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Aber das war später. Das mit Friedhelm, das muss in dem Jahr gewesen sein, als meine Mudder starb. Schon Monate vorher hat sie ganz gelb ausgesehen, ganz schlecht, sie hat ja fast nur noch im Bett gelegen. Meistens zugedröhnt. Ich war nicht mehr oft da. Ich hatte irgendwie überhaupt keine Kraft mehr. Meine Oma war oft bei uns, sie kam immer freitags mit dem Einser-Bus, und dann hat sie manchmal geweint, wenns grad wieder schlimm war mit Traudel. Mit ihrer Tochter. Sie konnt damit nicht fertig werden.»Nee, mit Traudel, nee, ick verstoh dat nich, dat dei nich uphüürn künn. «Und sie hat mit dem Kopf geschüttelt und auf den Ollen, auf Manni, geschimpft. Ich glaub, sie hatte wohl wirklich das Gefühl, dass er ihr ihre Traudel weggenommen hat. Sie war auch gegen die Hochzeit gewesen. Aber wo nun schon das erste Kind unterwegs war. Dabei war sie selber damals schon mit dem zweiten schwanger gewesen, als sie endlich ihren Ernst geheiratet hatte. Dafür hatte sie noch den Arsch von ihrem Vater vollgekriegt. Sie hatte fünf Kinder. Und sie hat die alle überlebt. Zwei sind ja gleich als Baby gestorben. Die Leute haben immer irgendwas von Krämpfen gesagt. Epileptische Anfälle? Wer weiß, wer wusste das schon. Der eine Sohn, der, der aus dem Krieg mit Typhus zurückgekommen ist und dadran dann auch gestorben, der soll das auch gehabt haben. Der andere, der war grad mal achtzehn, als er Ende vierundvierzig gefallen ist. Der war Kanonier. Ich hab immer dieses Foto angeguckt, wo er in Uniform drauf ist, wo sie hinten drauf die Todesanzeige geklebt hat. Da steht auch, dass ihr Mann z. Zt. IM FELDE wär und der andere Sohn vermisst. Schon da gabs eigentlich bloß noch Traudel und sie. Und ich hab immer dieses runde Jungsgesicht auf dem Foto angeguckt, und die Mütze sah viel zu groß aus, und ich konnt mir gar nicht vorstellen, dass das mein Onkel sein sollt.

Und nun lag Traudel im Krankenhaus, und das war alles abzusehen. Und ich war trotzdem erschrocken, als mein Vadder eines Morgens bei uns vor der Tür stand. Ich hatte sie am Tag vorher noch besucht. Meine Mutter. Sie hat kaum die Augen aufgekriegt, die hatten ihr wohl irgendwas gegeben.»Sonja«, hat sie gesagt, mehr eigentlich nicht. Das war gar nicht mehr meine Mudder. Aber wie mein Vadder vor der Tür stand, war mir kotzübel. Ich wusst auf einmal, dass meine Mutter gestorben ist, ich mein, nicht bloß, dass sie gestorben ist. Sondern dass das meine Mutter war, als hätt ich plötzlich wieder eine Mutter gehabt, gehabt, ja.

Meine Oma war grad bei uns, und wie sie Manni sah, hat sie gleich angefangen zu weinen. Ich konnt das gar nicht. Ich hab meine Oma angeguckt, wie sie nix gesagt hat und bloß geweint, und ich musst daran denken, was sie mir erzählt hatte. Als vierundvierzig der Postbote kam mit dem blauen Brief. Und er kam zu ihr, in ihr Haus. Wie sie da geschrien hat, nur geschrien, die ganze Zeit.

Das war zwei Tage vor meinem Geburtstag, als meine Mudder starb. Und das war heiß, und sie mussten sie fast sofort unter die Erde bringen. Aber ich hätte sie noch mal sehen können. Ich hab nein gesagt.

Sie hat immer bloß gelacht und abgewunken, wenn ich gesagt hab: Mutti, soll ich mit dir zu Arndt gehen? Sie hat das überhaupt nicht ernst genommen, oder heruntergespielt, als ob wir alle gar nicht wüssten, was los ist, als ob wir alle spinnen würden. Oder, ich weiß nicht. Ich konnt das nie rauskriegen, ob sie das ernst genommen hat. Ob sie sich ernst genommen hat. Ob sie wusste, was mit ihr los ist. Weiß man was, was man nicht wissen will?

Ich kannte Arndt hier in Bresekow als Seelsorger, aber ich bin zu ihm, weil er damals schon die Suchtgefährdetenhilfe geleitet hat. Sie haben ihn und seine Familie damals ins Pfarrhaus geholt, nachdem Maltzahn weggezogen war. Einen neuen Pastor kriegten sie nicht. Aber Arndt war schon der richtige Mann für die Leute hier, der hat was gemacht. Ich hatte gehört, dass er schon so manch einen aus der Gosse geholt hat, dass er das schafft, die Leute trocken zu kriegen. Dass das was mit Glauben zu tun hatte, das war mir da noch gar nicht so wichtig. Ich wollte, dass er meinen Eltern hilft. Er hat mir zugehört. Und das hat erst mal mir geholfen. Er war der Erste, bei dem ich mich nicht geschämt hab für meine» Alten«. Aber er hat mir ganz klar gesagt:»Die müssen selber herkommen. «Und dann hat er mit mir gebetet, und das kam mir erst mal komisch vor. Er hat gesagt: »Ich mach das nich. Die Leute denken immer, ich mach das, und sind mir denn sonstwie dankbar und wolln mir den Hintern küssen und kommen hierher, als wär ich der liebe Gott. Ich sag immer, dem da müsst ihr danken, vor dem da müsst ihr uffe Knie falln«, wobei er so mit dem Finger nach oben gezeigt hat. Er hat so eine Art zu reden. Und da kam ich mir denn auf einmal ganz schön doof vor. Weil ich das ja wohl auch gedacht hatte.

Aber davon hab ich erst mal gar nix gesagt. Ich hab meiner Mudder bloß immer in den Ohren gelegen, dass ich mit ihr zu Arndt gehen würde. Da hat sie bloß gelacht. Oder dass er auch herkommen würde.»Sonja, nu hüür eis up!«Ja ja, was sollten denn da die Leute denken, nicht wahr. Da könnten die ja nun glatt noch denken, man wär Alkoholiker. Aber das war auch noch was andres. Das wär ja wie — wie ein Zugeben wär das gewesen. Meinem Vadder braucht ich erst gar nicht damit kommen. Der hatte einen Stolz, das war schon bald sprichwörtlich. Der hat nie nachgegeben. Nie» klein beigegeben«, Manni Stöwsand. So kannte ihn jeder. Er war nicht unbeliebt, ganz im Gegenteil. Und deswegen war er immer obenauf. Und das mit dem Trinken, na ja. Da hat man drüber geredet, und denn hat man ihn wieder eingeladen, oder sich einladen lassen. Großzügig war er. Und sein Wort galt was. Das wusst er. Gelitten haben sie alle unter ihm, meine Oma, meine Mudder, meine Geschwister, ich. Aber gesagt hat keiner was. Wir waren uns ja auch überhaupt nicht einig gegen ihn oder so. Er hatte ja auch seine guten Seiten. Aber einer hatte immer zu leiden, und der hat dann alleine vor sich hingelitten, und die andern waren bloß froh, dass sie nix abgekriegt hatten. Er hatte auch so ein Talent, uns gegeneinander aufzuhetzen. Ganz grün waren wir uns sowieso nicht, wir waren gar nicht wie Geschwister. Bloß die beiden Lütten, Elke und Marlies, die haben zusammengehangen. Und Herbert und Siegbert, die beiden Ältesten, die waren wie Zwillinge. Und selbst die hat er gegeneinander ausgespielt, einmal hat er sie wie zwei Hähne buchstäblich aufeinandergehetzt, dass die sich richtig gekloppt haben, bis aufs Blut, draußen vor der Waschküche, und er hat sich auf die Treppenstufe gesetzt und sich das angeguckt und den einen und den anderen angefeuert, und die haben gar nicht gemerkt, wie er sich einen feixt. Und mir hat erst recht keiner geholfen, als er mich um den Tisch gejagt hat und mich zu fassen kriegte und mich an den langen Haaren gepackt hat und gegen die Küchentür gedonnert, richtig mit dem Kopf dagegen. Weil ich mal was gesagt hatte. Und meine Mudder hat» Manni!«geschrien und ist rausgerannt. Und er hat gar nix gesagt, er war jähzornig, aber er hat nie rumgetobt. Das ging ganz schnell bei ihm, plötzlich hatte er einen, ohne Vorwarnung. Das war eine ganz kalte Wut bei ihm, eine Wut, mit der man Menschen umbringt. Da war ich schon fast erwachsen, fast achtzehn.

Ich wollte nur weg. Und Friedhelm auch. Der hielt das auch nicht mehr aus zu Hause, mit den vielen Geschwistern, dieser ganzen Unruhe. Für ihn hatte auch nie einer Zeit, so was kannte er gar nicht. Ich glaub, seine ganze Nervosität, das kommt alles daher. Als er das damals hatte, diese Depression hatte, und das kam ja wieder — , da hat er eigentlich zum ersten Mal über seine Familie geredet. Nicht, dass er mir vorher nix erzählt hätte, im Gegenteil, die dollsten Schoten, und was sie als Gören alles angestellt hätten, und wie er seiner Schwester mit dem Feuerhaken eins übergezogen hat und Küken in der Wäscheschleuder und alles solche Sachen. Aber wie ihm das ging dabei, ob sich da mal einer um ihn gekümmert, seine Mutter ihn mal in’n Arm genommen hat oder so, da hat er nie was drüber gesagt. Ich hab auch nicht gefragt. Wenn er so erzählte, stand mir das Bild vonner wilden Horde vor Augen, die Plötzen-Bande, furchtbar zwar, aber immer noch besser als bei uns. Weil ich da so einen Zusammenhalt merkte. Egal, wie Mutter Plötz sonst so war, und ich kam ja nicht so klar mit ihr, aber ihre Kinder waren ihr Ein und Alles, da hat sie nix drauf kommen lassen. Das war manchmal auch nicht mit anzuhören: wie sie auf die Partner ihrer Kinder geschimpft hat, auf die Leute sowieso, Schuld waren immer bloß die anderen. Und das hat sich so festgesetzt in denen. So ist Friedhelm auch. Er verdrängt alles bis zum Gehtnichtmehr.