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Ella zieht die Augenbrauen hoch.»Oh, ich dacht, das Wort kennst du nich. «Sie grinst ihn an, ganz kurz, und lässt die Mundwinkel sofort wieder fallen. Die einzige Geste, an der ich ihre Nervosität ablesen kann. Daran, und wie sie das Glas festgehalten hat, danach. Vielleicht.

«Ts«, macht Ecki.

Wir gehen hin, als kämen wir gerade vom Klo, und doch wie Regisseur und Dramaturgin, hochzufrieden mit dieser Szene. Ich setze mich neben Ella. Paul bleibt stehen, fragt, ob wir was trinken wollen. Ecki winkt ab, als hätte er schon einen halben Kasten geleert. Mir ist sehr nach Bier. Aber ich fürchte, ich kann meinem armen Mütterlein nicht noch mehr Bedenken ins Herz pflanzen, sie wuchern darin wie verrückt, mehrmals täglich versorgt mit dem Spezialdünger Mutterliebe.»Ne Cola. «Ella nickt.

«Hi, Romy«, sagt Ecki. Vielleicht hat er vergessen, dass ich ihm vorhin schon über den Weg gelaufen bin. Vielleicht hat er alles vergessen. Ich sage nichts. Ich sitze nur da, mit Ella. Er lauert. Er zappelt mit den Knien rum.»Mann, seid ihr maulfaul!«

Wir sagen nichts. Wir sehen uns nicht an, und ihn auch nicht.»Ts«, macht er.»Letztens warste gesprächiger, Romy Plötz. «Dann steht er auf, plumpst noch mal zurück, steht wieder auf.»Na ja! Geh ick ma.«

Als Paul die Gläser abstellt, stößt Ecki mit seinem Hintern noch mal gegen den Tisch, die Cola schwappt über.»Sorry«, sagt er und grinst. Erst als er weg ist, im sicheren Hafen seiner Kumpane eingetrudelt, rühren wir uns wieder, aber wir sehen uns immer noch nicht an. Ella nippt an ihrer Cola, ich trinke nach und nach das ganze Glas leer, ich merke es kaum und bin verwundert über den letzten Tropfen. Einer muss jetzt was sagen, und einer bin natürlich ich, ich muss jetzt was sagen, bloß was? Das Wetter: oh, es hat aufgehört zu regnen; die Musik: Mann, wie bescheuert; der Abend: ach, na ja. Lasst uns gehen.

«Paul.«

Sein Name brennt in meinem Bauch wie die Kohlensäure. Obwohl ich ihn gar nicht ausgesprochen habe. Weil ich — weil nicht ich ihn ausgesprochen habe. Sondern? Ich habe ihn genau gehört, wenn auch leise. Jemand muss ihn ausgesprochen haben. Mit Ellas Stimme. Paul guckt sie an, sollte mich nicht wundern, wenn er auch einen Sinn dafür hat. Ich merke das meistens genau, wenn jemand ein Wort zum ersten Mal ausspricht. Vor allem bei mir selbst. Ich weiß nie, was ich davon halten soll. Schon gar nicht jetzt.

«Ich muss dir was sagen«, sagt Ella. Zu Paul.

«Was?«, fragt er.

Sie wirft mir einen Blick zu, den ich normalerweise als Aufforderung zu schleunigster Entfernung gedeutet hätte. Aber das glaub ich einfach nicht. Sie ist doch nicht etwa drauf und dran, aus welch desperater Übergeschnapptheit auch immer, ihm etwas zu sagen, das mich nichts angeht. Und ob mich das was angeht! Trotzdem frage ich, so kalt wie noch möglich:»Soll ich gehen?«

«Nein«, Ella sieht mich verwundert an,»du weißt das doch auch noch nicht, oder?«

«Was?«, frage ich gereizt. Wie soll ich wissen, ob ich etwas weiß, von dem ich nicht weiß, was es ist? Ich verspüre eine gemeine Lust in mir, Ella die Grenzen ihrer Logik auseinanderzusetzen. Aber sie hat sich, meines gespannten Zuhörens offenbar sicher, längst wieder Paul zugewandt. Sie sagt mit ihrer tiefsten Stimme:»Du hast einen Halbbruder.«

Fast hätte ich aufgelacht. Es klang wie in einem schlechten Ganovenfilm. Er hat einen Halbbruder, Gamaschen-Joe! Einen was? Es klingt auch nicht wie etwas, das vollkommen den Tatsachen entspricht. Eher wie — eine Prophezeiung. Andererseits viel zu konkret dafür und gerade deshalb so unglaubhaft. Bestenfalls noch wie eine Diagnose von etwas zwar nicht Erfreulichem, aber im Grunde Harmlosem: Sie haben Senk- und Spreizfüße.

«Was?«, fragt Paul.

Ella kneift die Lippen zusammen.»Na ja — wie dein Bruder. Nur halb. Also — er hat einen anderen Vater, logisch.«

Logisch?

«Und — wer, ich mein, wer ist der Vater?«

Das erscheint mir vollkommen unlogisch. Dass er gerade diese Frage stellt. Offenbar geht das sogar über Ellas Logikverständnis.

«Wieso — also, keine Ahnung. Aber deine Mutter — mein Vater hat das bloß gesagt, ich mein, er kannte sie doch — also, dass sie schon ein Kind hatte, als sie wegging — von hier. Einen Sohn.«

Ich bin kurz irritiert, als sie» von hier «sagt. Als wäre es das ›Hier‹ gewesen, es hörte sich komischerweise so an, als hätte sie das Kind ›von Hier‹ bekommen, als wäre ›Hier‹ der Vater. Wie ein Vexierbild, oder so, wie mich früher immer Gesichter aus den Tapetenmustern ansprangen, die ich ewig anstarrte, so wie wir ihr beide jetzt auf den Mund starren, als könnte uns eine seiner Bewegungen verraten, worum es hier eigentlich geht. Um den Halbbruder, ja klar. Um den Außerirdischen.

«Denkt ihr, er hat mich angelogen?«Ihre Augenbrauen schieben sich wie schwere Wolken zusammen.

Äh — ja.

«No«, sagt Paul.

«Du wusstest das?«Ich bin nicht sonderlich erstaunt.

«Nein. Nicht genau. Ich wusste nicht das. Aber ich dachte immer, you know — sie ist — sie hat — wie ein Geheimnis, also — sie sagt nicht alles.«

Er sieht mich an. Ich nicke. Ich kenne sie gar nicht, seine Mutter. Ingrid.

«Und wo ist er, mein — Halb-Bruder?«

Ja, genau, wo ist er denn, der Mister Half-Brother? Semi-? Hört sich beides nicht richtig an, es hört sich einfach nicht richtig an. Paul und ein Halbbruder! Kann ja jeder kommen und verkünden, er sei der Neffcousin von Paul McCartney.

Ella seufzt, als frage sie sich, was sie sich da nun bloß eingebrockt hat. Tja.

«Na ja, also — das ist ein bisschen …«

Aha.

«… also — er heißt Henry, Henry Hanske, und …«

Nein!

«… er ist nicht ganz, also — «Sie macht eine Drehbewegung mit dem Zeigefinger in Höhe ihrer Schläfe und presst die Lippen aufeinander.»Also — «

«Disturbed?«, fragt Paul.»Mad? Lunatic? Idiotic? Or just a bit crazy?«

Ella scheint einen Moment zu überlegen, dann nickt sie.»Crazy. Ja.«

Paul klatscht in die Hände, schüttelt den Kopf. Er murmelt etwas,»I knew it«, oder so.

«Nein«, sage ich.»Ill. Really ill. «Und zu Ella, geflüstert:»Er war das doch, oder?«

Sie runzelt die Stirn.

«Die alte Frau«, zische ich.

«Achso«, flüstert sie zurück.»Ja.«

Sie sieht aus, als hätte man sie bei einem Fehler ertappt. Sie tut mir leid. Pauls Blicke pendeln zwischen uns hin und her, er runzelt die Stirn.

«Wollen wir vielleicht woanders hingehen?«, fragt Ella leise. Gute Idee, wirklich, die beste Idee an diesem Abend.