö«, sage ich.»Oder is was?«

Der Kleine neben ihr lacht meckernd auf, worauf auch die anderen in Heiterkeit ausbrechen.»Toffi, eh!«

Ich glaube, Paul grinst auch, aber ihn kann ich nicht ansehen, ich konnte die ganze Zeit noch nicht seinen Blick suchen, sein Gesicht, seine Augen, da klafft eine Lücke, ich starre auf den sandigen Betonboden vor mir und bin wie blind. Ich sage mir, ich kann ihn nicht ansehen, weil er direkt neben mir sitzt. Ich weiß nicht, was ich damit meine. Ich kann ihn nicht ansehen, weil er neben mir sitzt und sich ein Bier mit Ecki teilt.

«Habt ihr noch n Bier?«, frage ich.

Ecki schnalzt mit der Zunge.»Eh, Gniedeck, ham wir nochn Bier?«

Gniedeck, der bisher nicht wesentlich zur Unterhaltung sowie auch nicht zur Luftverbesserung beigetragen hat, weil er die ganze Zeit in das Malträtieren einer Kerze vertieft war, indem er verschiedene Gegenstände, unter anderem seine Stiefelkappe, in ihre Flamme hielt und ihren Wachskörper mit zahllosen Einstichen und Ritzungen versah, aus denen tröpfelnd ihr Lebenssaft abfloss, lässt jetzt wie aufgeschreckt von seinem Lustobjekt ab, langt hinter sich und kramt eine Büchse STIER-BIER hervor.

«Dat Letzte«, sagt er. Ich muss grinsen. Weil er nicht merkt, dass das keine rein quantitative Angabe war. Er reicht es Ecki rüber und Ecki mir.

«War eigentlich meint, ne«, sagt Börner und schielt zu Ecki hoch. Ecki feixt.

«Könnt’t euch ja teilen«, kichert die Dicke neben Sabrina.

«Danke, nich nötig«, sage ich.

Ecki klopft sich auf die Schenkel.»Ha!«

Toffi glotzt mich an wie ein Auto. Börner nimmt wieder seine stoische Haltung ein. Der Name ›Stier-Bier‹ wird bei ihm auf eine ganz neue Bedeutungsebene gehoben.

Als ich den Verschluss in die plötzliche Stille hinein knacken lasse, kommt es mir vor, als hätte ich ein Geräusch in der Preisklasse von Rülpsen produziert. Keiner sagt mehr was, alle gucken sie ihre Schnürsenkel an und sehen aus, als würden sie irgendwas Entscheidendes erwarten. Von mir? Von Paul? Von Zeremonienmeister Ecki?

Die beiden reden auch nicht miteinander, und ich dachte, wunder wie sie sich schon angefreundet hätten. Sie grinsen sich nur ab und zu an, und einmal hat Paul mit den Schultern gezuckt und Ecki ihm kurz draufgeklopft.