Выбрать главу

Warst du, Kathrin, mir zuzählbar, ich dir? Ich war dir abzählbar, dies musstest du dir vom Staate, den du doch gelernt hattest nicht zu befragen, bestätigen lassen, und noch kurz bevor er selber schuldig geschieden ward von der Geschichte, wie ich von dir. Und er machte keine Umstände und zögerte nicht, als er sah, dass es seine verlorene Tochter endlich verlangte heimzukehren. Und das nahmst du in Kauf und nicht länger mich, und um diesen Mut sollen dich alle beneiden und sich dabei ihre Lästerzungen abbeißen.

Und sieh, deshalb war es mir wie eine Züchtigung, als du gingst, eine gerechte: Nicht länger konnte meine Ungenügsamkeit sich deiner Genügsamkeit als eines Anlasses zu Zorn und Vorwurf bedienen und war zurückgeworfen auf sich selbst in ihrer ganzen Unförmigkeit, ihrer Kopflastigkeit, ihrem öden Dasein, nein, man muss sagen, lediglichen Funktion, ganz wie ein Virus nur Funktion ist, als Marterinstrument ihrer selbst. Perpetuum mobile.

Denn wohl war es genügsam gewesen und demütig, Kathrin, sich zu schicken in einen Bund, in dessen Grenzen das Wort SEID FRUCHTBAR UND MEHRET EUCH immer mehr wie ein Hohn zu klingen begann und auch nach zehn Jahren von Mehrung noch nicht und nicht mehr die Rede sein konnte. Und das Ausbleiben dieses Segens fühlte ich begründet in mir, denn unvorstellbar und monströs war mir seit je der Gedanke gewesen, dass etwas von mir ausgehen solle oder wolle, etwas sich herauslösen aus mir, um sodann mir als ein Gegenüber vor das Angesicht zu treten, mit einem Angesichte, das es als sein eigenes behauptet und das ich dennoch als ein Wasserzeichen des meinigen erkennen müsste. Und du, Kathrin, die du keinen Begriff hattest von solcherart monadischem Unbehagen, musstest doch miteinbegriffen sein in seine Folgen, seine Folgenlosigkeit, und diese Leere rumorte gar sehr in dir, aber du wolltest das Nichthaben nicht übertönen lassen das Haben.

Was aber hattest du, was hattest du an mir? Einen Ungenügsamen, der sich, alldieweil seine Geschicke sich besser und besser ausnahmen, um des Misstrauens willen gegen die Zufriedenheit sich nicht bescheiden wollte mit ebendieser. Und wiederum ließ er sich foppen von seinem Schatten, dem Zweifel, und wähnte sich wohl gar als ein möglicher Nachfahr Peter Schlemihls und wollte es schlauer anfangen als dieser und um keinen Preis diesen Schatten sich abschwatzen lassen, sondern um jeden Preis ihn behalten.

Kathrin, hättest du lauter gesprochen. Lauter als mein Onkel, doch das war schwer. Man lerne doch, sich zu erfreuen an den Farben des eigenen Spektrums. Denn was man hat, das hat man eine kurze Frist nur.

Und hast du nichts, bist du nichts, bist du kein Pfarrer, wie er im Buche steht. Kriegst du keinen Pfarrgarten mit Pfarrhaus dran. Kriegst du eine Pfarrstelle mit Balkon dran. Strafe muss sein. Was aber, falls er aufmucken tut und Hebel in Bewegung setzt, die Insassen des Pfarrgehäuses hinauszuhebeln? Nee, nee, zu solcherart Kohlhaasigkeiten darf man ihm gar nicht erst den krummen Rücken stärken und ihm noch gar mehr Respekt erweisen als den übrigen in diesem vielfenstrigen Hause Eingekästelten. Und soll man es denn, wo er doch nun nicht anders behaust ist als Karl Gniedeck und Eugen-der-Beutedeutsche? Soll man nicht. Und muss man nun haben ein unsanftes Ruhekissen derhalben? Muss man nicht. Warum aber tut man umgehen den Pfarrer mit verkniffenen Augen, als hätte man schlecht geschlafen? Und ist vergnatzt, als hätten Pastor und Gewissensbiss in Personalunion einen um den Schlaf der Gerechten gebracht? Warum huscht man flink in seinen Bau, Herr Arndt, und kömmt nur herfür forthnightly dienstags als Fuchs im Kaninchenpelz, und warum führt man gelegentlich dieses Auftauchens aber so wenig Blut in der Leber und nennt nicht beim christlichen Namen die Futterkonkurrenten, während man Galle ausspeit über Anklamer und Umgebungspastoren, Vertreter und Verwalter eines religiösen Schlendrians sondergleichen, Saftsäcke, Teufelsleugner? Denn keinen Namen sollen sie haben, keinen wie Arndt, nicht gedacht soll ihrer werden, denn Arndt allein wird berechnen wieder, wie viel Kamele durch das Nadelöhr gehen und welche. Wozu unabdingbar ist eine Verschlankung, sonderlich der geschwollenen Leber und des Denkorgans, von welchem zu amputieren sind alle Wucherungen seit der Aufklärung. Man werde ganz Ohr. Audire sape.

Ich wollte nicht hören. Als die Zigeunerin in ihrem buntdunklen Verschlag hinter dem Riesenrad auf der Fleischerwiese mir Fünfzehnjährigem in die feuchte Hand und geradewegs ins Milchgesicht sah mit ihren wassergrünen Augen. Ich hielt sie für keine echte und gab ihren Worten keinerlei Glauben bei. Vorbei aber war es sogleich mit meiner astrologischen Phase, nicht länger interessierten mich Konstellationen, die Geburtsstunden meiner Freunde, die stets nur nach die Grenzen der Freundschaft fast überdehnendem Drängen und Versprechen, nämlich auf nach genauesten Berechnungen erfolgender Prognose für die künftigen Geschicke, zum Beispiel mit Barbara oder Evi, herausgebracht werden konnten. Denn herausgebracht werden mussten sie ja zunächst aus den Gebärerinnen, und dass es sich dabei um die eigenen Mütter handelte, war auch den offenherzigsten Bescheidwissern Anlass zu spontaner Verweigerung aufgrund schamhaftigkeitsbedingter Unpässlichkeit. Ich riet zu raschem Nachschlagen im Stammbuch, dessen Verwalterinnen man notfalls durch Vortäuschung eines Anfalls von Familiensinn für das Unterfangen einnehmen musste. Keiner indes war wohl so überzeugend wie der gedächtnisschwache Heiner, der, als er nächtens mit der Taschenlampe über den Blutseintragungen hockend aufgeschreckt wurde, seelenruhig behauptete, ihm sei, er wisse auch nicht wie, sein dritter Vorname entfallen, und dieser nagende Verlust brächte ihn gewiss um allen weiteren Nachtschlaf, sollte er nicht sofort die Reconquista seines Eigentums antreten dürfen.»Viertel vier«, verkündete er mir am folgenden Tage.

«Und wie heißt du nun vollständig?«

Er sah mich nachdenklich an.»Keine Ahnung. Heiner reicht doch, oder?«

Aszendenten. Kümmerten mich nicht mehr, weniger noch, als ich erfuhr des Wortes eigentliche Bedeutung, spät dank der sich im selben versteckten Unrateimer wie Gottes- und Sternenkunde wiederfindenden Humanistischen Bildung und nur accidentaliter bei gefallsüchtiger Aneignung einiger Vokabeln aus meines Vaters Fremdwörterbuche, denn auch ich hatte in jenen Zeiten ein Geschick mit einer Evi, nur hieß sie Margot und war die Tochter des Staatsanwaltes, welche ich gedachte mit bürgerlicher Eloquenz zu mir hin- und von der Marschparole ihres Vaters abzuziehen, allein, Margot war eine dumme Trine. Margot, mein Gott. Aszendenten! Verzeichnet als mein Vater und mein Großvater in unserem Stammbuche. Ausgegangen bin ich aus einer Dynastie von Notaren, denen es gar wohlgefällig und ascending gewesen wäre, hätte ich mich bequemt zu erfüllen das von der wassergrünen Zigeunerin in meine Hand gelesene Schicksal, nämlich zu werden ein Absolvent der Jurisprudenz, ein Richter gar. Grüne Nixe, Wasserfrau, hinabziehen wollte sie mich in ihr nasses Reich vorzeitigen Todes, eintauchen glaubte sie zu können in mich und hervorzerren lange Algen, die mir einwuchsen seit zartester Jugend. Immer gedachte ich mit ihnen einzufangen die Bösewichte, immer zu peitschen die Tunichtgute und Sportlehrer, immer zog ich am linken Ärmel, wenn der rechte länger war, stieß mir den rechten Fuß, wenn der linke schmerzte. Alles konnte ich ertragen, nur die Ungleichheit nicht, und damit nichts. Denn war nicht alles ungleich, ungerecht, aus den Verfugungen wie die blauweißen Fliesen im Bad seit dem letzten Kriege, ein Makel, den zu bemerken mit einer Bemerkung als blasphemisch gegolten hätte, denn allein zu preisen galt es den Fortschritt eines Badezimmers überhaupt samt seiner Fliesen, wo doch ringsum nur Rückschritt und Waschküchen herrschten. Und war ich nun gekommen, sie einzurichten, diese keramische Welt? War ich nicht. Nichts lag mir entfernter, Zuständigkeit war etwas, das man nicht begehren konnte im Staate D.

Auch hatte ich zuerst wohl noch bei mir gedacht, es sei um der sportlichen Betätigung willen und zur Abschüttelung der Studierstubensteifheit von den adoleszenten Gliedern, als ich annahm den Posten des Schiedsrichters in der universitären Fußballerei. Kein bisschen verdächtig erschien es mir, parteilos und trillernd in den Grenzen des grünen Gevierts mich zu bewegen, zu bewegen und nur zu bewegen. Wie eines Märchens nur gedachte ich noch hin und wieder der falschen Zigeunerin, wie eines Dornröschenfluches, den es enttäuschend wenig Mühe gemacht hatte abzuwenden. Hatte man sich nicht bloß zuwenden müssen der Theologie und überwinden den notariellen Willen des Vaters und nichtbeglaubigten des Großvaters selig, der gerade ob seiner Nichtanwesenheit, sondern Übergeordnetheit — so viel Glauben immerhin war ihnen gegeben — als ein argumentum auctoritatis herhalten musste?