Lord Peter nahm die Zigarre aus dem Mund, betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf, drehte sie vorsichtig um, fand, daß die Asche noch ein Weilchen am Deckblatt halten würde, rauchte wortlos weiter, bis sie jeden Moment hinunterfallen mußte, nahm dann die Zigarre wieder aus dem Mund, lud die Asche genau in der Mitte des Aschenbechers ab und begann mit seiner Aussage, bei der er nur die Sache mit dem Koffer sowie die Informationen wegließ, die Bunter von Ellen erhalten hatte.
Sir Impey Biggs hörte ihm mit einer Miene zu, die Peter unangenehm an ein Kreuzverhör erinnerte, und warf hier und da eine scharfe Frage ein. Er machte sich ein paar Notizen, und als Wimsey fertig war, klopfte er nachdenklich auf sein Notizbuch.
»Ich glaube, daraus können wir etwas machen«, sagte er, »selbst wenn die Polizei Ihren mysteriösen Fremden nicht findet. Denvers Schweigen kompliziert die Sache natürlich sehr.« Er hielt sich kurz die Hand vor die Augen. »Sie sagen also, Sie haben die Polizei auf diesen Kerl angesetzt?«
»Ja.«
»Haben Sie eine sehr schlechte Meinung von der Polizei?«
»In solchen Dingen nicht. Das ist ihre Stärke; für so was ist sie eingerichtet, und das macht sie auch gut.«
»Aha! Sie rechnen also damit, daß sie den Mann findet?«
»Ich will es hoffen.«
»So! Und was soll, bitte sehr, aus meiner Verteidigungsstrategie werden, wenn sie ihn findet, Wimsey?«
»Was soll -?«
»Passen Sie mal auf, Wimsey«, sagte der Verteidiger, »Sie sind nicht von gestern und brauchen jetzt auch kein Gesicht zu machen wie ein Dorfpolizist. Wollen Sie diesen Mann wirklich finden?«
»Gewiß.«
»Das ist natürlich Ihre Sache, aber mir sind schon ziemlich die Hände gebunden. Haben Sie sich einmal überlegt, daß es vielleicht besser wäre, den Mann nicht zu finden?«
Wimsey sah den Anwalt mit geradezu entwaffnend ehrlichem Erstaunen an.
»Bedenken Sie folgendes«, sagte dieser. »Wenn die Polizei erst etwas oder jemanden in den Fingern hat, hat es keinen Sinn mehr, auf meine oder Murbles' oder irgend jemandes Diskretion zu bauen. Dann wird alles ans Licht gezerrt, und nicht gerade auf feine Art. Denver steht unter Mordanklage und weigert sich auf das entschiedenste, mir auch nur im mindesten zu helfen.«
»Jerry ist ein Esel. Er begreift nicht -«
»Glauben Sie vielleicht«, unterbrach ihn Biggs, »ich hätte mir nicht die größte Mühe gegeben, es ihm begreiflich zu machen? Aber er sagt nur: >Sie können mich nicht aufhängen; ich habe den Mann nicht umgebracht, obwohl ich es ganz erfreulich finde, daß er tot ist. Was ich im Garten getan habe, geht die nichts an.< Jetzt frage ich Sie, Wimsey, hat es noch etwas mit Vernunft zu tun, wenn ein Mann in Denvers Lage sich auf diesen Standpunkt stellt?«
Peter murmelte etwas wie »noch nie Verstand gehabt«.
»Hat man Denver schon etwas von diesem anderen Mann gesagt?«
»Bei der Voruntersuchung wurden Fußspuren erwähnt, soviel ich weiß.«
»Dieser Mann von Scotland Yard ist ein Freund von Ihnen, höre ich?«
»Ja.«
»Um so besser. Dann wird er ja den Mund halten können.«
»Hören Sie, Biggs, das klingt ja alles sehr eindrucksvoll und mysteriös, aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Warum soll ich mir den Burschen nicht greifen, wenn ich kann?«
»Ich will Ihnen mit einer Gegenfrage antworten.« Sir Impey Biggs beugte sich etwas weiter vor. »Warum versucht Denver ihn zu decken?«
Sir Impey pflegte sich damit großzutun, daß kein Zeuge in seiner Gegenwart unentdeckt einen Meineid leisten könne. Als er die Frage stellte, entließ er kurz den Blick des andern und sah scharf auf Wimseys langen, beweglichen Mund und die nervösen Hände. Als er eine Sekunde später wieder aufschaute, begegnete er einem Blick, der gut gespielt die ganze Ausdrucksskala überraschten Erkennens durchlief; aber es war zu spät. Er hatte eine kleine Falte am Mundwinkel sich glätten und die Finger kaum merklich sich entspannen sehen.
»Mein Gott!« sagte Peter. »Darauf wäre ich nie gekommen. Was seid ihr Anwälte doch für schlaue Leute! Wenn das so ist, sollte ich wohl etwas leiser treten, wie? War schon immer ein bißchen voreilig. Meine Mutter sagt -«
»Sie sind ein Fuchs, Wimsey«, sagte der Anwalt. »Dann war ich wohl doch im Irrtum. Finden Sie nur ruhig Ihren Mann. Aber eins möchte ich Sie noch fragen. Wen decken Sie?«
»Hören Sie mal, Biggs«, sagte Wimsey, »Sie werden nicht dafür bezahlt, hier solche Fragen zu stellen, klar? Warten Sie damit bis vor Gericht. Ihre Aufgabe ist es, das Beste aus dem zu machen, was wir Ihnen liefern, aber nicht, uns durch die Mangel zu drehen. Angenommen, ich hätte Cathcart selbst umgebracht -«
»Haben Sie nicht.«
»Weiß ich, aber wenn, dann würde ich mich nicht mit so einem Blick ansehen und mir in diesem Ton Fragen stellen lassen. Ich will Ihnen aber entgegenkommen und Ihnen ehrlich sagen, daß ich nicht weiß, wer den Kerl umgebracht hat. Sobald ich es weiß, sage ich es Ihnen.«
»Wirklich?«
»Ja. Aber erst, wenn ich sicher bin. Ihr Brüder versteht aus dem kleinsten Indiz eine ellenlange Beweiskette zu schmieden und würdet mich schon aufhängen, wenn ich erst anfinge, mich selbst zu verdächtigen.«
»Hm!« machte Biggs. »Inzwischen kann ich Ihnen schon mal verraten, daß ich auf ungenügende Beweislage hinauswill.«
»So. Freispruch aus Mangel an Beweisen, wie? Na ja, jedenfalls schwöre ich Ihnen, Biggs, daß mein Bruder nicht hängen wird, weil ich mit Beweisen hinterm Berg halte.«
»Selbstverständlich nicht«, sagte Biggs und fügte stumm hinzu: »Aber du hoffst, daß es soweit nicht kommt.«
Ein Regenschauer prasselte durch den breiten Kamin herunter und verzischte auf den Holzscheiten.
»Craven Hotel
Strand, W. C.
Dienstag
Lieber Wimsey,
wie versprochen, hier ein paar Zeilen über mein bisheriges Vorankommen, obwohl es herzlich wenig ist. Auf der Fahrt hierher saß ich neben Mrs. Pettigrew-Robinson und durfte für sie das Fenster auf- und zumachen und auf ihr Gepäck achtgeben. Sie erwähnte, daß Deine Schwester, als sie am Donnerstagmorgen das Haus aufweckte, zuerst zu Mr. Arbuthnots Tür gegangen sei - was die Dame etwas merkwürdig zu finden scheint, aber bei Licht besehen ist es nur natürlich, denn das Zimmer liegt genau gegenüber der Treppe. Mr. Arbuthnot hat dann die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt, und Mr. P. ist sofort nach unten gerannt. Mrs. P. fand, daß Lady Mary sehr schwach aussah, und wollte ihr helfen. Deine Schwester hat sie aber abgewiesen - barsch, sagt Mrs. P. - und sich alle Hilfsangebote >aufs unfreundlichste< verbeten. Sie ist dann in ihr Zimmer gerannt und hat sich eingesperrt. Mrs. Pettigrew-Robinson hat an der Tür gelauscht, >um sicherzugehen<, sagt sie, >daß alles in Ordnung war<, aber als sie Deine Schwester nur hat herumlaufen und Schranktüren schlagen hören, fand sie, daß sie ihre Neugier unten besser befriedigen könne, und ist hinuntergegangen.
Wenn Mrs. Marchbanks mir das erzählt hätte, würde ich ihm zugegebenermaßen mehr Bedeutung beimessen, aber ich glaube, selbst wenn ich im Sterben läge, würde ich zwischen mir und Mrs. Pettigrew-Robinson immer noch die Tür fest zumachen. Mrs. P. war sicher, daß Lady Mary nie etwas in der Hand hatte. Gekleidet war sie genauso, wie sie es dem Untersuchungsrichter geschildert hat - langer Mantel über dem Pyjama (Schlafanzug war Mrs. P.s Ausdruck), derbe Schuhe und eine Wollmütze. Diese Sachen hatte sie auch später noch an, als der Arzt kam. Noch eine kleine Merkwürdigkeit am Rande:
Mrs. Pettigrew-Robinson (die, wie Du Dich erinnerst, seit zwei Uhr wach war) will mit Sicherheit gehört haben, daß kurz bevor Lady Mary an Mr. Arbuthnots Tür klopfte, irgendwo auf dem Korridor eine Tür schlug. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll - vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber ich will es nicht unerwähnt lassen.
Hier in London war's scheußlich. Dein angehender Schwager war ein Muster an Diskretion. Sein Zimmer in Albany ist, aus kriminalistischer Sicht, eine trostlose Wüste: keinerlei Papiere, außer ein paar englischen Rechnungen und Quittungen und ein paar Einladungen. Einige der Absender habe ich aufgesucht, aber sie kannten Cathcart zumeist nur aus dem Club oder vom Militär und konnten mir nichts über sein Privatleben sagen. Er ist in einigen Nachtclubs bekannt. Ich habe letzte Nacht - oder vielmehr heute morgen - die Runde durch sie gemacht. Allgemeiner Eindruck: großzügig, aber undurchschaubar. Sein Lieblingsspiel scheint übrigens Poker gewesen zu sein. Für krumme Sachen keine Anhaltspunkte. Er hat insgesamt sehr beständig gewonnen, aber nie sehr hoch.