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«Na, das nich. Aber, ich mein … Die hatte doch n Kind!«

«Die hatte n Kind? Aber wieso, der Bengel kann doch nich viel älter sein als Romy, oder wat? Sag ma, wie alt isn der?«

«Der doch nich, Mann! Henry! Der Verrückte!«

«Wat?«Nu fällt er aus allen Wolken.»Doch nich der, der die alte Frau, wie hieß die denn noch …«

«Mehling! Der hat die Mehling umgebracht, und was er vorher mit ihr gemacht hat, brauch ich dir ja wohl nich zu erzähln, die Sau! Der war schon als Kind nich ganz dicht war der doch nich, der hätt doch da schon weggeschlossen gehört! Aber die alte Hanske, die hatte auch n Schuss, die war doch völlig überfordert mit dem. Und Ingrid …«

«Die is einfach abgehaun?«

«Sag ich doch. — Übrigens, lass ma dein Bier nich schal werden.«

Er guckt mich an, ganz abwesend.»Jaja«, sagt er und trinkt schnell n Schluck.»Aber da muss der doch noch ganz lütt gewesen sein. Da kann die dat doch noch gar nich, ick mein, na, gewusst haben, wat mit ihm los is, dat mit ihm wat nich stimmt!«

«Wieso, denkst das merkt man nich sofort, so als Mutter? Außerdem, da war der auch schon drei oder so, dreiundsiebzig war das, da hat sie wohl schon die Schnauze voll gehabt. Von allem, denk ich ma. Die musste ja inne Landwirtschaft … Sag ma, Friedhelm, haste vielleicht ma n Schnaps?«

«N Schnaps? Na, höchstens Braunen. Ja?«

Er springt sofort hoch und geht nach nebenan. Hat er wohl bloß drauf gewartet. Ich kann mir jetzt aber keinen ansaufen mit ihm. Er stellt die Gläser hin und kippt ein. Na, nu wirds gemütlich.»Prost!«

«Aber, wann seidn ihr da ausser Schule gekommen, hat die den noch zu Schulzeiten gekriegt? Da hat Elisabeth, glaub ick, damals gar nix von erzählt.«

Elisabeth! Genau! So hieß die, seine Schwester. Elisabeth, komisch, genau wie Ella. Dass man das so vergisst.

«Sag ma, was macht die jetzt eigentlich?«

«Hm, wer? Achso. Na die wohnt jetzt bei Bremen, Elisabeth. Die sind damals alle gleich nach Oberwiesenthal, in die Spinnereien, dat lief ja ganz gut zu DDR-Zeiten, da haben die uch lange gewohnt, die haben nachher uch schon so gequatscht, so wie die Schluchtenjodler. Da war die schon mit Bernd zusammen, dat musst du ja noch mitgekriegt haben, den hat die denn uch geheiratet. — Und die, Ingrid, hatte die uch einen von euch, oder wer war da der Vadder?«

«Wusste doch keiner! Mensch, Friedhelm, du kannst dir gar nich vorstelln, was da los war! Das hat doch noch keiner geahnt, zuerst, bei den Prüfungen hat man ihr ja noch gar nix angemerkt, und denn haben sich erst mal alle verkrümelt, und Ingrid haste sowieso nie gesehn. Aber wie sich das dann rumsprach, so im Herbst, Ingrid rennt mitm dicken Bauch, na, da haben abern paar ganz fix gerechnet, da wurd sich denn erst ma ne Zeitlang schief angeguckt auffer Disco, aber mehr so aus Jux. ›Gib ma ruhig zu, dat du da dran warst!‹ und solche Sachen, aber richtig geglaubt hat das keiner, das war einfach n Unding, Mann, dass Ingrid mit einem von uns, na, aber du kennst die nich. Das wär wie das achte Weltwunder gewesen, wars ja auch. Hätt das einer zugegeben, ich mein, einer von uns: keine Ahnung, was dann passiert wär. Nie hätt das einer zugegeben! Der wär sofort unten durch gewesen. War eben so. Obwohl mir auch keiner erzählen brauch, dass er nich bisschen scharf auf die war, gut sah die ja aus, so auf ihre Art, aber die war ja son totales Rühr-mich-nich-an. Deswegen, hätt auch genauso passieren können, man hätt dem auffe Schulter gekloppt, aber eher nich, und schon gar nich mit schwanger hinterher. Nee, da wusst keiner was. Und die hat nix gesagt, keinen Piep! Keine Ahnung, wieso. Und da war denn natürlich die Gerüchteküche am Brodeln, da konnt das ja nur was total Perverses sein. Wie, dass das ihr Bruder war, Peter, na, ist ja nich ihr richtiger Bruder, aber trotzdem, das reichte schon. War mir auch egal. Wusste eh keiner was.«

«Vielleicht wusst die das selber nich. «Er lacht.

Ich sag:»Doch. Das wusste die.«

«Na, weißt nich, stille Wasser, manchma …«

«Hör uff, Mann! Die war nich so eine, Ingrid nich. Die hätt nich ma Roli, dem die alle hinterhergehechelt sind, die Weiber, nee, nich ma Roli, weißt, Roland, der Schöne Roland, wie sie immer gesagt haben, Möllrich, der Sohn vom Bürgermeister. — Aber Roli, Mann! Und keiner wusst was! Friedhelm! Hast nich noch n Schnaps?«

«Ja, klar.«

Das Glas gießt er randvoll und stellt mir die Flasche vor die Nase. Ich guck auf seins.»Haste da nich was vergessen?«

Er schüttelt mitm Kopp.»Nee, ick nich.«

«Nu mach keine Spirenzchen, Friedhelm! Du kannst mich doch jetzt nich alleine, na, nu komm!«

Er schüttelt mitm Kopp. Na, nu reichts. Steh ich ja wien Säufer da. Ich nehm die Flasche und kipp ihm einen ein.

«Hartmut!«, sagt er.»Pass ma uff: Entweder du willst, dat ick mich zusauf — oder, dat ick dir zuhör!«

«Mann, Friedhelm! Du hast doch keine Ahnung! Das kann man gar nich ohne Saufen ertragen!«

Er guckt mich an.»Ick schon.«

Auf ex. Teufelszeug. Treibt einem bald die Tränen inne Augen. Aber wenn man nu schon so beschissen dran ist wie unsereiner.»Mann, Friedhelm! Du weißt gar nich, wie gut du das hast!«

«Wieso?«

«Keiner hat das gewusst, Mann! Kein Schwein! — Außer ich.«

«Was: außer du?«

«Na, keiner! Bloß — ich! Ich! Verstehste?«

«Du

«Na, nee, also, nich, was du denkst.«

«Achso? Wat denk ick denn?«

«Friedhelm, Mensch, das denkst du doch nu nich, oder? Dass ich — dass ich der Vater von Henry bin, das denkst du doch nich etwa?«

«Hab ick doch gar nich gesagt.«

«Na, denn is ja gut. — Sag ma, du glaubst mir das doch, oder? Du musst mir das wirklich glauben, Friedhelm!«

«Ja doch! Ick weiß gar nich, wat du hier fürn Uffriss machst! Du musst mir uch gar nix erzähln, ick zwing dich doch nich. Außerdem kann mir dat doch egal sein, ob du da nu der Vadder zu bist oder nich. Ick erzähl dat doch uch nich weiter. Wat hastn du für ne Schiss?«

Der denkt das. Der denkt das jetzt wirklich.»Friedhelm! Ich kann das beweisen! Dass ich das nich war. Ich weiß doch Bescheid! Aber das weiß doch sonst keiner, Mann! Das hätt mir doch keiner geglaubt. Der hätt das nich zugegeben. Und Ingrid auch nich. Ich weiß nich, wieso, aber ich weiß das, ich weiß das einfach. Ich konnt nix sagen, verstehste?«

«Nee, nu versteh ick gar nix mehr. Kannst dich nich ma n bisschen sortiern, Hartmut?«

«Ja — nee. Wie er da morgens in die Schule kam und mich angrinste, ich seh das noch vor mir, ich wusst erst gar nich, wieso, aber er hat ja öfter so gegrinst, ganz besonders, wenn er was gemacht hatte. Und als die Tetzlaff fragte, ob einer weiß, wieso Ingrid nich da is, haben wir alle bloß mitte Schultern gezuckt, das kam öfter ma vor, dass die nich da war, besonders so in der letzten Zeit. Ich glaub, die hat sich auch nie n Kopp um Entschuldigungszettel gemacht oder so, die hat einfach gar nix gesagt und lieber n Tadel kassiert. So war die eben. Jedenfalls, das kam keinem komisch vor, dass sie nich da war. Und das hab ich dadran nie kapiert: wieso der da nich einfach sein Maul halten konnte. Das wär doch nie rausgekommen, solange Ingrid nix sagt, und dann hätt er das immer noch abstreiten können. Musste er dann ja gar nich, und das hab ich auch nich kapiert. Wieso die nix gesagt hat. Weißt du eigentlich, wie beschissen das is? Wenn du so ganz alleine dastehst. Ich mein, so wie ich dann dagestanden hab? Als der zu mir gesagt hat, er weiß das? Und gegrinst? Er weiß, wieso Ingrid nich da is? Ich hab mir erst gar nix dabei gedacht. Ich dacht, jetzt kommt wieder irgendwas Versautes, wie der das so rausgehauen hat. Aber er hat bloß gesagt, ›erzähl ich dir nachher‹. Und denn hat er mir das erzählt, in der kleinen Pause.«