Выбрать главу

Den ganzen Nachhauseweg musste ich ihn angucken, er kam mir ein bisschen vor wie ein fremdes Tier, also irgendwie artfremd oder wie man das nennt, wie n ausgebüxter Wellensittich oder so was. Da hatt ich beinah n bisschen Angst um ihn. Das sieht man doch gleich, dass der nicht hierher gehört, hab ich gedacht. Die machen ihn fertig. Wenn die von der Elpe ihn erst mal zu sehen kriegen, ist es aus, da soll er bloß einen Bogen rum machen. Wenn, na zum Beispiel, wenn Ecki das spitzkriegt, dann stachelt der doch gleich die andern Idioten auf, und wenn Paul denn vielleicht noch was Falsches sagt … Als ob man bei denen überhaupt was sagen könnte, was nicht falsch wär. Die halten das doch nicht aus, wenn einer anders aussieht als sie, nämlich besser, besser riecht vor allem, und auch sonst, das sind doch nichts als feige Ratten. Die haben doch …

«Jaa, verdammt noch mal!«

Mann! Hat sich grade erst zum Mittagsschlaf hingelegt und schreit schon wieder nach mir, das geht jetzt den ganzen Nachmittag so.»El-la«, immer diese» El-la«-Jammerei, und dann sagt sie am Ende wieder, dass sie schon ganz heiser ist, und guckt mich an, als wär das auch noch meine Schuld. Ich weiß ja, sie meint das nicht so, nicht so wie Mutti oder Vati, und sie kommt auch nicht wie die mit solchen doofen Aufgaben an, irgendwelcher Haushaltskram, bloß weil sie selber zu faul sind dazu. Wenn die dann immer sagen, sie haben keine Zeit, Lehrer haben eben nachmittags auch nicht frei, nicht so wie ich, ich weiß, und das sagen sie auch,»wir haben nicht so viel Freizeit wie du«, wenn ich das hör, dann weiß ich schon Bescheid.»Das kann ja Ella machen«, da haben die sich richtig dran gewöhnt. Vor allem, seit Oma nicht mehr so kann und Thorsten weg ist, obwohl, den haben sie nie mit so was belästigt.»Nu tu ma nich so, als ob du dich hier überanstrengen musst«, das ist so Vatis Spruch,»Arbeit hat noch keinem geschadet.«

«Keine Arbeit auch nicht«, hat Thorsten mir da mal zugeflüstert,»obwohl, vielleicht bei ihm!«Ich musste kichern, und da hats gleich ne Ohrfeige von Vati gegeben, zum Glück wusste der nicht, worums eigentlich geht. Aber ich muss da jetzt immer dran denken, wenn er diesen bescheuerten Satz wieder bringt, und lach so in mich rein. Bloß mir fällt so was nie ein oder immer erst hinterher, manchmal möchte ich sone Antwort geben, wo denen einfach die Spucke wegbleibt, wo sie so von den Socken sind, dass sie nicht mal an ne Ohrfeige denken, und dann dreh ich mich einfach aufm Hacken um und gehe und bin weg. Was bleibt mir denn andres übrig, als auch einfach wegzugehen, ohne Thorsten ist das doch hier gar nicht mehr auszuhalten. Und dann sollen sie mal sehen, wo sie bleiben, und dann kann Oma rufen, so viel sie will, Ella ist nicht mehr da.

Aber das kann ich ihr ja nun auch nicht antun, dann ist sie mit den beiden Nervensägen alleine hier. Und die kann sie nicht so scheuchen:»Mook mi eis den Bloosentee, öwwer ohne Zucker.«»Wie spät is dat?«»Lääs mi noch eis de Dodesantiegen vür.«»Hest nu all…«Und denn noch das Amen-in-der-Kirche:»Joo, joo, Undank is de Welten Loohn!«

Mit mir spricht sie meistens hochdeutsch, und ich sag, Oma, brauchst du nicht, ich versteh das schon, das Platt, aber sie schüttelt bloß mitm Kopf. Einmal hat sie gesagt:»Mit dir brauch ich doch nich Platt sprechen!«, aber ich hab nicht genau gewusst, was sie meint damit. Vielleicht verkalkt sie wirklich. Manchmal ruft sie mich, und wenn ich denn in ihrem Zimmer steh, weiß sie nicht mehr, was sie wollte. Zuerst war ich erschrocken, aber dann hab ich mich geärgert. Nicht, weil ich doppelt laufen muss. Sondern weil ich gemerkt hab, dass sie das bloß so sagt. Bloß, damit ich zu ihr komm, oder bloß, damit sie mich noch mal rufen kann. Jetzt ärger ich mich nicht mehr, oder nur noch dadrüber, dass ich wieder mal so blöd war und das nicht eher gemerkt hab. Sie macht das ja auch nicht, um mich zu schikanieren. Die will ja bloß Gesellschaft, bloß, dass mal einer nach ihr guckt. Und dann fragt sie mich auch jedesmal nach der Schule und nach den» Schularbeiten«, und ich denk immer bloß, ach, Oma. Ich kann ihr doch nicht sagen, dass mich der ganze Mist nicht die Bohne interessiert, dass ich die Hausaufgaben meistens nicht mach, oder nur so die Sachen, die sich in ner viertel Stunde abreißen lassen. Zu Mutti sag ich, wenn sie fragt:»Oma hat mich ja abgehalten. «Und dann geht das Gemecker los, jeder mit jedem, jeden Tag. Manchmal weiß ich echt nicht, ob ich lieber, in Anführungszeichen, in der Schule oder zu Hause bin.

Ein Baby wollten sie nicht mehr, aber dafür Oma. Dabei hätt ich gern noch ne kleine Schwester gehabt und die dann im Kinderwagen durchs Dorf geschoben, und kein blöder Arsch hätt sich an mich rangetraut. Ich hätt mir glatt eingebildet, dass das mein eigenes ist und ich das jetzt vor allem beschütze. Aber nu wird n Rollstuhl angeschafft, für Oma, und rat mal, wer den dann schieben darf.

ROMY

Jeden Abend zu Hause ist auch nicht das Wahre. Aber was will man denn machen, hier. Wenigstens hat man jetzt was zum drüber Nachdenken. Was aber auch nicht geht, weil jetzt Mama schon wieder in der Tür steht, rumguckt, guckt, was ich mache also, und schließlich sagt:»Räum doch endlich mal die Viecher weg!«

Sie hat aus ihrem Standardsatzrepertoire gewählt. Erst hab ich gedacht, sie würde sagen:»Komm doch zu uns, Fernsehn gucken. «Sie erträgt das nämlich nicht, dass ich, ihre einzige Tochter, abends — allein — in meinem Zimmer sitze. Und immer — nur — lese. Dabei stimmt das gar nicht.

Ich habe nur meistens tatsächlich ein Buch in der Hand, wenn sie reinkommt, ich muss nur aufpassen, dass ich es nicht wie in einem albernen Film verkehrtrum halte und dann versuchen müsste, ihr weiszumachen, ich übte, für Notfälle, das Entziffern auf dem Kopf stehender Zeilen, so wie ich manchmal als Kind versucht hatte, mir das Schreiben mit der linken Hand beizubringen, da es ja immerhin passieren könnte, dass ich mir den rechten Arm breche. Ich habe mir nie irgendwas gebrochen. Wahrscheinlich hat es mich deshalb so beschäftigt, so wie einen eben Dinge beschäftigen, von denen man glaubt, dass sie sowieso immer bloß andere erleben und man selbst eine ewig Unwissende bleiben wird. Das ist natürlich erst mal frustrierend; andererseits, aber da bin ich erst später drauf gekommen, gibt es einem auch so ein Gefühl von — man kann es nicht anders als Erhabenheit nennen, die erregende Erkenntnis, dass man anders ist als die anderen. Und zu solcherart Erkenntnissen würde ich ja nie gelangen, wenn ich nicht ab und zu auch mal das Buch aus der Hand legte und mir einige Dinge durch den Kopf gehen ließe, was natürlich meist damit verbunden ist, dass man rumsitzt und aussieht, als sei man in die gefährlichen Sphären des Nichtstuns und der Sinniererei entfleucht.»Was grübelst du?«Als ob man so hirnverbrannt wäre, solche Fragen irgendjemandem außer sich selbst zu beantworten, und schon das ist heikel. Sprich: Tagebuch. Das geht ja nun überhaupt nicht. Ich meine, sich dabei»überraschen «zu lassen. Was unweigerlich zu schwersten Bedenken Anlass gäbe, und da hab ich nun wirklich keinen Bock drauf. Es gehört eindeutig zu den Dingen, die man heimlich tun muss, obwohl ja doch jeder Bescheid weiß. Ich glaube schon, dass Mama zumindest ahnt, dass ich Tagebuch führe, aber indem ich nichts davon sage und sie mich nicht überraschen lasse, schaffe ich ihr die Möglichkeit, sich nicht mit dieser Perversion beschäftigen, und mir die Freiheit, mich nicht dazu erklären zu müssen. Natürlich geht sie das ja auch gar nichts an, aber das sag mal einer Mutter. Sie würde wahrscheinlich» trotzdem gerne «mit mir» darüber reden«.