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«Einen Schnaps, bitte, hab ich gesagt.«

«Ja — ja ja. «Seine Hände flatterten hin und her wie seine Augen. Du wolltest nicht das achte Weltwunder sein. Du wolltest allein sein. Sichtbar für alle.

«Nen Pfeffi, Frollein Ingrid?«Eddi Storck ging dir auf die Nerven. Er wollte bloß nett sein. Du wolltest etwas anderes.

«Einen Klaren. Doppelt. «So musstest du nicht gleich wieder seine hellbraunen Augen bemerken, die aufgescheucht in ihrem engen Gehege umherflitzten wie Wachtelküken.

Der Schnaps war scharf und gut. Du trankst sonst keinen Alkohol, wann denn. Du spürtest ihn in der Kehle, im Magen, das war gut. Es war so, wie du es wolltest. Wie es auch mit ihm gewesen war, am Anfang. Nichts, was sich erklären ließe.

Du knalltest das Glas auf die Bar, es knallte von alleine, du wolltest das nicht, nicht wie in einem billigen Western. Dir war, als übertöne das Knallen alle Geräusche im Saal, alle Gespräche, über dich. Was bildetest du dir ein.

«Noch einen«, sagtest du leise. Eddi sah dich erschrocken an. Beim Einschenken ging ihm die Hälfte daneben. Der machts hier auch nicht mehr lange, dachtest du. Das ›auch‹ fiel dir nicht weiter auf.

Er schob sich plötzlich in deinen Augenwinkel, zusammen mit ein paar anderen, die ihn weiter und weiter in dein Blickfeld drängten, aber du ließest es nicht zu, du drehtest den Kopf Stück für Stück in die andere Richtung, justiertest ihn genau so, dass gerade er, geradeso noch darin blieb, und verschwommen blieb. Ein Verschwommener. Der Hecht im Karpfenteich, verirrt. Hechte sind Kannibalen, das wusstest du von Peter. Aber du warst nicht von seiner Sorte, er erkannte dich nicht. Du warst wie ein Kind, das denkt, wenn es die anderen nicht sieht, können es auch die anderen nicht sehen. Wenn er bei dir lag, kniffst du die Augen zusammen, hängtest ihm einen Wimpernschleier um, so mochtest du ihn am liebsten. Wenn er aufbrach, nervös, hastig, drehtest du dich ebenso hastig um. Du warst nicht nervös, du wusstest nicht, was das bedeuten soll.

Als du dich umdrehtest, kniffst du die Augen zusammen, vielleicht war es eine Angewohnheit. Du sahst in den Saal wie in die Sonne. Jeder musste denken, dass du gerade ihn fixiertest. Gerade ihn fixiertest du nicht, aber auch sonst niemanden, du zeigtest dich. Aber niemandem. Du warst für niemanden da. Du musstest das nicht verstehen. Du warst da.

Es war Neumond. Zuerst sahst du nichts als das Flackern der Laterne, ein Wackelkontakt, vielleicht nicht mal das. Das Wort ›nervös‹ fiel dir wieder ein. Nein. Du hattest in Ruhe deinen letzten Klaren getrunken, er brannte kaum noch, alles lässt nach, hattest du gedacht, dann warst du vom Hocker geglitten, deine Beine waren lang genug, dass du nicht albern hattest herunterhopsen müssen, dann warst du über das Parkett und nach draußen gegangen. Du versuchtest dich zu erinnern, welche Musik sie gespielt hatten. Es musste welche gegeben haben, du probiertest verschiedene Schlager in deinem Kopf, keiner passte. Es machte dich wütend. Du warst nicht betrunken, so viel stand fest. Das machte dich auch wütend. Du stiefeltest dreimal um das Kulturhaus, stolpertest dir einen Weg zurecht über Grasbüschel und durch Vorjahreslaub, du wolltest noch nicht ins Bett.

Der kleine Teich zog dich an, du tapptest bis zu seinem Rand, bis die Nässe deine Schuhspitzen durchdrang, und beugtest dich darüber, du konntest absolut nichts erkennen. Kein Entenflott, kein Spiegelbild, nichts. Du fragtest dich, ob es um diese Zeit denn schon Entenflott gab. Irgendetwas an der Frage erschien dir merkwürdig, vielleicht, weil du noch nie darüber nachgedacht hattest. Du hättest fast gelacht. Dir kam das Flugzeug in den Sinn, das in den Teich gestürzt war, es musste ein Ereignis gewesen sein, alle wussten davon, einschließlich dir, oh ja. Du stelltest es dir vor, du empfandest so was wie Mitleid. Mit dem Teich. Fast hättest du geweint. Niemals warst du Schlittschuh gelaufen auf diesem Teich, so wie jetzt die jüngeren Mädchen, du konntest sie sehen aus deinem Zimmerfenster, durch die kahlen Büsche hindurch, sie blieben bis zum Dunkelwerden. Du dachtest, du könntest es vielleicht Heiligabend probieren, gegen fünf, wenn es dämmerte und alle bei der Bescherung hockten. Dir wurde auf einmal ganz wunderlich zumute. Du warst es nicht gewohnt, Pläne für die Zukunft zu machen.

Mitten auf der Dorfstraße gingst du dem Park zu. Er musste da lang, als Einziger, sein Haus lag auf der anderen Seite der Landstraße als eines von vieren, etwas abseits, das letzte Haus vor den Wiesen. In den Wiesen hattest du auf ihn gewartet, abends. Ein einziges Mal hattest du sein Zimmer betreten, nachmittags. Sein Bett mochte nicht viel schmaler als ein Doppelbett gewesen sein. Aber das konntest du gar nicht einschätzen. Du musstest den Umweg über Kossin nehmen, hin und auch zurück, an den Kühen vorbei, die dich anglotzten und muhten. Manchmal sah dich einer, aber grüßte nicht. Zurück brachte er dich ein Stück, du wusstest nicht, wieso. Manchmal sagte er,»bleib mal stehen«, und dann hat er dich noch mal angefasst, und du konntest dich immer nicht entscheiden, ob du das Fahrrad fallen lassen solltest, um beide Hände frei zu haben, oder nicht. Kann sein, er mochte es gerade so. Ansonsten habt ihr wenig geredet. Er brachte dich bis kurz vor Kossin.»Mach kein Licht an«, sagte er. Es fuhren kaum Autos.

Du setztest dich auf einen Baumstumpf im Park, mit den Fingern bröckeltest du rechts und links von dir die morsche Rinde ab. Wenn er alleine kam, wolltest du es ihm sagen, ins Gesicht, in sein Roland-Möllrich-Gesicht. Wenn nicht, erst recht. Du wolltest ihn mit reinziehen. Er würde dir nie verzeihen. Das wäre ja noch schöner.

Der Schöne Roland. Du erklärtest dich selbst für verrückt, du sahst plötzlich alle Gründe ein, aus denen die anderen einen Bogen um dich machten, du sahst, dass es welche gab, du hättest gern selbst einen Bogen um dich gemacht, einen weiteren als sonst. Mitunter schobst du alles auf Peter. Er war nicht mehr da, er kam nicht mehr wie in seiner Lehrzeit jedes Wochenende nach Hause, schon lange nicht mehr, aber es schien dir erst jetzt aufzufallen. Er war Feinmechaniker, er war mit einem Mädchen zusammen, er war in Neubrandenburg. Es gab keine gute Zugverbindung, die Busse brauchten ewig. Er wollte heiraten, im nächsten Frühjahr. Du hattest ihn gefragt, achtjährig, warum er denn nicht im Zeitungskiosk in Anklam arbeiten wolle. Du liebtest dieses Wort, du hattest lange geübt, um es in einem Rutsch aussprechen zu können, überzeugt, dass kein anderer aus deiner Klasse dieses Kunststück beherrschte. Du hast ihm in den Ohren gelegen. Er hätte dir die ganzen bunten Hefte mitbringen können, die sonst immer schon weg waren, und die runden Kaugummis. Du hättest mit dem Fahrrad hinfahren können, na Peter, hättest du gesagt, und die anderen Kinder, auch die älteren, hätten sich nicht vordrängeln können. Weil er doch dein Bruder war. Und dein Bruder hätte dich durch die schmale Tür an der Rückseite gelassen, komm rein, hätte er gesagt, und es wäre sehr eng und wunderbar im Kiosk gewesen, in dem Zeitungskiosk am Breitscheidplatz, wo deine Mutter einmal im Monat den GUTEN RAT FÜR HEUTE UND MORGEN kaufte, wofür man ganz früh aufstehen musste und mit dem ersten Bus in die Stadt fahren, aber du wolltest mit. Auf der Hinfahrt hast du das Wort geübt und hast immer wieder» Breitscheidplatz «geflüstert, schnell hintereinander, wie ein Zungenbrecher, das konntest du schon gut, und es entstand eine lange Kette, so lang wie die Busfahrt, die hast du dir vielfach umgelegt, und wenn ihr fast da wart, wenn du ihn schon sehen konntest, den Breitscheidplatz, den Zeitungskiosk, konntest du kaum noch atmen. Und wenn es noch BUMMI oder FRÖSI gab, dann hast du eins gekriegt. Und jedes Mal hast du deinen Hals gereckt und versucht, in dieses vollgestopfte Häuschen hineinzuspähen, dein dringlichster Wunsch blieb es, einmal hineinzukommen, aber die Verkäuferin dadrin war nicht nett. Deshalb musste es doch Peter übernehmen. Er hätte dich reingelassen, später hättest du als Erste ein NEUES LEBEN gekriegt oder er hätte es dir zurückgelegt, was hättest du mehr gewollt damals, du hättest ihm helfen können, in den Ferien, wenn du nicht wusstest, wohin mit dir.