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Als ich mich umdreh, muss ich blinzeln, voll gegen die Sonne. Eine scheiß Demse ist das heute. Irgendeiner hat anscheinend doch noch überlebt und kommt da jetzt angeschlichen. Also andre Richtung, wieder nach Hause.

«Eh, Ella, wart mal!«

Ich bin so erleichtert, dass ich sofort ne Kehrtwendung mache. Das ist Romy!

«Was machst du denn hier?«

«Na ja — ich wohne hier, oder?«Sie grinst, als würd sie das selbst nicht ganz glauben.»Ich wollte grade zu dir.«

«Wieso? Wo warst du denn heute?«Krank sieht sie jedenfalls nicht aus, so blass ist sie ja immer.

«Zu Hause auf der Couch.«

«Hast du echt geschwänzt?«

Sie lacht.»Wenn ich mich das mal trauen würd! Aber damit hätt ich wohl früher anfangen müssen. — Nee, ich war sozusagen unpässlich.«

«Was?«

«Na ja, ich bin umgekippt, heute morgen. Lang auf den Wohnzimmerteppich. Ich dachte ja immer, das geht gar nicht, ich mein, bist du schon mal in Ohnmacht gefallen?«

In Ohnmacht gefallen! Wie soll das denn gehen? So was bringt auch bloß Romy. Ich schüttle den Kopf.

«Meine Mutter kriegte natürlich nen halben Herzinfarkt, ich bin ihr ja genau vor die Füße hingesunken. War aber bloß, weil ich über Nacht meine Tage gekriegt hatte, und dann ist mir immer morgens so schwummrig. Mir wird da manchmal richtig krisselig vor Augen und kotzübel. Aber dass einen das so umhauen kann! Ich war ja gleich wieder da, und dann kribbelte alles, und mir war total kalt, aber ne halbe Stunde später war ich wieder ganz normal und hätte eigentlich noch zur Schule können. Aber nu lag ich eingewickelt auf der Couch und sollte da gefälligst auch bleiben. Hatte ich wenigstens mal Zeit zum Lesen.«

«Ich werd nie krank! Bei mir reichts noch nich mal für ne Sportbefreiung, und das wär echt mal ne Befreiung! Ich wollt mir sogar mal extra den Arm brechen, aber ich wusste nich wie!«

Ich muss über mich selber lachen.

«Du bist echt verrückt, Ella!«, sagt Romy.»Find ich toll. Sag mal, ist dir kalt?«

Sie zeigt auf meine Winterstiefel. Meine Füße sind am Zerfließen. Ich guck auf ihre Klapperlatschen.»Nö«, sag ich. Dann gackern wir wieder, die letzten Gänse von Bresekow, Romy und Ella.

«Zu mir oder zu dir?«, fragt Romy.

«Zu dir. «Romys Zimmer kommt mir wie der einzige Ort weit und breit vor, dens noch wirklich gibt. Ich hab Durst.

Ich frage:»Sag mal, denkst du manchmal, dass dein Vater gar nicht dein Vater ist?«

Romy guckt mich an.»Wieso? Ihr seht euch doch total ähnlich!«

Mann!» Das hab ich doch gar nich gefragt.«

Sie grinst bloß.»Kann man sich eben nicht aussuchen.«

«Hast übrigens nix verpasst in der Schule«, sag ich.

«Hätt mich auch gewundert. «Als sie die Tür aufschließt, sagt sie:»Du hast übrigens auch nix verpasst.«

Ich sag gar nix. Interessiert mich doch gar nicht. Was die gestern Abend da abgezogen haben oder nicht. Damit muss sie nun selber klarkommen. Jeder muss mit sich selber klarkommen. Sie sagt aber nix.

In der Küche trinkt sie aus der Flasche. Ich trau mich gar nicht, die Stiefel auszuziehen, weil ich Angst hab, dass meine quaddrigen Füße lauter Abdrücke auf den schönen Dielen machen. Manchmal ist Teppich doch besser. Wieso sagt man eigentlich ›unter den Teppich kehren‹? Ich glaub, das meiste liegt oben drauf. Kann man bloß nicht sehen.

«Hast du auch Durst?«, fragt Romy und hält mir die Flasche hin. Ich trinke, ohne sie abzuwischen. Einen kleinen Schluck lass ich drin. Einen ganz kleinen, den keiner trinkt.

Wir wandern rüber in ihr Zimmer, wo ich mich sofort auf das Sofa hau. Romy klappt die Abdeckung vom Plattenspieler hoch.»Was willst du hören?«

«Frag mich lieber, was ich nich hören will.«

«Schon klar«, sagt Romy. Sie blättert in den Platten rum.»Ach, ich weiß auch nich. «Sie seufzt.»Irgendwie hat man immer das Gefühl, dass einem das, was genau richtig wär, fehlt.«

«Und was wär genau richtig?«Ich hab nur so gefragt, aber kaum ist die Frage raus, interessiert mich die Antwort brennend.

«Tja, das ist es ja grade: Wenn mans wüsste, hätte mans ja.«

«Oder auch nich«, sag ich, nur so wieder. Aber Romy starrt mich an, als hätt ich ihr sonstwas an den Kopf geworfen. Sie zieht eine Platte aus der Hülle und legt sie auf, sie setzt sich mir gegenüber.

«Wasn das?«, frag ich. Kommt mir nicht ganz wie das Richtige vor.

«Das vierte Klavierkonzert von Beethoven.«

Mann, jetzt klingt sie wie Stiehl! Wie die alle.

«Das mag ich am liebsten.«

Am liebsten wovon, liegt mir auf der Zunge.

«Magst du Beethoven?«Romy schiebt mir eine Schale mit Süßigkeiten hin.

«Hast du vielleicht ne Zigarette?«, frag ich.

«Ella!«, sagt Romy. Wie die alle.»Nee. Na ja — nee. Ich könnt dir zwar eine von meinem Papa geben, aber dann riecht das hier ja nachher so verraucht, und meine Mutter …«

«Wieso, du rauchst doch nich. Oder glaubt sie dir das nich? Oder petzt sie das dann meinen Eltern?«

«Ach Quatsch. Aber was sie dann wieder für Bedenken schiebt, auf so was kommt unsereins gar nicht. So ungefähr, dass ich mir das auch angewöhnen könnte, bloß weil du das machst oder so, obwohl das ja wohl eher ein Grund wär, es nicht zu machen!«

«Wie meinst’n das?«

«Achso, na ja, nicht wegen dir … Ich mein bloß … Na, weil Nachmachen doch bescheuert ist. Dieser ganze Gruppenzwang!«

«Aber rauchen doch alle. Da kann man doch gar nich mehr sagen nachher, wer angefangen hat.«

«Ach, Ella. — Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.«

«Weiß keiner.«

Romy nimmt sich ein Stück Schokolade und zerkaut es. Dann noch eins. Sie futtert das weg wie Brot. Und dabei macht sie auch ein Gesicht, als müsst sie auf trocken Brot rumkauen. Ich muss an Oma denken, wie die, als ich klein war, immer sagte:»Du möötst dat lutschen, ganz langsam, dat dat up dine Tung zergeiht — denn hest miehr davun. «Hat sie natürlich bloß gesagt, weil sie sich nicht vorstellen konnt, dass man nu mehr als einmal im Jahr Schokolade kriegt. Aber ich hab das so gemacht. Bloß dass ich da, doof, wie ich nun mal war, gleich drei Stücke auf einmal in’n Mund gesteckt hab, und denn wurd das son Klumpen, und immer mehr, dass ich meine Zunge gar nicht mehr bewegen konnte, dass ich richtig Muskelkater in der Zunge davon kriegte, und ich wollt immer was sagen, aber das ging nicht, ich hab bloß Schokoblasen gespuckt. Danach konnten sie mich mal mit Schokolade, das zog bei mir überhaupt nicht mehr. Ich stell mir vor, wie das bei Romy aussieht, im Mund drinnen, wie sie die Schokolade zu ganz kleinen Stücken zerkaut und die überhaupt nicht schmelzen, weil sie gar nicht dazu kommen. Wie Sägespäne. Das gefällt mir irgendwie.

«Du hast gerne Geheimnisse, oder?«

Wie kommt sie jetzt dadrauf? Sie lächelt, sie kaut. Das geht nicht zusammen. Sie sagt:»Ich dachte nämlich, dass du entweder gar keine hast oder ganz viele. Ich hab dadrüber nachgedacht.«

Sie hat über mich nachgedacht. Was soll das denn? Ich denk doch auch nicht über sie nach. Ich mein, sie kann ja über mich nachdenken. Kann ich ihr ja nicht verbieten. Aber das dann auch noch zu sagen!

«Du sagst ja gar nix.«

«Na was denn?«

«Na ja, ob ich recht hab.«

«Ob du recht hast?«

«Ja.«

«Nein.«

«Doch.«

«Gar nich.«

Sie lacht.»Ach, egal. Tut mir leid, Ella. Vergiss es.«

«Nein.«

«Nein?«

«Du willst doch bloß, dass ich dir irgendein scheiß Geheimnis erzähl, Romy Plötz!«