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«Nein, Ella.«

«Doch! Bloß dass du dich nich traust, mich richtig zu fragen!«

«Das stimmt doch gar nich!«

«Denkst du, ich bin doof? — Ich erzähl dir jetzt ein scheiß Geheimnis, so ein richtiges Scheiß-Geheimnis, und da kannst du dann drüber nachdenken

«Nein!«

Es geht sie auch überhaupt nix an. Es kommt mir nur so komisch auf einmal vor, so was als Geheimnis zu haben. Als wenn man einen Klumpen Hühnermist in nem Safe aufbewahrt, bloß damit keiner weiß, dass da ein Klumpen Hühnermist drin liegt. Oder so. Bloß wieso hat mans denn erst da reingelegt? Also.

«Also — ich war mal ne Zeitlang öfter auf der Elpe, bei der Elpe. Als ich noch rausgegangen bin. Als ich noch dachte, dass das mein Dorf ist, ich mein, dass das mir genauso gehört wie allen andern, als ich das noch nich kapiert hatte. Ich bin da einfach so rumgelaufen. Na ja, vielleicht doch nich einfach so, ich wollte nich, dass sie mich sehen, jedenfalls nich immer. — Ich weiß nich, aber ich kann irgendwie keine Katzen mehr sehen, keine jungen Katzen, wenn die zum ersten Mal rollig sind, wir hatten ja früher immer welche. Ich mochte das schon damals nich, ich hatte irgendwie Angst davor. Dass die dann auf einmal so wild sind, wie verrückt, ich weiß nich, ob du das kennst. Dann haben sie von mir immer was mit nem Handtuch übergekriegt, oder mitm Besen. Selber schuld, hab ich gedacht, ich hatte überhaupt kein Mitleid. — Ich bin da rumgelaufen wie sone junge Katze.«

Ich merke, dass Romy nickt. Ich weiß nicht, wieso.

«Jedenfalls, ich hatte Schiss, immer son bisschen. Aber nie genug, um nich doch hinzugehn. Es war ja bloß — ich wollt den ja bloß sehen, Tommy. Stucker, kennst du nich. Kannst du froh sein. Der gehörte zu dieser Wodrich-Clique, die hatten hier total das Sagen, da hatten die ganzen Typen, die sich jetzt hier aufspielen, noch gar nix zu melden. Die sind dann irgendwann auch fast alle gleichzeitig weg hier. Bloß Wodrich kommt noch ab und zu her. Wenn ich sein Auto stehen seh, da bei uns schräg gegenüber, dann geh ich nich vor die Tür. Dann geh ich nich mal den Müll rausbringen, und wenn Mutti sich aufn Kopp stellt. Komisch, früher war ich gar nich zu Hause zu halten. Da wollt ich immer bloß raus, und immer bloß, um diesen verdammten Stucker zu sehen. Mann, war man doof, oder, ich mein, ich weiß nich, ich könnt mich ohrfeigen, jeden Tag.

Na ja, manchmal haben sie mich dann gesehen, manchmal nich, manchmal hat Tommy mich angeguckt, mit diesem Blick, diesem Stucker-Blick, den haben die doch alle, die ganze verfluchte Sippe, aber das is mir erst hinterher aufgefallen. Einmal hat er mich angegrinst. Ich dacht, das isses. Nächstes Mal bin ich bis zur großen Halle gegangen. Wo sie jetz abends sitzen, wo du gestern warst. So doof, eh. Mannomann.«

Romy guckt mich fragend an. Ich weiß nicht, ob ich das richtig erzähle. Ob sie das kapiert. Ob man das überhaupt richtig erzählen kann. Wie soll sie das denn kapieren?

«Das war genau zwei Tage nach meinem vierzehnten Geburtstag. Vielleicht war das bei dir ja anders. Aber ich dachte, nu kann eigentlich mal was Richtiges passieren. Ich weiß noch, dass ich Zahnschmerzen hatte an dem Tag. Aber das hat mich gar nich gejuckt. Ich bin zur Halle hin. Da hat er mich dann auch gefunden, na klar, die finden einen immer, der muss mich förmlich gerochen haben. Ich dacht gar nich dadran wegzulaufen. Ich stand da bloß wie angewurzelt an der Bretterwand und hab den angelächelt. Er hat auch gelächelt, oder mehr so gegrinst, und dann war er auf einmal direkt vor mir. ›Na‹, hat er gesagt, sein Mund war ganz dicht an meinem Gesicht, er war ja nich grade groß, ich konnt riechen, was der zum Mittag gegessen hatte, nämlich irgendwas mit Zwiebeln. ›Na, haste dich endlich ma hergetraut.‹ Ich hab genickt, und denn hab ich die Augen zugemacht, ich dacht, jetzt küsst er mich! Ich hab mich bloß bisschen geärgert wegen den Zwiebeln, aber egal, war ja schließlich Tommy. Aber dann war überhaupt nich sein Mund auf meinem, sondern seine stinkige Hand, der hat mir mit seiner Pfote den Mund zugehalten. Und ich hab mich noch gewundert, weil ich wollt doch gar nich schreien oder so was, bis ich denn plötzlich das Messer in seiner andern Hand gesehen hab, und denn war er mit dem Messer auch schon an meinem Hals. ›Wehe, du gibst einen Mucks von dir!‹ Ich konnt das gar nich glauben, wie er mich da in die Halle bugsiert hat, ich mein, das war doch Tommy, den ich die ganze Zeit wie verblödet angehimmelt hatte. Er hat mich runtergedrückt, auf die Knie, der hatte ganz schön Kraft, und das hätt ich auch nich gedacht, weil er doch so klein war. Ich wusste wirklich nich, was er von mir wollte, ich hab bloß geheult. Gar nich mal so richtig aus Angst, glaub ich, mehr aus — na ja, Enttäuschung oder so. Er wurd dann wütend, als er gemerkt hat, dass er mir nu auch noch erklären muss, was laufen soll. ›Mann, du dumme Sau, du blöde Fotze‹, der kriegte sich gar nich mehr ein und hat mit dem Messer rumgefuchtelt und so abgehackte Anweisungen abgelassen. Er hat mich an den Haaren festgehalten und ganz dicht zu sich rangezogen, meine Nase schon an seinem Hosenstall, ich hab ›aua!‹ geschrien und bin zurückgezuckt, und dabei hat mir das Messer in den Hals gepiekt, und das hat er gemerkt und es noch mal fester rangedrückt, und ich dachte, das blutet jetzt bestimmt, und ich wollt nich, dass das noch mehr blutet, weil Mutti oder Vati das sonst nachher gemerkt hätt, und das hätt Ärger gegeben. Bloß deswegen! Also hab ich seine Hose aufgemacht und seinen dreckigen Schlüpper runtergezogen, und sein steifer Schwanz ist mir entgegengeklatscht, voll ins Gesicht. Er hat total abartig gestöhnt und geflucht, ›nu mach schon!‹. Seine Hand war richtig in meine Haare gekrallt, wie ne überdimensionale Klette, die nie wieder rausgeht, und die Klinge vom Messer wurd ganz warm an meinem Hals, und da hab ich mich drüber gewundert. Ich hab mich die ganze Zeit dadrüber gewundert. Und ich hab bloß geheult und gerotzt und geheult, ich hab ihn in den Mund genommen. Er hat so widerlich nach Pisse geschmeckt, und er hat ihn mir so tief reingeschoben, dass ich fast kotzen musste, ich dacht, ich muss ersticken, und ich hätt auch gern gekotzt, seinen Schwanz und seine ganze Hose vollgekotzt, aber ging nich, und ersticken konnt ich auch nich. Und auch nich in Ohnmacht fallen. Das war ja das Einzige, was ich wollt in dem Augenblick: einfach nich mehr da sein. Weil ich überhaupt nich glauben konnt, dass ich das grade bin.

Und dann passierte was, wo ich bis heut nich weiß, ob das nu gut war oder nich. Auf einmal sind Ecki und die anderen reingekommen, die ganzen Jüngeren, und die haben sofort losgegrölt. ›Iih, Stucker bumst die Wachlowski! Iih, wat willste denn mit der Polenschlampe, Mandy lässt dich wohl nich ran, wa!‹

Er war erschrockner als ich, hat mich sofort weggeschubst und losgebrüllt und die alle zusammengestaucht. Ich hab bloß zugesehn, dass ich wegkomm, nur gradeaus durch die Büsche, echt, wie sone junge Katze. Auf halbem Weg bin ich hingefallen, hab mir die Knie aufgeschlagen. Ich bin nach Hause gerannt, zu Mutti und Vati, und hab mich im Bad eingeschlossen und kein Wort gesagt. Nie. Niemals, hab ich gedacht. Und die ganze Zeit hat das keiner gewusst, außer die Drecksärsche vonner Elpe.«

Romy springt auf und geht raus. Ich gucke aus dem Fenster, die Sonne scheint immer noch, immer noch keine Wolke, als wär noch mal Sommer. Irgendwas macht Geräusche, wie ein Rhythmus. Als Romy wieder reinkommt, hält sie was in der Hand. Eine Zigarette. Sie sagt nichts, legt sie mir bloß hin. Dann geht sie rüber zum Plattenspieler und nimmt die Nadel runter. Die Geräusche hören auf. Sie dreht Beethoven nicht um. Ich fummel das Feuerzeug aus meiner Hosentasche und zünde die Zigarette an. Die richtige Marke. Ich will das nicht denken, aber ein bisschen denk ichs doch: wie eine Belohnung.

«Der Schnitt am Hals war nich so schlimm. Ich hab trotzdem einen Rolli angezogen, mitten im Sommer. Meine Eltern haben mich da sowieso schon fürn bisschen neben der Spur gehalten, gab zwar Kommentare, aber egal. Als Mutti meine Hose in der Wäsche entdeckt hat, wollt sie wissen, woher das Blut kommt. Hab ich ihr also meine Knie gezeigt, nix gesagt. Da hat sie gesagt: ›Mensch, Ella, benimm dich doch endlich mal wien Mädchen!‹