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Vielleicht wars das. Dass sie das deshalb so abstößt, diese Veranstaltungen. Weil da keiner solche Fragen stellt, alle bloß dasitzen und auf Arndt gucken. Und dann natürlich wieder dieses Gruppending. Das hat mich früher oft traurig gemacht. Dass mein Kind so menschenscheu ist. Dass sie nirgendwo dazugehört. Aber sie will ja gar nicht. Das hab ich erst viel später gesehen, eigentlich jetzt erst: dass das nix mit Schüchternheit oder so zu tun hat, jedenfalls nicht nur. Das ist einfach nix für sie.

Und wir? Für uns ist das alles Gewohnheit. Ich weiß, dass Friedhelm oft keine Lust hat hinzugehen.»Warum gehst du dann?«, frag ich.»Arndt zuliebe? Gott weiß sowieso Bescheid. «Ich auch. Das hat nämlich wieder ganz schön zugenommen. Was er so an Bier trinkt, und ja nicht nur Bier. Er hatte das eine Weile wirklich ganz ohne durchgehalten. Bis zum nächsten Verwandtengeburtstag. Immer bis zum nächsten Geburtstag. Da wird dann unweigerlich eingeschenkt. Und Friedhelm trinkt. Sollen ja nicht denken, dass er unter Sonjas Fuchtel steht. Dass sie ihn nun bekehrt hat und zu Arndt schleift.

Er trinkt auch, um schlafen zu können. Wenn er merkt, dass das kommt, die Depression. Ich merk das immer daran, wenn er spät noch ein Bier aufmacht. Noch mal rausgeht. Wenn er nix sagt. Er sagt überhaupt nix mehr. Ich finde bloß wieder die Flaschen, hinterm Waschpulver, in der Garage.

Aber saufen tun immer bloß die andern. Über Siegbert, über Jürgen, da können wir uns aufregen, bei jeder Feier aufs Neue. Das ist schon immer vorprogrammiert.»Mann, die ham aber uch wieder gekippt!«, sagt Friedhelm, wenn wir nach Hause fahren. Wenn ich fahre und er mit drei-acht im Turm neben mir sitzt. Ich will das nicht mehr. Diese ständigen Feiern. Wieso fährt man da hin? Ist doch immer das gleiche Blabla. Siegbert macht mich blöd von der Seite an, stänkert rum, ich bin sowieso ein rotes Tuch für ihn, und meine liebe Schwägerin setzt ihr übliches Grinsen auf, zieht die Augenbrauen hoch, wenn er mal wieder über die Stränge schlägt, und sagt:»Ach, Siggi«, und kichert. Herbert sitzt feixend in der Ecke.»Und, wie geht dir dat?«, fragt Elke. Und gackert dann den ganzen Abend mit Marlies rum, wie zwei Teenager, die sind auch noch nicht weitergekommen als meine Jugendlichen. Marlies ist jetzt Mitte dreißig, ich hab neulich mal zu ihr gesagt:»Du gehst auch schon auf vierzig zu«, da war sie eingeschnappt. Hungert sich runter auf achtundvierzig Kilo und blondiert sich die Haare. Seit Jahren diese Pudelfrisur. Das blonde Gift. Da lacht sie, wenn wir das sagen. Ein Kerl nach dem andern. Ich weiß nicht, wo sie die alle herholt. Dass die alle anbeißen, sie sieht doch schlimm aus. Elke hat früher mal so ein Buch bei ihr gefunden. Mit Datum und Namen und allem, Kommentaren. Sie hat Buch geführt über die Macker.

Und dann sitzen wir da überm Kartoffelsalat. Und haben uns überhaupt nix zu sagen. Wie kommt das? Dass ich mit denen verwandt bin, dass das meine Geschwister sind? Ganz abstreiten lässt sich das ja nun auch nicht. Die Augen, der Mund. Ich kann das manchmal gar nicht glauben: dass ich kein Einzelkind bin. Ich bin eins. Ich hab gar keine Familie, das ist doch keine Familie. Nur meine eigene kleine, nur wir drei, wenigstens wir. Hab ich zumindest immer gedacht.

Ich mache mir Sorgen um Romy, pah! Wer vereinsamt denn hier? Sie ist jung, sie hat doch noch alles vor sich, alles Schöne. Da würd sie jetzt lachen. Mama! Sie wird das nicht so machen wie ich: immer da sein, nie nein sagen, sich überall einbringen, nützlich machen. Und was hab ich davon? Ich weiß, so soll man nicht denken. Schon gar nicht als Christ. Ich Möchtegern-Christ! Und wo sind meine Freunde? All meine lieben Christen-Freunde? Wo sind sie denn? Ich seh keinen. Aber ist man nicht selber schuld? Wir haben uns so abgekapselt, Friedhelm und ich. Wir machen nie was. Mit wem auch.

Und mein toller Bibelgesprächskreis, mittwochs, alle zwei Wochen? Ja, das war vielleicht mal gut, am Anfang. Aber die guten Leute sind alle weg. Die haben das da wohl auch nicht ausgehalten, Maritas ewiges» Ick-sag-euch-da-hat-er-mich-wieder-zu-halten-gehabt«, der Teufel nämlich. Ob die das wirklich glaubt? Ich glaub, ja. Die hat sich sone richtige Dämonenwelt gebastelt. Oder die haarsträubenden Dinger, die Helga immer loslässt, wenn wir was zu einem Bibeltext sagen sollen, das ist nicht mitanzuhören. Neulich, das war die Krönung, da wusste ich echt nicht, ob ich einfach nur lachen oder laut Scheiße schreien solclass="underline" Die schwor Stein und Bein, dass wir Christen an einem besonderen Merkmal zu erkennen seien, nämlich — oh nein, es ist wirklich zu bescheuert — nämlich an einer Wölbung auf dem Kopf, Gott hätte uns mit so einer Wölbung versehen! Und wie die sich dann alle gleich an ihren Kopf fassten! Na ja, also echt, da kann man sich ja auch bloß an den Kopf fassen, aber die haben alle ihren Kopf abgetastet, und dann fingen ein paar an zu lachen, ich auch, noch nicht mal am lautesten, aber Helga funkelte mich ganz böse an, und hinterher kam sie zu mir und grollte, dass sie das nicht vergessen wird, wie ich sie so bloßstellen konnte! Wir können uns nicht besonders leiden, das steht mal fest. Mir reichte schon, wie sie erzählte, dass sie mit ihrer alten Mutter, seit die bei ihr wohnt, jetzt immer morgens eine Andacht macht, obwohl die gar nicht will,»da war se bockig, aber ick setz dat durch!«. Und alle nicken brav, und nur ich muss mal wieder der Quertreiber sein und den Friede-Freude-Eierkuchen — na, Frieden stören. Sabine guckt mich denn an, als wär ich irgendwie außerirdisch, meistens sagt sie dann, so, als hätt ich sie grade aus dem Schlummer geweckt, so gaaanz laaangsam:»Sooon-jaa! Wie maainst du denn daas?«Und noch bevor ich antworten kann, springt Renate ein und legt mir Worte in den Mund, auf die ich im Traum nicht kommen würd, und dann greift sie fix zur Gitarre, und wir singen erst mal einen, schrumm-schrumm. Vielleicht hätte nicht grade Arndts Frau den Kreis machen sollen. Ich mein, ja, sie ist Katechetin. Aber all die Jahre Christenlehre, die sind nicht spurlos an ihr vorbeigegangen, bloß dass sie zu ihren drei Akkorden nix dazugelernt hat. Und in einem Tempo immer, man kommt kaum zum Luftholen. Ich weiß gar nicht, wie Sabine das macht. Vielleicht singt sie nur jedes zweite Wort. Aber ich kann doch jetzt nicht auch noch wegbleiben. Was soll ich denen denn sagen? Ihr seid mir zu doof?» Mama, du musst dich doch nicht ständig rechtfertigen!«Muss ich aber in Wirklichkeit doch. Oder wegziehen.

Wietmann, der Neue, auf den hatt ich ja insgeheim sofort alle meine Hoffnungen gesetzt. Das hat mir gut gefallen, wie er zu Ostern hier seinen Antrittsgottesdienst hielt. Da waren sie alle erst mal baff. Wie er von der Auferstehung sprach und uns meinte. Wie gleich das Erste in seinem Gebet war, dass Gott uns aus der Gewohnheit rausreißen möge, aus der» Glaubenslangeweile«, genauso hat er das gesagt. Dass wir nicht glauben sollen, wir hätten nun ein für alle Mal die Weisheit mit Löffeln gefressen. Das hat er anders gesagt, anders als Arndt. Der war übrigens gar nicht da, Renate auch nicht. Als ob sie nun Angst um ihr Haus haben. Manchmal versteh ich die nicht. Versteht mich einer? Versteht einer Wietmann? Ich glaub, der ist denen hier viel zu — viel zu kompliziert, oder so. Wieso, wieso, man kann doch nicht immer egaleweg im gleichen Trott weitermachen. Er hat recht. Aber die können das.

Kann sein, ich hab einfach mal wieder zu hohe Ansprüche. Vielleicht sollte ich das machen wie Dieter. Aber Dieter macht mich verrückt. Dieter ist verrückt, hab ich öfter den Eindruck. Ich denk manchmal, wenn da einer von außen draufgucken würd, der würd doch denken, wir sind total beknattert. Wir Christen. Ich hab ja nix dagegen, dass er mir öfter Hannah herbringt und das offenbar auch irgendwie als selbstverständlich betrachtet, dass ich auf sie aufpasse, mich mit ihr beschäftige. Wenn sich schon die eigene Mutter dazu nicht in der Lage sieht und Ruhe braucht, immer nur Ruhe. Friedhelm und Romy geht das ziemlich auf die Nerven, und sie werfen mir das auch vor: dass ich mehr für andere da bin, es immer andern mehr recht machen will als meiner eigenen Familie. Aber was kann das Kind dafür. Aber das ist das eine. Das andere ist, dass Dieter sich hier immer mehr wie der Oberpriester aufführt. Gereicht hat mir das eigentlich schon, als er mich einmal fragte, ob ich nicht bei diesen Gebeten mitmachen will. Wo rund um die Uhr in ganz Deutschland gebetet wird, für bestimmte Themen, und jeder bekommt eine feste Uhrzeit zugeteilt, und sie könnten noch einen gebrauchen für drei Uhr nachts. Logisch. Aber da hab ich endlich mal meinen Mut zusammengenommen. Das wär ja alles gut und schön, aber dass ich glaub, hab ich gesagt, ich kann das nicht. Ich wär froh, wenn ich nachts um drei mal schlafen könnte. Und ich würd mich nicht für was verpflichten wollen, was ich dann nicht richtig einhalten kann. So ungefähr. In Wirklichkeit ging mir das auch total gegen den Strich. Nicht das Beten, noch nicht mal das Aufstehen nachts, aber dieser ewige» freiwillige «Zwang. Wie im Sozialismus. Und da sagt der doch glatt zu mir, Dieter:»Na gut, Sonja. Aber du musst ja wissen, wie viel dir Gott wert is. «Mir blieb die Spucke weg. Ich wär ihm am liebsten aufn Fuß getreten, ich hatte grade die richtigen Schuhe dafür an. Aber wir sind ja erwachsene Menschen, ach ja.