Ellen hatte den Kopf aus dem Fenster gestreckt und unterhielt sich mit dem Wildhüter.
Der Polizeichef von Ripley empfing Lord Peter zuerst frostig, dann, nachdem er erfahren hatte, wer er war, mit einer Mischung aus amtlicher Distanz gegenüber dem Privatdetektiv und amtlichem Respekt vor dem Herzogssohn.
»Ich komme zu Ihnen«, sagte Wimsey, »weil Sie sich auf diese Sucharbeit viel besser verstehen als ein Amateur wie ich. Ihre tüchtigen Leute sind ja bestimmt schon an der Arbeit, wie?«
»Natürlich«, sagte der Polizeichef, »aber es ist nicht so leicht, den Weg eines Motorrads zu verfolgen, dessen Nummer man nicht kennt. Denken Sie nur an diesen Mord von Bournemouth.« Er schüttelte bedauernd den Kopf und akzeptierte dankend eine Villar y Villar.
»Wir haben zunächst keinen Zusammenhang mit dieser Nummernschildgeschichte vermutet«, fuhr der Polizeichef in wegwerfendem Ton fort, dem Lord Peter entnahm, daß erst seine eigenen Ausführungen der letzten halben Stunde diesen Zusammenhang im Gehirn des Beamten hergestellt hatten. »Natürlich, wenn man ihn ohne Nummernschild durch Ripley hätte fahren sehen, wäre er aufgefallen und angehalten worden, aber wenn er Mr. Foulis' Nummernschilder hatte, war er so sicher wie - wie die Bank von England«, schloß er mit einem Geistesblitz.
»Zweifellos«, sagte Wimsey. »Sehr ärgerlich für den armen Pfarrer. Und das so früh am Morgen. Ich nehme an, die Sache wurde zuerst als Dummejungenstreich angesehen?«
»Genau«, pflichtete ihm der Polizeichef bei, »aber nachdem wir nun Ihre Ansicht gehört haben, werden wir alles daransetzen, diesen Mann zu finden. Seine Gnaden werden sicher nicht traurig sein, wenn er hört, daß wir ihn haben. Sie können sich auf uns verlassen, und wenn wir den Mann oder die Nummernschilder finden -«
»Der Himmel segne und bewahre uns!« brach es mit unerwartetem Temperament aus Lord Peter heraus. »Mann, Sie werden doch nicht hingehen und Ihre Zeit damit verschwenden, nach den Nummernschildern zu suchen! Glauben Sie denn, er klaut die Nummernschilder des Pfarrers, wenn er seine eigenen in der Nachbarschaft herumzeigen will? Sollten Sie die Dinger finden, so hätten Sie seinen Namen und seine Adresse; solange er die Schilder aber in der Hosentasche hat, sind Sie auf dem Holzweg. Entschuldigen Sie, wenn ich hier so deutlich meine Meinung sage, aber ich ertrage einfach den Gedanken nicht, daß Sie sich womöglich diese ganze Mühe umsonst machen - Teiche abfischen und Misthaufen umgraben, um nach Nummernschildern zu suchen, die gar nicht da sind. Erkundigen Sie sich lieber an den Bahnhöfen nach einem jungen Mann von etwa einsdreiundachtzig bis einsfünfundachtzig, mit Schuhgröße 45, einem Regenmantel, an dem der Gürtel fehlt, und einer tiefen Kratzwunde an einer Hand. Hören Sie, hier haben Sie meine Adresse, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich über alles auf dem laufenden hielten, was sich so ergibt. Furchtbar für meinen Bruder, das alles. So sensibel, der Mann; tut ihm schrecklich weh. Übrigens, ich bin ein sehr unsteter Vogel - mal hier, mal da; Sie könnten mir vielleicht alle Mitteilungen doppelt zukommen lassen - nach Riddlesdale und London, Piccadilly 110 A. Wenn Sie übrigens mal nach London kommen, sind Sie bei mir jederzeit gern gesehen. Entschuldigen Sie, wenn ich mich jetzt wieder auf die Socken mache, ja? Ich habe viel zu tun.«
Bei seiner Rückkehr nach Riddlesdale fand Lord Peter einen neuen Gast am Teetisch vor. Als Peter eintrat, erhob er sich zu imposanter Größe und streckte ihm eine wohlgeformte, ausdrucksvolle Hand entgegen, die einem Schauspieler ein Vermögen eingebracht hätte. Er war zwar kein Schauspieler, fand aber die Hände doch sehr geeignet zur Erzielung dramatischer Effekte. Mit seiner prächtigen Figur und der edlen Kopfform war er eine eindrucksvolle Erscheinung; seine Züge waren makellos, seine Augen hart. Die Herzoginwitwe hatte einmal über ihn gesagt: »Sir Impey Biggs ist der schönste Mann Englands, und keine Frau wird je zwei Penny für ihn geben.« Er war mit seinen achtunddreißig Jahren tatsächlich noch Junggeselle und außerdem berühmt für seine Rednergabe und das Geschick, mit dem er gegnerische Zeugen sanft, aber unbarmherzig auseinandernahm. Sein unvermutetes Freizeitvergnügen war die Zucht von Kanarienvögeln, und außer ihrem Gesang liebte er nur Revueschlager. Er erwiderte Wimseys Gruß mit seiner schönen, klangvollen, wunderbar beherrschten Stimme. Tragische Ironie, beißende Verachtung und helle Empörung waren die Ausdrucksvarianten, mit denen Sir Impey Biggs Richtern wie Geschworenen beikam; er verfolgte die Mörder der Unschuldigen und verteidigte bei Verleumdungsklagen; er verstand zu rühren und war selbst so gefühllos wie ein Stein. Wimsey gab seiner Freude über das Wiedersehen in einem noch verhalteneren, zögernderen Ton Ausdruck, als man ohnehin von ihm gewöhnt war.
»Sie kommen gerade von Jerry?« fragte er. »Bitte frischen Toast, Fleming. Wie geht's ihm denn? Macht's ihm noch Spaß? Ich kenne keinen zweiten Menschen, der aus einer Situation so wenig machen kann wie Jerry. Wie gern würde ich so was mal selbst erleben, allerdings würde es mir wenig Freude machen, eingesperrt zu sein und zusehen zu müssen, wie andere meinen Fall verpfuschen. Das soll keine Anspielung auf Murbles und Sie sein, Biggs. Ich meine mich selbst - oder den Mann, der meine Rolle spielen würde, wenn ich Jerry wäre. Können Sie mir folgen?«
»Ich habe eben zu Sir Impey gesagt«, ließ sich die Herzogin vernehmen, »daß er Gerald unbedingt dazu bringen muß, zu sagen, was er um drei Uhr morgens im Garten wollte. Wäre ich doch nur in Riddlesdale gewesen, dann hätte das alles nicht passieren können. Natürlich wissen wir, daß er nichts Böses getan hat, aber können wir von den Geschworenen erwarten, daß sie das verstehen? Die unteren Klassen sind ja so voreingenommen. Wie dumm aber auch von Gerald, einfach nicht zu begreifen, daß er reden muß! Er kennt keine Rücksicht.«
»Ich tue schon mein Bestes, Herzogin«, sagte Sir Impey, »aber Sie müssen etwas Geduld haben. Wir Rechtsanwälte haben es ja auch gern ein bißchen geheimnisvoll, wissen Sie? Wenn jeder vorträte und geradeheraus die Wahrheit sagte, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, müßten wir alle ins Armenhaus.«
»Hauptmann Cathcarts Tod ist allerdings geheimnisvoll«, sagte die Herzogin, »aber nach allem, was sich jetzt über ihn herausstellt, war es für meine Schwägerin letzten Endes besser so.«
»Sagen Sie, Biggs, könnten Sie nicht auf >Tod durch göttliche Heimsuchung« plädieren?« meinte Lord Peter. »Gottes Strafe dafür, daß er in unsere Familie einheiraten wollte?«
»Ich habe schon dümmere Urteile erlebt«, antwortete Biggs trocken. »Es ist köstlich, was man den Geschworenen alles einreden kann, wenn man nur will. Ich erinnere mich da an einen Fall in Liverpool -«
So lenkte er geschickt hinüber ins ruhige Fahrwasser der Anekdoten. Lord Peter betrachtete sein statuenhaftes Profil vor dem Feuer; es erinnerte ihn an die strenge Schönheit des Wagenlenkers von Delphi und war ebenso ausdrucksvoll.
Erst nach dem Abendessen sprach Sir Impey ganz offen mit Wimsey. Die Herzogin war zu Bett gegangen, und die beiden Männer befanden sich allein in der Bibliothek. Lord Peter, im korrekten Abendanzug und von Bunter bestens versorgt, war den ganzen Abend ungewöhnlich mitteilsam und fröhlich gewesen. Jetzt zündete er sich eine Zigarre an, ließ sich im größten Sessel nieder und hüllte sich in tiefes Schweigen.
Sir Impey Biggs ging eine halbe Stunde lang rauchend auf und ab. Dann trat er entschlossen näher, knipste die Leselampe an, richtete ihren Schein brutal auf Wimseys Gesicht, setzte sich ihm gegenüber und sagte: »Also, Wimsey, jetzt will ich alles hören, was Sie wissen.«
»So, so«, meinte Peter. Er stand auf, zog den Stecker der Leselampe heraus und stellte sie auf eine Anrichte.
»Keine Zeugeneinschüchterung, bitte«, kommentierte er grinsend.
»Meinetwegen, wenn Sie nur aufwachen«, sagte Biggs ungerührt. »Also los.«