»Das sagt dein Bruder.«
»Hol dich der Kuckuck, ich sage, er hat hier gesessen; irgendwer hat hier jedenfalls gesessen; er hat seine vier Buchstaben deutlich ins Kissen gedrückt.«
»Das könnte schon tagsüber gewesen sein.«
»Ach was. Am Tag waren sie alle draußen. Du brauchst dein Sadduzäertum auch wieder nicht zu übertreiben, Charles. Ich sage, Cathcart hat hier gesessen und - hallo, hallo!«
Er bückte sich und starrte in den Kamin.
»Das ist ja verbranntes Papier, Charles.«
»Ich weiß. Das hat mich gestern auch schon sehr interessiert, bis ich merkte, daß es in ein paar anderen Zimmern genauso war. Man läßt hier oft das Feuer in den Zimmern ausgehen, wenn tagsüber alle draußen sind, und zündet es dann eine Stunde vor dem Abendessen wieder an. Hier sind nämlich an Personal nur die Köchin, das Hausmädchen und Fleming, und die haben bei so einer großen Gesellschaft allerhand zu tun.«
Lord Peter klaubte die verkohlten Reste zusammen.
»Ich finde nichts, was deiner Vermutung widerspricht«, meinte er traurig, »und dieses Stückchen Morning Post hier bestätigt sie sogar eher. Dann können wir also nur annehmen, daß Cathcart hier gedankenverloren gesessen und gar nichts getan hat. Ich fürchte, das bringt uns nicht viel weiter.« Er stand auf und ging zur Kommode.
»Diese Schildpattgarnitur gefällt mir«, sagte er, »und das Parfüm - Baiser du soir - auch ganz nett. Kannte ich noch nicht. Muß Bunter mal darauf aufmerksam machen. Ein bezauberndes Maniküretui, nicht? Weißt du, ich liebe es ja auch, sauber und adrett zu sein und so, aber Cathcart gehörte zu denen, die einem immer ein bißchen zu gepflegt vorkamen. Armer Teufel! Und jetzt wird er in Golders Green begraben. Ich hab ihn eigentlich nur ein-, zweimal gesehen. Auf mich hat er immer gewirkt wie einer, der schon alles kennt. Ich hab mich ziemlich gewundert, daß Mary etwas an ihm fand, aber ich kenne meine Schwester ja wirklich furchtbar wenig. Sie ist fünf Jahre jünger als ich. Als der Krieg ausbrach, war sie gerade aus der Schule gekommen und nach Paris gegangen. Ich ging zum Militär, und sie kam wieder nach Hause und machte sich in der Krankenpflege und Sozialarbeit nützlich. Dadurch habe ich sie nur hin und wieder mal gesehen. Damals war sie auch ganz besessen von neuen Ideen, die Welt zu verbessern, und hatte nichts mit mir zu reden. Und schließlich ist sie noch an so einen Pazifisten geraten, der wohl ein ziemlich falscher Fuffziger war. Ich selbst wurde krank, wie du weißt, und nachdem mir auch noch Barbara den Laufpaß gegeben hatte, waren die Herzensangelegenheiten meiner Mitmenschen mir ziemlich schnuppe. Dann habe ich bei der Aufklärung des Attenbury-Diamanten-Diebstahls mitgemischt - und das Ergebnis ist, daß ich meine eigene Schwester kaum kenne. Aber ihr Geschmack in bezug auf Männer scheint sich geändert zu haben. Meine Mutter sagte, Cathcart habe Charme; das heißt, daß er auf Frauen wirkte. Als Mann kann man das ja von einem anderen nie sagen, aber Mutter hat meist recht. Was ist aus seinen Papieren geworden?«
»Er hatte hier kaum welche«, antwortete Parker. »Ein Scheckheft von der Cox-Filiale am Charing Cross, aber verhältnismäßig neu und nicht sehr aufschlußreich. Anscheinend hatte er dort nur ein kleines Konto für seine Englandaufenthalte. Die meisten Schecks sind auf ihn selbst ausgestellt, und dann und wann hat er eine Hotel- oder Schneiderrechnung bezahlt.«
»Hatte er kein Bankbuch?«
»Ich glaube, seine wichtigen Papiere sind alle in Paris. Er hat dort eine Wohnung, irgendwo unweit der Seine. Wir stehen mit der Pariser Polizei in Verbindung. Dann hatte er noch ein Zimmer in Albany. Ich habe angeordnet, daß es versiegelt wird, bis ich hinkomme. Morgen wollte ich hinfahren.«
»Das wird am besten sein. Brieftasche?«
»Ja, hier. Etwa dreißig Pfund in verschiedenen Scheinen, die Karte eines Weinhändlers und eine Rechnung für eine Reithose.«
»Keine Korrespondenz?«
»Nicht eine Zeile.«
»Nein«, meinte Wimsey, »ich glaube, er war so einer, der keine Briefe aufhob. Viel zu ausgeprägter Selb sterhaltungstrieb.«
»Stimmt. Ich habe sogar schon die Dienstboten nach seiner Korrespondenz gefragt. Sie sagen, er hat ziemlich viele Briefe bekommen, aber nie einen herumliegen lassen. Was er an Briefen geschrieben hat, konnten sie mir nicht sagen, weil alle ausgehende Post in den Postsack geworfen wird, der so, wie er ist, zur Post gebracht und erst dort geöffnet wird, oder man gibt ihn dem Briefträger mit, wenn er sich mal hier sehen läßt. Im allgemeinen bestand der Eindruck, daß er nicht viel schrieb. Das Hausmädchen sagt, sie hat in seinem Papierkorb nie etwas gefunden, was der Rede wert war.«
»Na, das hilft uns ja ungemein weiter. Moment mal. Hier ist sein Füllfederhalter. Sehr hübsch - Onoto mit komplettem Goldgehäuse. Ach Gott, vollkommen leer! Na ja, ich wüßte nicht, was man daraus genau schließen könnte. Einen Bleistift sehe ich auch nirgends. Langsam glaube ich, daß deine Vermutung, er habe Briefe geschrieben, falsch war.«
»Ich habe nichts dergleichen vermutet«, antwortete Parker nachsichtig. »Aber ich glaube, du hast recht.«
Lord Peter wandte sich von der Kommode ab, sah kurz den Inhalt des Kleiderschranks durch und nahm sich die paar Bücher vor, die auf dem Regal neben dem Bett standen.
»La Rôtisserie de la Reine Pédauque, L'Anneau d'Améthyste, South Wind (unser junger Freund macht seinem Typ alle Ehre), Chronique d'un Cadet de Coutras (na, na, Charles!), Manon Lescaut. Hm. Gibt's hier in diesem Zimmer noch etwas, das ich mir ansehen sollte?«
»Ich glaube nicht. Wo möchtest du jetzt weitermachen?«
»Wir folgen ihnen nach unten. Sekunde! Wer wohnt in den anderen Zimmern? Ah, ja. Hier ist Geralds Zimmer. Helen ist in der Kirche. Nichts wie hinein. Hier ist natürlich abgestaubt und geputzt worden, so daß bestimmt nichts mehr zu finden ist, wie?«
»Ich fürchte ja. Schließlich konnte ich der Herzogin nicht gut ihr eigenes Zimmer verbieten.«
»Richtig. Hier ist das Fenster, aus dem Gerald ihm nachgerufen hat. Hm! Im Kamin ist natürlich auch nichts - das Feuer ist seitdem wieder angemacht worden. Weißt du, ich frage mich, wo Gerald diesen Brief hingetan hat - den von Freeborn, meine ich.«
»Darüber hat bisher niemand ein Wort von ihm herausgekriegt«, sagte Parker. »Mr. Murbles hat schon seine liebe Not mit ihm gehabt. Der Herzog behauptet steif und fest, er habe ihn vernichtet. Mr. Murbles hält das für Unsinn. Ist es auch. Wenn er dem Verlobten seiner Schwester so einen Vorwurf machen wollte, hätte er doch wenigstens einen Beweis dafür erbracht, daß in seinem Wahnsinn Methode steckte, nicht wahr? Oder war er einer von diesen Patriarchen, die nur zu sagen brauchten: >Als Oberhaupt der Familie verbiete ich diese Heirat<?«
»Gerald«, sagte Wimsey, »ist ein guter, ordentlicher, anständiger, wohlerzogener Internatsschüler und ein furchtbarer Esel. Aber für so mittelalterlich halte ich ihn nicht.«
»Aber wenn er den Brief hat, warum zeigt er ihn nicht?«
»Allerdings, warum nicht? Briefe aus Ägypten von früheren Kommilitonen sind im allgemeinen so kompromittierend nicht.«
»Du meinst also nicht«, fuhr Parker zögernd fort, »daß dieser Mr. Freeborn in seinem Brief auf irgendeine alte - äh -Episode angespielt haben könnte, die dein Bruder nicht gern der Herzogin erzählen möchte?«
Lord Peter betrachtete gedankenverloren eine Reihe Schuhe und schwieg.
»Das wäre eine Idee«, meinte er schließlich. »Es hat solche Episoden gegeben - ganz harmlos, aber Helen würde großes Aufheben davon machen.« Er pfiff nachdenklich durch die Zähne. »Aber immerhin, wenn's zum Galgen geht -«
»Glaubst du, daß dein Bruder wirklich mit dem Galgen rechnet, Wimsey?« fragte Parker.
»Murbles wird ihm das schon klargemacht haben«, sagte Lord Peter.
»Schon. Aber kann er es sich wirklich vorstellen - begreift er voll und ganz, daß man einen englischen Peer auf Grund von Indizien wegen Mordes aufhängen kann?«