»Dann hätte er sich aber geirrt«, erwiderte Ellen mit einer neckischen Kopfbewegung, »denn das Blut ist von einem Vogel und nicht von einem Kaninchen, weil Lady Mary mir das selbst gesagt hat; und ginge es nicht schneller, einfach die betreffende Person zu fragen, statt erst mit so komischen Sachen wie Ihrem Mikroskop herumzuspielen?«
»Nun, ich habe das Kaninchenblut ja nur als Beispiel erwähnt«, sagte Mr. Bunter. »Komisch, daß sie da unten einen Blutfleck abbekommen hat. Sie muß sich ja regelrecht hineingekniet haben.«
»Ja, das arme Ding muß stark geblutet haben. Da hat wohl einer ziemlich schlecht geschossen. Seine Gnaden war es sicher nicht, und auch nicht der arme Hauptmann. Vielleicht Mr. Arbuthnot. Der ballert manchmal ein bißchen wild in die Gegend. Häßliche Sache jedenfalls, und so schlecht zu reinigen, wenn man zu lange wartet. Ich kann Ihnen sagen, mir war an dem Tag, an dem der arme Hauptmann erschossen wurde, auch nicht nach Reinigen; und dann diese Voruntersuchung - so was Schreckliches -, und Seine Gnaden dann einfach so abzuführen! Mich hat das furchtbar aufgeregt. Wahrscheinlich bin ich ein bißchen überempfindlich. Jedenfalls wußten wir alle die ersten Tage nicht, wo uns der Kopf stand, und dann schließt Lady Mary sich auch noch oben in ihrem Zimmer ein und läßt mich nicht an den Kleiderschrank. >Oh!< sagt sie. >Laß diesen Kleiderschrank in Ruhe. Hörst du nicht, wie er quietscht, das halte ich nicht aus, wo mir der Kopf so weh tut und meine Nerven so angegriffen sind<, sagt sie. >Aber ich will doch nur Ihre Röcke ausbürsten, Mylady<, sag ich. >Laß meine Röcke in Ruhe<, sagt sie, >und geh jetzt, Ellen. Ich schreie, wenn ich dich noch einmal da herumkramen sehe. Du gehst mir auf die Nerven<, sagt sie. Na ja, und wieso hätte ich da noch weiterarbeiten sollen, wenn man so mit mir spricht? Muß ja sehr schön sein, wenn man eine Lady ist, da kann man alle Launen mit schlechten Nerven entschuldigen. Ich weiß noch, wie schrecklich ich dran war, als mein Freund, der arme Bert, im Krieg gefallen ist - die Augen hab ich mir fast ausgeweint; aber mein Gott, Mr. Bunter, ich hätte mich doch geschämt, mich so aufzuführen. Außerdem, unter uns gesagt, ich glaube, Lady Mary war in den Hauptmann gar nicht so verliebt. Sie hat nicht gewußt, was sie an ihm hatte, das hab ich auch mal zur Köchin gesagt, und die hat mir recht gegeben. Er hatte schon was an sich, der Hauptmann. Natürlich immer ganz ein Herr; hat nie was gesagt, was ihm nicht zukam - das soll das nicht heißen -, aber ich meine, es hat immer Freude gemacht, für ihn was zu tun. Und so ein schöner Mann war er ja auch, Mr. Bunter.«
»Aha!« sagte Mr. Bunter. »Alles in allem hat Lady Mary sich also etwas mehr erregt, als man von ihr erwartet hätte, ja?«
»Also, ganz ehrlich, Mr. Bunter, ich halte das Ganze nur für Anstellerei. Sie wollte ja bloß heiraten und weg von zu Hause. So ein gemeiner Fleck. Richtig eingetrocknet. Mit dem Herzog ist sie ja nie gut ausgekommen, und wie sie im Krieg in London war, da hat sie sich ja was geleistet, Offiziere gepflegt und sich mit allerlei komischen Leuten eingelassen, mit denen Seine Gnaden nicht einverstanden war. Sie soll sogar eine Affäre mit so einem richtig heruntergekommenen Kerl gehabt haben, sagt die Köchin; ich glaube, das war so ein dreckiger Russe - die uns hier alle in Stücke hauen wollen - als wenn im Krieg nicht schon genug Menschen gestorben wären! Jedenfalls hat Seine Gnaden sich furchtbar aufgeregt und ihr alles Geld gesperrt und sie nach Hause schicken lassen, und seitdem will sie nur noch weg, egal mit wem. Was die sich alles einbildet! Zum Davonlaufen, sag ich Ihnen. Aber Seine Gnaden tut mir leid. Ich kann mir vorstellen, wie ihm zumute ist. Der arme Mann! Und dann für einen Mord verhaftet und eingesperrt zu werden wie ein lausiger Landstreicher. Das muß man sich mal vorstellen!«
Nachdem ihr Atemvorrat erschöpft und die Blutflecken ausgewaschen waren, hielt Ellen inne und streckte den Rücken.
»Harte Arbeit ist das«, sagte sie, weiterrubbelnd, »mir tut schon alles weh.«
»Wenn Sie mir erlauben, Ihnen zu helfen«, sagte Mr. Bunter und nahm schon das warme Wasser, Benzinfläschchen und Schwamm an sich.
Er klappte das nächste Stück Rock hoch.
»Haben Sie eine Bürste«, fragte er, »um den Schmutz hier wegzubürsten?«
»Sie sind ja blind wie eine Fledermaus, Mr. Bunter!« meinte Ellen kichernd. »Sehen Sie denn die Bürste da direkt vor Ihrer Nase nicht?«
»Das schon«, antwortete der treue Diener, »aber die ist mir nicht hart genug. Wenn Sie so lieb sind und mir eine richtig harte Bürste besorgen, mache ich das für Sie.«
»Frechheit!« sagte Ellen. »Aber«, gab sie unter Mr. Bunters feurig bewunderndem Blick nach, »ich hole Ihnen mal die Kleiderbürste aus der Diele. Die ist so hart wie ein Ziegelstein.«
Kaum war sie draußen, hatte Mr. Bunter schon ein Taschenmesser und zwei weitere Döschen zur Hand. Im Nu hatte er an zwei Stellen etwas vom Rock abgekratzt und zwei neue Etikette beschriftet:
»Kies von Lady Marys Rock, fünfzehn Zentimeter über dem Saum.«
»Silbersand von Lady Marys Rocksaum.«
Er setzte noch das Datum ein, und kaum hatte er die Döschen wieder in der Tasche, kam Ellen mit der Kleiderbürste zurück. Der Reinigungsprozeß, begleitet von Ellens unzusammenhängendem Geplauder, dauerte noch eine Weile an. Ein dritter Fleck an Lady Marys Rock zog Mr. Bunters kritischen Blick auf sich,
»Nanu!« sagte er. »Hier hat ja Lady Mary selbst schon Hand anzulegen versucht.«
»Was?« rief Ellen. Sie sah sich den Fleck, der an einer Seite verschmiert und aufgehellt war und überhaupt leicht verwaschen wirkte, aus der Nähe an.
»Na so was!« rief sie laut. »Es stimmt tatsächlich. Also, was soll denn das schon wieder? Und dann tut sie so krank, als ob sie nicht mal den Kopf vom Kissen heben könnte. So was Hinterhältiges!«
»Kann sie das nicht schon vorher gemacht haben?« fragte Mr. Bunter.
»Na ja, vielleicht zwischen dem Tag, an dem der Hauptmann ermordet worden ist, und der Voruntersuchung«, räumte Ellen ein, »aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch ausgerechnet in der Zeit anfängt, sich für Hausarbeit zu interessieren. Davon versteht sie nämlich sowieso nicht viel, obwohl sie im Krieg Krankenschwester war. Ich hab ja nie geglaubt, daß daraus was wird.«
»Sie hat Seife benutzt«, stellte Mr. Bunter fest, während er resolut mit dem Benzinschwamm daranging. »Kann sie denn in ihrem Zimmer Wasser heiß machen?«
»Na, wozu sollte das denn gut sein, Mr. Bunter?« rief Ellen verwundert. »Sie glauben doch nicht, daß sie da oben einen Wasserkessel hat? Ich bringe ihr jeden Morgen den Tee. Eine Lady macht doch kein Wasser heiß!«
»Das nicht«, sagte Mr. Bunter, »und sie hätte es sich ja auch aus dem Bad holen können.« Er nahm den Fleck noch näher in Augenschein. »Sehr stümperhaft«, meinte er, »eindeutig Amateurarbeit. Scheint dabei auch noch unterbrochen worden zu sein. Eine energische junge Dame, aber nicht sehr erfinderisch.«
Diese letzten Bemerkungen waren vertraulich an die Benzinflasche gerichtet.