»Ich mache mir wirklich Sorgen um sie«, antwortete die Herzogin. »Sie läßt sich so merkwürdig gehen. Das paßt gar nicht zu ihr. Sie läßt auch kaum jemanden in ihre Nähe. Ich habe wieder nach Dr. Thorpe geschickt.«
»Findest du nicht auch, sie sollte besser aufstehen und ein bißchen zu uns runterkommen?« meinte Wimsey. »So allein muß sie ja ins Brüten kommen, denke ich. Freddys geistreiche Unterhaltung würde sie sicher aufmuntern.«
»Du darfst nicht vergessen«, erwiderte die Herzogin, »daß die Ärmste mit Hauptmann Cathcart verlobt war. Nicht jeder ist so gefühllos wie du.«
»Sind noch mehr Briefe da, Euer Gnaden?« fragte der Diener, der eben mit dem Postsack hereinkam.
»Ach, bringen Sie jetzt die Post weg?« fragte Wimsey. »Ja, hier ist einer - und noch einer, wenn's Ihnen nichts ausmacht, eine Minute zu warten, bis ich ihn geschrieben habe. Ich möchte so schnell schreiben können wie die Leute in den Filmen«, fuhr er fort und schrieb rasch, während er weitersprach: »>Liebe Lilian, Dein Vater hat Mr. William Snooks umgebracht, und wenn Du mir nicht durch Überbringer desselbigen sofort tausend Pfund schickst, erzähle ich alles Deinem Mann. Hochachtungsvoll, Dein Earl of Digglesbrake.< So macht man das; und alles mit einem Federstrich. Hier, Fleming.«
Der Brief war an Ihre Gnaden die Herzoginwitwe von Denver gerichtet.
Aus derMorningPost von Montag, dem ... November 19 ...: HERRENLOSES MOTORRAD Ein Viehtreiber machte gestern eine erstaunliche Entdeckung. Er pflegt seine Kühe an einem bestimmten Teich zu tränken, der etwa zwölf Meilen südlich von Ripley ein wenig abseits von der Straße liegt. Diesmal sah er, daß eines seiner Tiere offenbar Schwierigkeiten hatte. Als er hinging, um ihm zu helfen, mußte er feststellen, daß es sich in einem Motorrad verfangen hatte, das in den Teich gefahren und dort zurückgelassen worden war. Mit Unterstützung einiger Arbeiter zog er die Maschine heraus. Es handelte sich um eine Douglas mit dunkel grauem Beiwagen. Die Nummernschilder waren abmontiert. Es ist ein tiefer Teich, in dem das Gespann völlig untergetaucht war. Wahrscheinlich hat es jedoch nicht länger als eine Woche darin gelegen, denn der Teich wird sonntags und montags vielfach als Viehtränke benutzt. Die Polizei sucht zur Zeit noch den Besitzer. Am Vorderrad befindet sich ein neuer Dunlopreifen, und der Reifen des Beiwagens ist stark geflickt. Es handelt sich um ein sehr abgenutztes 1914er Modell.
»Das erinnert mich an etwas«, sagte Lord Peter nachdenklich. Er suchte auf einem Fahrplan die Abfahrtszeit des nächsten Zuges nach Ripley heraus und ließ den Wagen vorfahren.
»Und schicken Sie Bunter zu mir«, fügte er hinzu.
Dieser Herr erschien, als sein Gebieter sich gerade in den Mantel zwängte.
»Was hat da noch am Donnerstag von einem Nummernschild in der Zeitung gestanden, Bunter?« erkundigte sich Seine Lordschaft.
Wie von Zauberhand brachte Bunter den Ausschnitt einer Abendzeitung zum Vorschein:
DAS VERSCHWUNDENE NUMMERNSCHILD Heute morgen um sechs Uhr wurde der Pfarrer Nathaniel Foulis aus der Pfarrei St. Simon in North Fellcote angehalten, weil er ein Motorrad ohne Nummernschild fuhr. Der hochwürdige Herr war wie vom Donner gerührt, als man ihn auf sein Vergehen aufmerksam machte. Er erklärte, er sei um vier Uhr dringend zu einem Sterbenden gerufen worden, der sechs Meilen entfernt wohnte, um ihm die Sakramente zu spenden. Er sei mit dem Motorrad hingefahren und habe es vertrauensvoll an der Straße stehen lassen, während er seiner frommen Pflicht nachkam. Um halb sechs habe er das Haus wieder verlassen und nicht gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Mr. Foulis ist in North Fellcote und Umgebung wohlbekannt und dürfte unzweifelhaft einem dummen Streich zum Opfer gefallen sein. North Fellcote ist ein kleines Dorf wenige Meilen nördlich von Ripley.
»Bunter, ich fahre nach Ripley«, sagte Lord Peter.
»Ja, Mylord. Werden Mylord mich benötigen?«
»Nein«, sagte Lord Peter, »aber - wen hat meine Schwester denn hier als Zofe, Bunter?«
»Ellen, Mylord - das Hausmädchen.«
»Dann wünsche ich, daß Sie Ihr Unterhaltungstalent bei Ellen zur Geltung bringen.«
»Sehr wohl, Mylord.«
»Flickt und reinigt sie auch die Kleider meiner Schwester und so weiter?«
»Ich glaube ja, Mylord.«
»Aber setzen Sie ihr keine Flöhe ins Ohr, verstanden, Bunter?«
»So etwas würde ich bei einer Frau nie wagen, Mylord. Es steigt ihnen nur zu Kopf, wenn ich so sagen darf.«
»Wann ist Mr. Parker nach London gefahren?«
»Heute früh um sechs Uhr, Mylord.«
Die Umstände begünstigten Mr. Bunters Ermittlungen. Er begegnete Ellen, als sie mit einem Armvoll Kleider die Hintertreppe herunterkam. Dabei wurde ein Paar Lederhandschuhe versehentlich zu Boden gerissen, und Bunter hob sie mit einer Entschuldigung auf und folgte der jungen Frau damit ins Dienstbotenzimmer.
»Da«, sagte Ellen, indem sie ihre Bürde auf den Tisch warf. »Und was ich für Arbeit hatte, die Sachen zu kriegen, das kann ich Ihnen sagen! Einen Rappel nenne ich das, so zu tun, als wenn man solche Kopfschmerzen hätte, daß man keinen Menschen in sein Zimmer lassen kann, um die Sachen zum Ausbürsten abzuholen, und kaum bin ich draußen, springt sie aus dem Bett und hopst im ganzen Zimmer rum. So was nenn ich keine Kopfschmerzen, oder? Aber bitte! Ich sag Ihnen, solche Kopfschmerzen, wie ich sie manchmal kriege, haben Sie noch nie gehabt. Da denke ich, mir zerspringt der Kopf - ich könnte mich nicht auf den Beinen halten, und wenn das Haus am Brennen wär. Muß mich hinlegen und liegenbleiben -grausam ist das, sag ich Ihnen. Und was man davon für Falten auf der Stirn kriegt.«
»Also, Falten sehe ich nun wirklich keine«, entgegn ete Mr. Bunter, »aber vielleicht habe ich nur nicht genau genug hingeschaut.« Es folgte ein Zwischenspiel, bei dem Mr. Bunter genau genug und nah genug hinsah, um eventuelle Falten zu entdecken. »Nein«, sagte er. »Wo sollen da Falten sein? Ich glaube, ich würde nicht einmal welche finden, wenn ich das große Mikroskop nähme, das Seine Lordschaft in London hat.«
»Meine Güte, Mr. Bunter«, sagte Ellen, indem sie einen Schwamm und ein Fläschchen Benzin aus dem Schrank nahm, »wozu braucht denn Seine Lordschaft so ein Ding?«
»Wissen Sie, Miss Ellen, bei unserem Hobby, der Kriminalistik, will man manchmal etwas besonders stark vergrößert sehen - wenn es zum Beispiel um eine Fälschung geht, wollen wir sehen, ob an der Schrift etwas verändert oder ausgelöscht oder ob mit zweierlei Tinte geschrieben wurde. Oder wir sehen uns die Haarwurzeln an, wenn wir wissen wollen, ob ein Büschel Haare ausgerissen wurde oder ausgefallen ist. Oder wir möchten zum Beispiel bei einem Blutflecken wissen, ob es Tierblut oder Menschenblut ist, oder vielleicht auch nur ein Rotweinfleck.«
»Aber stimmt es denn wirklich, Mr. Bunter«, fragte Ellen, indem sie einen Tweedrock auf dem Tisch ausbreitete und die Benzinflasche entstöpselte, »daß Sie und Lord Peter das alles feststellen können?«
»Natürlich sind wir keine Chemiker«, antwortete Mr. Bunter, »aber Seine Lordschaft hat Erfahrung in vielen Dingen - genug jedenfalls, um zu erkennen, wann etwas verdächtig aussieht, und wenn wir Zweifel haben, wenden wir uns an einen sehr berühmten Wissenschaftler.« (Er fing galant Ellens Hand ab, die sich mit einem benzingetränkten Schwamm dem Tweedrock näherte.) »Sehen Sie, da ist zum Beispiel ein Fleck am Rocksaum, unten an der Seitennaht. Nun nehmen wir mal an, es handelt sich um einen Mordfall, und die Person, die diesen Rock getragen hat, ist der Tat verdächtig, dann würde ich diesen Fleck untersuchen.« (Mit diesen Worten zauberte Mr. Bunter eine Lupe aus der Tasche.) »Dann würde ich mit einem feuchten Taschentuch über den Rand reiben.« (Er ließ den Worten die Tat folgen.) »Und dabei würde ich sehen, daß es sich rot färbt. Dann würde ich den Rock umwenden und feststellen, daß der Fleck durch den ganzen Stoff geht; daraufhin würde ich eine Schere nehmen« (Mr. Bunter nahm eine kleine, scharfe Schere zur Hand) »und ein Stückchen von der Innenkante des Saums abschneiden, so« (er tat es), »und das würde ich in dieses Döschen tun« (ein kleines Döschen erschien wie von selbst aus Bunters Brusttasche), »das ich auf beiden Seiten mit einem Etikett versiegeln würde, und darauf würde ich schreiben: >Lady Mary Wimseys Rock< und das Datum. Dann würde ich das Ganze sofort zu diesem Chemiker in London schicken, und der würde den Stoff unterm Mikroskop betrachten und mir sofort sagen, es handle sich zum Beispiel um Kaninchenblut, das schon soundso viele Tage alt sei, und damit wäre der Fall erledigt«, endete Mr. Bunter triumphierend, indem er die Nagelschere und ganz in Gedanken auch gleich das Schächtelchen nebst Inhalt wieder in die Tasche steckte.