und weiter ging sie nicht.«
»Großer Dichter, dieser Wordsworth«, sagte Lord Peter. »War schon immer meine Meinung. Also, sehen wir mal. Diese Fußabdrücke - von einem Mann, Schuhgröße 45 mit schiefen Absätzen und einem Flicken an der linken Innenseite -kommen vom festen Weg, auf dem keine Spuren zu sehen sind; sie nähern sich der Leiche - hier, wo die Blutlache ist. Sag mal, das ist doch komisch, findest du nicht? Nein? Na ja, vielleicht nicht. Ob keine Spuren unter der Leiche sind? Schwer zu sagen, das ist alles so ein Matsch hier. Also, der Unbekannte kommt bis hierher - hier ist ein sehr tiefer Abdruck. Wollte er Cathcart einfach in den Brunnen werfen? Er hört ein Geräusch, schrickt zusammen, macht kehrt und rennt auf leisen Sohlen -ins Gebüsch, beim Zeus!«
»Eben«, sagte Parker, »und von da führt die Spur zu einem Graspfad im Wald und endet dort.«
»Hm! Na schön, wir gehen ihr später nach. Aber zunächst: Wo kommt sie her?«
Die beiden Freunde folgten gemeinsam dem Weg, der vom Haus wegführte. Der Kiesboden war bis auf den kleinen Flecken vor dem Wintergarten alt und hart und wies kaum Spuren auf, vor allem nachdem es die letzten Tage geregnet hatte. Parker konnte Wimsey jedoch versichern, daß dort deutliche Schleif- und Blutspuren gewesen waren.
»Was für Blutspuren? Tropfen?«
»Nein, verschmiertes Blut. Auf dem ganzen Weg waren auch Furchen in den Kies gekratzt. Und hier kommt nun etwas Merkwürdiges.«
Es war der deutliche Abdruck einer Männerhand, tief in die Erde an der Rasenkante eingedrückt, mit den Fingern zum Haus. Auf dem Kiesweg waren zwei lange Furchen zu erkennen. Das Gras zwischen Weg und Beet war blutverschmiert, und die Kante stark zertreten.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Lord Peter.
»Häßlich, wie?« stimmte Parker zu.
»Der arme Teufel!« meinte Peter. »Er hat verzweifelt versucht, sich hier festzukrallen. Das erklärt auch das Blut an der Wintergartentür. Aber was für ein Ungeheuer schleift eine Leiche durch die Gegend, die noch nicht einmal ganz tot ist?«
Ein paar Schritte weiter mündete der Pfad in den Hauptzufahrtsweg. Rechts und links von diesem standen Bäume, die sich zu einem Dickicht weiteten. An der Stelle, wo die beiden Wege sich trafen, fanden sich weitere undeutliche Spuren, und noch einmal rund zwanzig Schritte weiter schwenkten sie ins Dickicht ab. Irgendwann war hier einmal ein großer Baum umgestürzt und hatte eine kleine Lichtung hinterlassen, in deren Mitte jetzt eine Plane ausgebreitet und am Boden befestigt worden war. Die Luft roch schwer nach Pilzen und gefallenem Laub.
»Der Schauplatz der Tragödie«, sagte Parker kurz und rollte die Plane zurück.
Lord Peter starrte traurig zu Boden. Eingemummt in einen Mantel nebst dickem grauem Schal wirkte er mit seinem langen, schmalen Gesicht wie ein Marabu. Der zappelnde Körper des gestürzten Mannes hatte das modernde Laub aufgewühlt und einen tiefen Eindruck im weichen Boden hinterlassen. An einer Stelle zeigte die dunklere Färbung der Erde, wo eine große Blutlache eingesickert war, und das Rostrot auf den gelben Blättern einer Weißpappel war nicht herbstlich.
»Hier hat man das Taschentuch und den Revolver gefunden«, sagte Parker. »Ich habe nach Fingerspuren gesucht, aber Regen und Matsch hatten schon alles weggespült.«
Wimsey zückte seine Lupe, legte sich auf den Bauch und kroch, von Parker stumm gefolgt, den Ort des Geschehens höchstpersönlich ab.
»Er ist eine Zeitlang auf und ab gegangen«, sagte Lord Peter. »Geraucht hat er nicht. Er muß über etwas nachgedacht oder auf jemanden gewartet haben. Was ist denn das? Aha! Wieder unsere Schuhgröße 45, diesmal von der andern Seite der Lichtung. Keine Kampfspuren. Merkwürdig! Cathcart wurde doch aus nächster Nähe erschossen, oder?«
»Ja, sein Hemd war vorn versengt.«
»Eben. Wieso hat er stillgehalten und sich erschießen lassen?«
»Ich stelle mir vor«, sagte Parker, »daß Schuhgröße 45, falls er sich hier mit ihm treffen wollte, jemand war, den er kannte, der also nah an ihn herankommen konnte, ohne seinen Argwohn zu erregen.«
»Demnach wäre es eine friedliche Begegnung gewesen, wenigstens von Cathcart aus gesehen. Aber das reimt sich nicht mit dem Revolver. Wie kommt Schuhgröße 45 an Geralds Revolver?«
»Die Tür zum Wintergarten war offen«, meinte Parker zweifelnd.
»Das wußten aber nur Gerald und Fleming«, erwiderte Lord Peter. »Außerdem, du wirst mir doch nicht weismachen wollen, daß Schuhgröße 45 da hineingegangen ist, um aus dem Arbeitszimmer den Revolver zu holen, dann wieder hierher zurückgekommen ist und Cathcart erschossen hat? Das käme mir etwas umständlich vor. Wenn er eine Schießerei vorgehabt hätte, wäre er von vornherein bewaffnet gekommen.«
»Ich halte es für wahrscheinlicher, daß Cathcart den Revolver mitgebracht hat«, meinte Parker.
»Warum sind dann keine Kampfspuren zu sehen?«
»Vielleicht hat Cathcart sich selbst erschossen«, sagte Parker.
»Aber warum hätte Schuhgröße 45 ihn dann erst zu einer auffälligen Stelle schleppen sollen, bevor er weglief?«
»Moment«, sagte Parker. »Was hältst du davon? Schuhgröße 45 hat eine Verabredung mit Cathcart - sagen wir, um ihn zu erpressen. Irgendwie gelingt es ihm, Cathcart zwischen Viertel vor und Viertel nach zehn von dieser Absicht in Kenntnis zu setzen. Das würde den Stimmungsumschwung bei Cathcart erklären, und damit könnten sowohl Mr. Arbuthnot als auch der Herzog die Wahrheit gesagt haben. Cathcart rennt nach dem Krach mit deinem Bruder wütend aus dem Haus. Er kommt hierher, um seine Verabredung einzuhalten. Während er auf Schuhgröße 45 wartet, geht er auf und ab. Schuhgröße 45 kommt und verhandelt mit Cathcart. Cathcart bietet ihm Geld an. Schuhgröße 45 will mehr. Cathcart sagt, daß er soviel wirklich nicht hat. Daraufhin sagt Schuhgröße 45, daß er die Bombe platzen lassen will. Cathcart antwortet: >Dann kannst du zum Teufel fahren. Dahin fahre ich nämlich auch.< Cathcart, der sich den Revolver schon vorher beschafft hat, erschießt sich. Schuhgröße 45 wird von Reue gepackt. Er sieht, daß Cathcart noch nicht ganz tot ist, hebt ihn auf und trägt und schleift ihn halb und halb zum Haus. Er ist kleiner als Cathcart und nicht sehr kräftig und muß sich schwer plagen. Gerade sind sie bis zur Tür des Wintergartens gekommen, da erleidet Cathcart einen letzten Blutsturz und gibt seinen Geist auf. Schuhgröße 45 begreift plötzlich, daß er in einer Situation ist - morgens um drei allein mit einer Leiche auf einem fremden Grundstück -, die der Erklärung bedarf. Er läßt Cathcart fallen und sucht das Weite. Es tritt auf der Herzog von Denver und stolpert über die Leiche. Tableau!«
»Das ist gut«, sagte Lord Peter. »Sehr gut sogar. Aber wann soll sich das Ganze nach deiner Theorie abgespielt haben? Gerald hat die Leiche um drei Uhr gefunden; der Doktor kam um halb fünf und behauptete, Cathcart sei schon mehrere Stunden tot. Bitte sehr. Und was ist mit dem Schuß, den meine Schwester um drei Uhr gehört hat?«
»Sieh mal«, meinte Parker, »ich möchte deiner Schwester wirklich nicht zu nahe treten. Sagen wir mal, ich vermute, daß der Schuß um drei Uhr von Wilderern abgegeben wurde.«
»Selbstverständlich waren das Wilderer«, sagte Lord Peter. »Also wirklich, Parker, ich glaube, das hat Hand und Fuß. Machen wir uns diese Erklärung vorerst zu eigen. Dann gilt es jetzt vor allem, Schuhgröße 45 zu finden, weil er bezeugen kann, daß Cathcart Selbstmord begangen hat; und das ist, was meinen Bruder betrifft, überhaupt der springende Punkt. Aber zur Befriedigung meiner eigenen Neugier möchte ich gern noch wissen: Womit hat Schuhgröße 45 Cathcart erpreßt? Wer hat einen Koffer im Wintergarten versteckt? Und was tat Gerald morgens um drei Uhr draußen im Garten?«
»Tja«, sagte Parker, »dann schlage ich vor, wir versuchen als erstes festzustellen, woher Schuhgröße 45 kam.«
»Hoho!« rief Wimsey plötzlich, als sie sich wieder dem Weg zuwandten. »Da liegt ja was - Parker, wir haben einen echten Schatz gefunden!«