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«Ich will keine Wurst«, sage ich, und es klingt so bockig, wie nur Lügen klingen können. Ich bin hergekommen, um zu beobachten. Nicht, um auch unter Beobachtung zu stehen. Betonung auch auf ›auch‹.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Ecki und Konsorten das Zelt entern. Das fehlt ja grade noch. Oh Scheiße. Mama merkt auch sofort wieder alles und sagt:»Die tun dir doch nix!«

Nein, die tun mir nix, oh Mann! Als ob es darum ginge! Aber wieso denk ich da erst jetzt dran? Wie doof bist du denn eigentlich, Romy? Regel Nummer zweihundertsiebenunddreißig: Wenn deine Mutter Jugendclubleiterin ist, kannst du nicht auf die Elpe gehen. Warum nicht? Darum nicht. Dass diese Regelverletzung bisher noch nicht geahndet wurde und mir deshalb noch gar nicht richtig zu Bewusstsein gekommen ist, liegt ja bloß daran, dass bisher noch nicht wieder Club war, weil Mama Urlaub hatte. Das war schon anstrengend genug. Aber jetzt auch noch täglich zu zittern, dass Mama mich, ausführlich in Kenntnis gesetzt von IM Gartenzwerg alias Ecki und seinen Helfershelfern, über meinen außerplanmäßigen Elpebesuch zur Rede stellt, ach was, auch nur anspricht, geht über meine ohnehin angegriffenen Seelenkräfte. Dass sie erfährt, dass ich da war, ist das eine und vielleicht gar nicht so Uninteressante, denn ich wäre gespannt, ob sie dann immer noch die Ansicht verträte, ich solle mehr unter die Leute, oder ob sie dann anfinge, bestimmten Individuen den ›Leute‹-Status abzuerkennen. Grenzen zu setzen, was ja mal etwas direkt Erfrischendes hätte. Das andere, den reinen Umstand unangenehm Überlagernde wäre natürlich das Gesprächsprotokoll. Die Hasen und so weiter. Selbst Mamas gelassenste Reaktion darauf stellte immer noch eine schwere Heimsuchung dar, wenn nicht gar die schwerste: Sie würde vielleicht darüber lachen, es höchst amüsant und ein wenig schockierend finden, was die einfallsreiche Tochter sich da wieder ausgedacht hatte, und: sie würde beifällig nicken,»stolz «auf mich sein, mir förmlich auf die Schulter klopfen. Dafür, dass ich mir» von den Jungs nix gefallen «lasse, dass ich endlich» Selbstbewusstsein «bewiesen hätte, und alles mit dem Untertext: Siehste! Oh, wie sie alle, allen voran unser Geschichtslehrer Herr Jürg, immer um mein» Selbstbewusstsein «besorgt sind, es stets und ständig stärken wollen, zum Beispiel, indem sie mir schon jetzt andeuten, ich solle doch die traditionell vor Ostern fällige Judika-Rede halten. Herr Jürg zwinkerte mir zu. Herr Würg. Mir wurde wirklich übel, als er noch hinzufügte:»Sollst mal sehen, wie gut das für dein Selbstbewusstsein ist! Du kannst das doch!«Ich frage mich, ob ich mir eine derartige unausgesetzte Beleidigung eigentlich bieten lassen muss, und versuche mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass Leute, die keine Ahnung haben, einen eigentlich auch nicht beleidigen können. Ich meine, weiß Jürg irgendetwas über mich, außer dass ich seit der Neunten Geschichte bei ihm hatte und zwischenzeitlich auch mal Deutsch? Die Antwort ist ein uneingeschränktes Nein. Da weiß ich ja noch mehr über ihn, logischerweise, weil einfach mehr dabei herauskommt, wenn hundert einen beobachten als umgekehrt. Zum Beispiel, dass er sich seine Schnotterbremse färbt. Lächerlich! — Natürlich kann ich es; ich weiß nicht, was sie alle dazu treibt, mich zu Sachen ermutigen meinen zu müssen, die mich schlichtweg nicht interessieren! Woher kommt bloß dieser unerschütterliche Glaube, dass das, was man kann, auch das ist, was man will? Beziehungsweise umgekehrt: dass gewisse Defizite, die man auf einem Gebiet aufzuweisen scheint — zum Beispiel auf dem der Busenfreundschaft samt Bussi links und rechts mit Hinz und Kunz — , zwangsläufig auf Unvermögen zurückzuführen seien. Und nicht auf Unwillen.

Ecki hat mich jetzt entdeckt und grinst. Er kommt gemächlich auf uns zugeschlendert, ich starre wie das Kaninchen auf die Schlange. Hasen, Romy, Hasen. Blitzschnell schlage ich einen Haken und fasse Mama scharf ins Auge.»Hör zu: Egal, was sie dir erzählen — glaub es. Wenn du willst. Aber glaub nicht, dass ich irgendwelche Fragen dazu — oder zu interessanten verwandten Themen — beantworten werde. Es geht mir gut und es gibt keinen Anlass zur Sorge, und wenn du denen glauben kannst, dann kannst du auch mir glauben. Ende der Durchsage.«

Zwar hege ich noch die leise Hoffnung, die Erinnerung an diesen Elpe-Abend könnte sich bei Ecki und Konsorten inzwischen verflüssigt haben, in Rauch aufgegangen sein oder zumindest in den Normalfall, nämlich meine Neigung, solchen Angelegenheiten stets eine viel gravierendere Bedeutung zuzumessen als alle anderen — ich weiß auch nicht, warum mir alles so unverhältnismäßig an die Nieren geht. Aber so was behalten die, so was geht in die magere Elpe-Geschichte ein. Im Grunde warten die auch bloß darauf, dass was passiert.

Ich sage:»Hi, Ecki«, als ich mich an ihm vorbeidrücke, und stelle befriedigt fest, dass er kurz irritiert ist, auch, weil er nun seine perfiden Absichten zwischen mir und Mama aufteilen muss. Während ich noch darüber nachdenke, ob das wirklich so clever war, ihn mit Mama allein zu lassen, denn wer weiß, ob er sich überhaupt getraut hätte, was zu sagen, wenn ich dabeigestanden hätte, aber vielleicht ist das auch bloß wieder meine skrupulöse Denkart, stoße ich kurz vor unserem Tisch beinahe mit einem Tanzpaar zusammen. Tatsächlich, es wird übers Rasenparkett geschwoft, ich nehme erst jetzt richtig wahr, dass es so was wie Musik gibt, nun ja, Störgeräusche, Hirnsubstanz vertilgende Ohrwürmer. Ich beneide Paul, der das meiste davon zum ersten und wohl auch letzten Mal hört und wenigstens die Texte ignorieren kann, wie wir bei den englischen Sachen. ER SCHENKTE MIR DEN EIFFELTURM BEIM ERSTEN RENDEZVOUS. Es zieht einem wirklich die Schuhe aus. Man kann nicht mal mehr flüchten. Ich rolle mit den Augen, Paul lacht. Ella scheint das alles sowieso jenseits jeglicher Kommentarbedürftigkeit zu finden. Wahrscheinlich macht das für sie keinen Unterschied, das oder die Beatles. Die Beatles! Das sind doch … nein, sind sie nicht. Sind sie doch!» Was ist das?«, fragt Paul.

KOMM, GIB MIR DEI-NE HAA-A-A-A-A-A-AND, KOMM GIB MIR DEI-NE HAND.

Oh no!» Das ist — die deutsche Version«, sage ich und habe das Gefühl, persönlich dafür verantwortlich zu sein. Etwas schließlich doch zugeben zu müssen. Paul lacht. Er steht auf.»KOMM, GIB MIR DEINE HAND«, sagt er. Er hält auch Ella einen Arm hin, diesmal rollt sie mit den Augen. Ich nehme Pauls Hand, es kommt mir wieder wie etwas geradezu Verbotenes vor. Er dreht sich noch mal zu Ella um,»SAVE THE LAST DANCE FOR ME«, ruft er ihr zu, sie lächelt wenigstens. Kaum stehe ich, wirbelt er mich schon herum. Wir tanzen, ja, wir tanzen! Eigentlich hopsen wir bloß herum, wir tanzen nicht richtig zusammen, aber doch miteinander, eindeutig. Ist mir egal, ob wir die Einzigen sind und ihnen allen gleich die Augen aus den Höhlen treten oder es kein Schwein juckt, dass ich mit Paul McCartney tanze, ist mir alles egal, sogar, ob es Ella egal ist, sogar, ob Paul. Das stimmt vielleicht nicht.»Deine Hände sind kalt«, hat er gesagt, als ich vom Tisch aufgestanden bin. Aber ich merke, es ist nicht so sehr seine Berührung, der sichere Griff, wenn er mich zu sich heranzieht, der Druck seiner Fingerkuppen auf meinen, wenn ich mich drehe. Das kenne ich jetzt schon. Was ich noch nicht kenne, ist diese Ausgelassenheit, die sich nicht mehr in ›meine‹ und ›seine‹ aufspalten lässt. Das Enzym ›wir‹. Synthese und Ekstase, Reaktionszeit zwei Minuten, und dann? Verbeugt sich Paul, zackig und tief, einen Arm vorm Bauch, den andern abgewinkelt, als hielte er etwas darin, eine Gitarre. Und zwar eine für Linkshänder. Ich lache verblüfft auf, aber er sieht mich an, als wüsste er von nichts, und lächelt nur, wie einfach so. Aber er weiß es doch auch nicht. Weiß man denn so was? Oder hat Ella es ihm gesagt? Ich werfe einen Blick zu ihr rüber, aber sie guckt gar nicht her, sie hat offenbar andere Probleme. Ecki. Ich hab gerade noch mitgekriegt, wie er den Schnaps vor sie hingestellt hat, braunen Schnaps, und schon sitzt er ihr gegenüber. Sie guckt nicht hoch. Paul will hingehen, vielleicht wittert er was, vielleicht meine Angst. Trotzdem halte ich ihn plötzlich fest,»wart mal«. Wir stehen nur ein paar Meter entfernt, aber mir ist, als ob ich Ella überhaupt nicht helfen kann. Oder sollte. Oder will. Nur Beobachtung, das scheint mir wichtig zu sein. Dann fällt mir das richtige Wort ein: ›brauche‹. Ich brauche ihr nicht zu helfen. Sie guckt sich nicht nach uns um. Nur stur auf die Tischplatte, das speckige rot-weiß gewürfelte Wachstuch. Auf einmal hebt sie den Kopf, den Kopf mit den glänzenden schwarzen Haaren, langsam, und sieht Ecki an. Sie sitzt, auf ihre verschränkten Arme gestützt, vornübergebeugt da und sieht ihn direkt an, voll in die Glubscher, wette ich, mit ihren knallblauen Augen in seine verklebten, roten Schweinsäuglein. Er grinst, er kapiert überhaupt nichts. Er hält ihr sein Glas zum Anstoßen hin, er hat das feixende Prost, Ella! schon auf den Lippen, ich würde mir am liebsten die Ohren zuhalten. Ella nimmt ihr Glas — und mit einem Ruck, einem Schluck und ohne Ecki auch nur einen Moment aus ihrem Blick zu entlassen, ist der Schnaps in ihrer Kehle verschwunden. Das leere Glas auf dem Tisch hält sie immer noch fest. Sie hat es nicht aufgeknallt, sondern fast wie in Zeitlupe heruntergleiten lassen. Und sie sieht ihn immer noch an. Erst jetzt trinkt er sein Glas aus, verzieht dabei das Gesicht wie beim Rauchen, als hätte Ella ihn gezwungen.»Von danke sagen hältste wohl nix!«Er lallt fast.