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1918 spitzte die Lage sich zu, und einige Eintragungen zeugten von dem verzweifelten Versuch, sich durch Devisenspekulationen zu sanieren. Es fanden sich Bankaufträge für den Ankauf deutscher Mark, russischer Rubel und rumänischer Lei. Mr. Parker seufzte mitfühlend bei diesem Anblick, denn er dachte an die rund zwölf Pfund, die er selbst für solch trügerische Werke der Graveurkunst angelegt hatte und die jetzt nutz- und wertlos daheim in seinem Schreibtisch lagen. Er wußte, daß sie nur noch Altpapier waren, aber sein Ordnungssinn erlaubte ihm nicht, sie einfach zu vernichten. Offenbar hatten Mark und Rubel sich für Cathcart als sehr schwache Strohhalme erwiesen.

Etwa um diese Zeit tauchten in Cathcarts Bankbuch die ersten Bareinzahlungen auf, manchmal groß, manchmal klein, in unregelmäßigen zeitlichen Abständen und ohne erkennbaren Zusammenhang. Im Dezember 1919 waren es sogar einmal 35.000 Francs. Parker glaubte zuerst, es handle sich wohl um Dividenden aus Geldanlagen, die Cathcart nicht über die Bank abwickelte. Er durchsuchte noch einmal das ganze Zimmer in der Hoffnung, entweder die Wertpapiere selbst oder wenigstens einen Hinweis auf sie zu finden, aber die Suche war vergebens, und so mußte er annehmen, daß Cathcart diese Papiere entweder irgendwo an einem geheimen Ort aufbewahrte oder die fraglichen Einzahlungen aus einer völlig anderen Quelle stammten.

Cathcart hatte offenbar seine sofortige Entlassung aus dem Militärdienst erreicht (sicherlich dank seiner früheren häufigen Besuche bei hochgestellten Persönlichkeiten) und anschließend einen längeren Urlaub an der Riviera gemacht. Ein darauffolgender Besuch in London fiel mit dem Erwerb von 700 Pfund zusammen, die, nachdem sie in Francs umgewechselt worden waren, bei dem damaligen Wechselkurs einen ansehnlichen Betrag auf dem Konto ausmachten. Von da an boten die Ausgaben und Einnahmen ein einigermaßen gleichbleibendes Bild und waren mehr oder weniger ausgeglichen; die Barabhebungen wurden im Laufe der Zeit immer häufiger und höher, während ab 1921 die Einnahmen aus dem Weingut eine leichte Erholung zeigten.

Mr. Parker schrieb das alles gewissenhaft nieder, dann lehnte er sich im Sessel zurück und sah sich im Zimmer um. Er empfand - nicht zum erstenmal - eine gewisse Abneigung gegen seinen Beruf, der ihn aus der großen Männergesellschaft ausschloß, deren Mitglieder einander akzeptierten und die Privatsphäre achteten. Er zündete sich seine erloschene Pfeife wieder an und fuhr mit dem Bericht fort.

Die Aussagen Monsieur Turgeots, des Direktors von Crédit Lyonnais, bestätigten die aus dem Bankbuch gewonnenen Erkenntnisse in allen Einzelheiten. Monsieur Cathcart habe in letzter Zeit alle seine Einzahlungen in bar vorgenommen, meist in kleinen Noten. Ein paarmal habe er sein Konto überzogen, aber nie hoch, und er habe es stets innerhalb weniger Monate wieder ausgeglichen. Natürlich habe er Einkommenseinbußen erlitten, wie alle Leute, aber sein Konto habe der Bank nie Anlaß zur Sorge gegeben. Im Augenblick weise es ein Guthaben von rund 14.000 Francs auf. Monsieur Cathcart sei immer sehr angenehm gewesen, aber nicht mitteilsam - très correct.

Informationen nach Aussagen des Concierge:

Man hat von Monsieur Cathcart nicht viel zu sehen bekommen, aber er war immer très gentil. Er versäumte es nie, beim Ein- oder Ausgehen »Bonjour, Bourgois« zu sagen. Manchmal hatte er Besuch - Herren im Abendanzug. Man hat auch Karten gespielt. Monsieur Bourgois hat nie Damen zu Cathcarts Wohnung führen müssen, außer einmal im letzten Februar, als Cathcart eine Einladung gegeben hatte für einige Damen, très comme il faut, darunter seine Verlobte, une jolie blonde. Monsieur Cathcart benutzte seine Wohnung als pied-à-terre und schloß sie oft für Wochen oder gar Monate ab, um zu verreisen. Er war un jeune homme très rangé. Einen Diener hatte er nie. Madame Leblanc, eine Kusine der verstorbenen Madame Bourgois, hielt sein Appartement sauber. Selbstverständlich könne Monsieur die Adresse von Madame Leblanc bekommen.

Informationen nach Aussage von Madame Leblanc:

Monsieur Cathcart war ein reizender junger Mann, für den man gern arbeitete. Sehr großzügig, interessierte sich sehr für ihre Familie. Madame Leblanc war untröstlich, zu hören, daß er tot sei, und das kurz vor seiner Verheiratung mit der Tochter der englischen Mylady. Madame Leblanc hatte Mademoiselle letztes Jahr gesehen, als sie Monsieur Cathcart in Paris besuchte. Sie fand, die junge Dame habe sich glücklich schätzen können. Wenige junge Männer seien so ernsthaft wie Monsieur Cathcart, besonders wenn sie so gut aussähen. Madame Leblanc habe Erfahrung mit jungen Männern und könnte allerhand Geschichten erzählen, wenn das ihre Art wäre, aber keine über Monsieur Cathcart. Er benutzte seine Wohnung nicht ständig; gewöhnlich ließ er sie wissen, wann er zu Hause sein werde, und dann ging sie hin und machte Ordnung. Er hielt sehr auf persönliche Ordnung; in dieser Beziehung war er anders als die englischen Herren. Madame Leblanc kenne viele von ihnen, die ihre Sachen sens dessus dessous hätten. Monsieur Cathcart war immer sehr gut gekleidet; er war sehr eigen mit dem Bad; in puncto Toilette war er wie eine Frau, der arme junge Herr. Und nun war er also tot. Le pauvre garçon! Es hatte Madame Leblanc wahrhaftig den Appetit verdorben.

Vom Polizeipräfekten erhaltene Informationen:

Keine. Monsieur Cathcart sei der Polizei nie in irgendeiner Weise aufgefallen. Zu den von Monsieur Parker erwähnten Geldsummen: Wenn Monsieur die Nummern einiger Geldscheine angeben könne, werde man sich bemühen, ihren Verbleib festzustellen.

Wohin war das Geld gegangen? Parker sah nur zwei Möglichkeiten: ein illegitimes Verhältnis oder Erpressung. Gewiß mochte ein gutaussehender Mann wie Cathcart im Laufe seines Lebens die eine oder andere Geliebte gehabt haben, auch ohne daß der Concierge davon wußte. Und gewiß konnte einer, der gewohnheitsmäßig beim Kartenspiel betrog -wenn das der Fall war -, jemandem in die Hände gefallen sein, der zuviel wußte. Es fiel auf, daß die geheimnisvollen Geldeingänge gerade in der Zeit begannen, als seine Ersparnisse erschöpft waren; es erschien durchaus plausibel, daß es sich dabei um irreguläre Gewinne handelte - aus Spielcasinos, durch Spekulationen oder, wenn an Denvers Geschichte etwas dran war, durch Falschspiel. Alles in allem neigte Parker mehr der Erpressungstheorie zu. Sie paßte auch besser zum Ablauf der Ereignisse, den er und Lord Peter in Riddlesdale rekonstruiert hatten.

Das eine oder andere aber machte Parker noch Kopfzerbrechen. Warum hätte der Erpresser mit einem Beiwagengespann in den Mooren Yorkshires herumkutschieren sollen? Wem gehörte die grünäugige Katze? Sie war ein kostbares Amulett. Hatte Cathcart es dem Erpresser in Zahlung geben wollen? Das wäre dumm gewesen. Man konnte nur annehmen, daß der Erpresser es verächtlich weggeworfen hatte. Parker hatte es jetzt bei sich, und schon kam ihm der Gedanke, daß es sich vielleicht lohnen konnte, zu einem Juwelier zu gehen und seinen Wert schätzen zu lassen. Aber der Beiwagen war ein Problem, die Katze war ein Problem, und vor allem, Lady Mary war ein Problem.

Warum hatte Lady Mary bei der Voruntersuchung gelogen? Denn daß sie gelogen hatte, stand für Parker zweifelsfrei fest. Er glaubte ihr die Geschichte von dem zweiten Schuß nicht, der sie geweckt haben sollte. Was hatte sie morgens früh um drei zur Wintergartentür geführt? Wem gehörte der Koffer -falls es ein Koffer war -, der versteckt hinter den Kakteen gestanden hatte? Warum dieser so lange anhaltende Nervenzusammenbruch ohne bestimmte Symptome, der Lady Mary daran hinderte, zum Haftprüfungstermin zu erscheinen oder wenigstens die Fragen ihres Bruders zu beantworten? Könnte Lady Mary bei dem Gespräch im Gebüsch zugegen gewesen sein? Aber dann hätten Wimsey und er doch ihre Fußabdrücke gefunden. Stand sie mit dem Erpresser im Bunde? Das war ein unerfreulicher Gedanke. Hatte sie ihrem Verlobten helfen wollen? Sie verfügte über eigene Einkünfte -und zwar recht ansehnliche, wie Parker von der Herzogin wußte. Hatte sie vielleicht versucht, Cathcart mit Geld zu unterstützen? Aber warum sollte sie in diesem Falle nicht sagen, was sie wußte? Das Übelste, was es über Cathcart zu erfahren gab - immer vorausgesetzt, daß dies die Falschspielerei war -, wußte inzwischen jeder, und der Mann selbst war tot. Wenn sie die Wahrheit kannte, warum kam sie nicht damit heraus, um ihren Bruder zu retten?