Выбрать главу

Ich wollt mir die Haare abschneiden, selber, mit der Küchenschere, ganz kurz. Dass mich da keiner mehr dran festhalten kann. Ich hatt schon die ersten Strähnen runter, als ich auf einmal überlegt hab. Das war das erste Mal. Dass ich mal nich sofort einfach so was gemacht hab, sondern erst mal überlegt. Und da hab ich mir überlegt, dass das nich gut wär. Erstens natürlich wegen Mutti und Vati, das hätt Terror gegeben. Aber vor allem auch wegen denen. Ich dacht, wenn die mich erst mit kurzen Haaren sehen, isses ganz aus. Denn wissen die sofort Bescheid, so was riechen die. Und den Gefallen wollt ich denen nich tun. Ich wollt einfach so tun, als wär überhaupt nix passiert. Die Haare hab ich so gekämmt, dass das Abgeschnittene gar nicht auffiel, und ich hab in’n Spiegel geguckt und sah genauso aus wie vorher. Bloß Oma hat das einmal mitgekriegt, als ich mich so bei ihr rübergebeugt hab und die Haare zur Seite gerutscht sind. ›Weckern hett di denn so schimpfiert? Wierst dat selber?‹ — Ach, Oma, hab ich gesagt, und das war das einzige Mal, wo ich fast geheult hätt. ›Dat trägt man heut so.‹

Ich hab mir nix anmerken lassen, nich mal bei Thorsten. Aber ich hab gedacht, wenn der das nu auch mit seiner Freundin macht, also freiwillig, vielleicht macht die das freiwillig. Ich hab das gar nich ausm Kopp gekriegt. Aber ich hab mir nix anmerken lassen. Aber ich bin nich mehr rausgegangen. Ich lass einfach die Zeit vergehen. Ich bin immer noch die dumme Sau, verdammte Scheiße!«

Ich kann nix machen. Ich drück die Zigarette in dem großen Blumenpott vorm Fenster aus, tief rein in die Erde, ich guck mir genau dabei zu. Aber als ich mich wieder umdreh, sieht Romy trotzdem, dass ich am Heulen bin. Ich sag noch maclass="underline" »Verdammte Scheiße. «Ich sag:»Warum hab ich das Arschloch nich einfach weggeschubst, er war doch nich viel mehr als ich, warum hab ich ihm nich einfach seinen verfickten Schwanz abgebissen!«

Ich muss lachen, heulen und lachen, und Romy: lacht ja auch. Ich glaub, ich mag sie zum ersten Mal richtig. Sie sagt:»Ella, ich wollte das nich.«

«Aber ich«, sag ich.

Sie sagt — nein, sie sagt doch nix. Sie nickt.

«Kommst du morgen wieder zur Schule?«, frag ich.

«Ja. Ja klar. — Sag mal, warst du eigentlich mal in Polen?«

«Nee. Was soll ich’n da?«

Sie runzelt wirklich die Stirn. Ich dacht, so was kommt bloß in Büchern vor.»Ich dacht bloß. Weil du doch polnische Vorfahren hast, oder?«

«Vorfahren!«Weil der Polenschlampe zu mir gesagt hat.»Na ja, mein oller Opa. Den seine Eltern. Die sind irgendwann von Polen gekommen. Aber ich weiß nich, wieso. War hier vielleicht besser. Zu Vati haben sie ja immer ›der Pole‹ gesagt, hat er sich drüber geärgert. Ich sprech aber kein Polnisch oder so.«

Sie grinst.»Macht ja nix. Hast du nächsten Sommer schon was vor?«

«Nee, wieso?«

«Weil wir dann nach Polen fahren.«

«Wir? Wie soll das denn gehen?«

«Wie eine Reise eben geht. Du bist erwachsen, oder?«

«Keine Ahnung. Ich bin achtzehn.«

«Dir hat keiner mehr was zu sagen. Im Gegensatz zu mir. «Sie geht zum Fenster, macht es auf, nimmt die Kippe aus dem Topf und schnipst sie raus.

«Ella, ich hab nicht so ein Geheimnis. Ich weiß nicht, wie das ist. Bloß — zu Hause hocken kann man immer noch.«

Ich nicke.

JOHN & PAUL

AMSEL DIE MITTEN IN DER NACHT SINGT

NIMM DIESE GEBROCHENEN FLÜGEL UND LERNE ZU FLIEGEN

DEIN GANZES LEBEN LANG

HAST DU NUR AUF DIESEN MOMENT GEWARTET

AMSEL DIE MITTEN IN DER NACHT SINGT

NIMM DIESE HOHLEN AUGEN UND LERNE ZU SEHEN

DEIN GANZES LEBEN LANG

HAST DU NUR AUF DIESEN MOMENT GEWARTET UM FREI ZU SEIN

AMSEL FLIEG AMSEL FLIEG

IN DAS LICHT DER TIEFSCHWARZEN NACHT

SONJA

Da hab ich mich innerlich richtig gefreut. Aber ich sag nix, ich weiß ja, dass sie das nicht hören will. Aber wie ich da heut Abend vom Grewenthiner Club komm, kaputt und wie immer viel zu spät, und wie ich da Ella aus unserer Haustür kommen seh, da dacht ich, na, nun haben sich zwei gefunden. Ich hab ja immer Angst, dass Romy andre eher abschreckt, allein, wie sie so ist, nicht mit Absicht. Oder vielleicht doch. Aber Ella sieht eigentlich nicht so aus, als wenn sie sich einfach abschrecken lässt. Das ist gut. Ach, man braucht ne Freundin. Rosi hat mich angerufen. Einfach so. Sie wollte mal hören, wies mir geht. Na ja, wie gehts mir schon: Ich hab ihr von den Clubs erzählt, von den Jugendlichen, keine Ahnung, ob sie das versteht, ob sie das überhaupt interessiert, sie hat mir aber zugehört und nicht gleich wieder» nen guten Tipp «parat gehabt. Ich hatte ne ganze Weile lang überhaupt keine Lust, sie zu sehen. Aber wie sie hörte, dass ich jetzt paar Tage Urlaub hab, immer noch Überstunden von den Sommerfesten, da war sie richtig aus dem Häuschen, weil sie nämlich auch grad Urlaub hätt und ob ich da nicht mal vorbeikommen wollte, sie wär ja sonst auch ganz alleine in dem großen Haus. Ich sag, wieso, ich dacht schon, da wär irgendwas passiert. Aber ihr Mann ist zur Weiterbildung, und die jüngere Tochter hat jetzt auch ne Lehre angefangen.»Das is richtig komisch«, hat sie gesagt. Da tat sie mir irgendwie leid. Ich dachte, wie soll das erst werden, wenn Romy aus dem Haus ist. Na jedenfalls: ich hab zugesagt. Mit Übernachtung! Das muss zwanzig Jahre her sein, dass ich das letzte Mal bei Rosi übernachtet hab. Fahr ich am Donnerstag also nach Ueckermünde, Freitag muss ich ja schon wieder da sein, wegen den Vorbereitungen für das Dorffest. Eigentlich könnt ich gar nicht weg. Aber ach, mal muss man doch auch raus. War mir auch egal, was Friedhelm dazu sagen würd. Erst hat ern Gesicht gezogen, dann hat er» ja ja «gesagt. Die eine Nacht wird er schon überstehen ohne mich. Und Romy ist ja auch noch da. Aber ich weiß nicht, ich glaub, die reden gar nicht miteinander, wenn die alleine sind.

Als ich vorhin die Wohnungstür aufgemacht hab, war drinnen alles dunkel. Totenstill. Friedhelm nicht da, kein Abendbrot auf dem Tisch, von Romy kein Mucks.»Hallo«, hab ich gerufen, aber keine Antwort. Vielleicht war das falsch. Aber ich musste sofort zu Romys Zimmer hin und nachgucken. Ich musste doch gucken, ob sie nicht wieder umgekippt war. Da saß sie, im Dunkeln.

«Romy«, hab ich gesagt.»Ich bin wieder da.«

Sie hat sich nur halb umgedreht, mich gar nicht richtig angeguckt.»Ja.«

«Alles okay?«

«Ja, wieso?«

Den Qualm hab ich genau gerochen. Nicht, dass sie denkt. Ich wollt auch erst was sagen, hab mir aber im letzten Moment auf die Zunge gebissen. Lass sie, hab ich mir gesagt, lass sie endlich mal. Sie ist jung. Sie muss doch auch mal … ja, was? Sie muss überhaupt nicht.

«Mach dir doch Licht.«

«Jaa. Gleich.«

Irgendwas hatte sie doch. Aber ich wollt nicht neugierig sein, vielleicht hatten sie sich gestritten. Ella sah auch so ernst aus. Vielleicht — vielleicht war es wegen Paul. Ich seh doch, was los ist. Dass mein Kind sich grade unglücklich macht. Und Ella? Zu dritt ist manchmal schlimmer als alleine. Kenn ich. Aber da müssen sie nun selber durch. Du kannst nicht immer helfen, Sonja Plötz, kapier das mal.

Aber ich konnte sie doch nicht so da sitzen lassen.

«Ich mach jetzt Abendbrot. Kommst du dann?«

«Ich hab keinen Hunger.«

«Aber du musst doch was essen«, hab ich gesagt,»denk an deinen Kreislauf!«

Und sie, gereizt:»Mama, ich bin siebzehn, nicht siebzig! Und ich muss überhaupt nix! Wenn ich keinen Hunger hab, dann muss ich auch nix essen! Essen, immer nur essen …«

«Du bist schon so dünn!«

«Na und! Kann ja nicht jeder fett sein. Sowieso: Alle reden immer davon, dass die Dicken diskriminiert werden. Aber über die Dünnen darf man herziehen, oder was? Genauso mit diesem ewigen ›Du-siehst-ja-so-blass-aus‹, ›Du-bist-ja-so-weiß-geh-ma-in-die-Sonne!‹ Wenn das kein Rassismus ist!«