Mr. Parker buchstabierte.
»Hol dich doch -!« sagte Lord Peter. »Dabei hatte ich wirklich gedacht, diesmal hätte ich dich erwischt. Aber du hast sicher nachgesehen, bevor du hierherkamst. Kein anständiger Mensch weiß auswendig, wie man Ipecacuanha schreibt. Jedenfalls, wie du sagst, man sieht gleich, von welcher Seite der Familie der kriminalistische Instinkt kommt.«
»Das hab ich gar nicht gesagt -«
»Weiß ich. Und warum nicht? Ich finde, die Talente meiner Mutter verdienen ab und zu ein bißchen Anerkennung. Ich hab's jedenfalls zu ihr gesagt, und sie hat mit den bemerkenswerten Worten geantwortet: >Mein lieber Junge, du kannst der Sache einen ellenlangen Namen geben, wenn du willst, aber als altmodische Frau, die ich bin, nenne ich es einfach Mutterwitz, und den hat ein Mann so selten, daß man, wenn er ihn hat, gleich Bücher über ihn schreibt und ihn
Sherlock Holmes nennt.< Aber abgesehen davon hab ich zu meiner Mutter (unter vier Augen, versteht sich) auch noch gesagt: >Das ist ja alles gut und schön, nur kann ich nicht glauben, daß Mary sich solche Mühe gibt, scheußlich krank zu werden und uns allen einen Schrecken einzujagen, nur um sich wichtig zu machen. So eine ist sie doch nun wirklich nicht.< Meine Mutter fixierte mich wie eine Eule und zählte mir eine ganze Reihe Beispiele von Hysterie auf, endend mit einem Dienstmädchen, das einmal irgend jemandes Haus mit Paraffin vollgespritzt haben soll, damit alle glaubten, es spuke - und zum Schluß meinte sie, wenn schon diese ganzen neumodischen Ärzte alles daransetzten, solche Sachen wie Unterbewußtsein und Kleptomanie und Komplexe und alle möglichen anderen Phantasienamen zu erfinden, um zu erklären, warum Menschen sich schlecht benähmen, könne man sich das ja auch zunutze machen.«
»Wimsey«, sagte Parker sehr erregt, »soll das heißen, daß sie einen Verdacht hatte?«
»Mein Lieber«, antwortete Lord Peter, »was es über Mary zu wissen gibt, indem man zwei und zwei zusammenzählt, das weiß meine Mutter, da kannst du sicher sein. Ich habe ihr alles erzählt, was wir bis dahin wußten, und sie hat alles auf ihre ulkige Art aufgenommen, die du ja kennst - ohne auf irgend etwas direkt zu antworten, und zum Schluß hat sie den Kopf schief gelegt und gemeint: >Wenn Mary auf mich gehört und etwas Nützlicheres getan hätte als in dieses Freiwilligenhilfskorps zu gehen, wobei nie viel herausgekommen ist, wenn du mich fragst - nicht daß ich etwas Grundsätzliches gegen das Freiwilligenhilfskorps hätte, aber diese dumme Frau, unter der sie arbeiten mußte, war doch die fürchterlichste Pute unter Gottes Himmel -, und dabei gab es so viele weitaus vernünftigere Dinge, die Mary richtig gut hätten tun können, aber sie war ja so versessen darauf, nach London zu kommen - und ich bleibe dabei, daß an allem nur dieser alberne Club schuld war - was kann man schon von so einem Loch erwarten, wo man so schreckliches Zeug zu essen bekommt und zusammengepfercht in einem Keller mit rot angestrichenen Wänden sitzt und wo alles aus Leibeskräften durcheinanderschreit, und nie ein Abendanzug - nur sowjetische Jumper und Koteletten. Jedenfalls habe ich diesem dummen alten Kerl schon klargemacht, was er zu sagen hat, und auf eine bessere Erklärung wären die von sich aus nie gekommen« Und weißt du«, sagte Peter, »ich glaube, wenn da einer anfangen sollte, neugierig zu werden, hätte er meine Mutter auf dem Hals wie eine Tonne Backsteine.«
»Was glaubst du selbst denn nun wirklich?« fragte Parker.
»Das Unerfreulichste habe ich dir ja noch gar nicht erzählt«, sagte Peter. »Ich hab's eben erst gehört und muß sagen, daß es mir einen häßlichen Schrecken versetzt hat. Gestern kriegte ich einen Brief von Lubbock, daß er mich sprechen wolle, und da bin ich hergekommen und heute morgen zu ihm gegangen. Du erinnerst dich, daß ich ihm einen Blutfleck geschickt hatte, den Bunter für mich von einem von Marys Röcken abgeschnitten hat? Ich hatte selbst schon einen Blick darauf geworfen, und weil mir die Sache nicht gefiel, habe ich ihn zu Lubbock geschickt, ex abundantia cautelae; und leider muß ich sagen, daß er meine Meinung bestätigt. Es ist Menschenblut, Charles, und ich fürchte, es stammt von Cathcart.«
»Aber - jetzt habe ich ein bißchen den Faden verloren.«
»Also, der Rock muß den Blutfleck an dem Tag abbekommen haben, als Cathcart - starb, denn das war der letzte Tag, an dem die Jagdgesellschaft im Moor war, und wenn der Fleck schon früher dagewesen wäre, hätte Ellen ihn weggemacht. Hinterher hat Mary sich mit allen Mitteln gegen Ellens Versuche gewehrt, den Rock zum Reinigen abzuholen, und sogar den stümperhaften Versuch gemacht, den Fleck mit Wasser und Seife selbst zu entfernen. Daraus können wir, glaube ich, schließen, daß Mary um die Existenz des Flecks wußte und seine Entdeckung verhindern wollte. Sie hat Ellen erzählt, das Blut stamme von einem Waldhuhn - was eine bewußte Unwahrheit gewesen sein muß.«
»Vielleicht«, sagte Parker in dem hoffnungslosen Bemühen, doch noch etwas für Lady Mary zu retten, »hat sie auch nur gesagt: >Ach', da muß so ein Vogel geblutet haben!< oder etwas in der Art.«
»Ich glaube nicht«, sagte Peter, »daß man einen so großen Flecken Menschenblut an seine Kleider bekommen kann, ohne zu wissen, was es ist. Sie muß sich ja richtig hineingekniet haben. Der Fleck war acht bis zehn Zentimeter im Durchmesser.«
Parker schüttelte verzweifelt den Kopf und tröstete sich, indem er sich eine Notiz machte.
»Gut, also«, fuhr Peter fort, »am Mittwochabend kommen alle nach Hause, essen und gehen zu Bett, außer Cathcart, der aus dem Haus rennt und draußen bleibt. Um zehn vor zwölf hört Hardraw, der Wildhüter, einen Schuß, der durchaus auf der Lichtung gefallen sein könnte, auf der sich - nun gut, sagen wir das Unglück ereignet hat. Diese Zeit stimmt auch mit der Aussage des Arztes überein, wonach Cathcart schon drei bis vier Stunden tot war, als er ihn um halb fünf untersuchte. Schön. Nun kommt also um drei Uhr morgens Jerry von irgendwoher nach Hause und findet die Leiche. Während er sich darüberbeugt, kommt wie gerufen Mary aus dem Haus, angetan mit Mantel, Mütze und Straßenschuhen. Was erzählt sie nun? Sie sagt, sie sei um drei Uhr von einem Schuß geweckt worden. Nun hat aber außer ihr niemand diesen Schuß gehört, und wir haben die Aussage von Mrs. Pettigrew-Robinson, die im Zimmer nebenan schlief, nach uralter Gewohnheit bei offenem Fenster, und sie will ab zwei Uhr bis kurz nach drei, als Alarm geschlagen wurde, wachgelegen und keinen Schuß gehört haben. Laut Mary war der Schuß so laut, daß er sie auf der anderen Seite des Hauses aufgeweckt hat. Es ist doch merkwürdig, nicht wahr, daß jemand, der bereits wach war, mit solcher Bestimmtheit angibt, kein Geräusch vernommen zu haben, das laut genug gewesen wäre, um einen gesunden jungen Schläfer im Zimmer nebenan aufzuwecken. Jedenfalls, selbst wenn das der Schuß gewesen wäre, der Cathcart getötet hat, hätte er kaum schon tot sein können, als mein Bruder ihn fand - und in diesem Falle würde sich auch wieder die Frage stellen, wie dann noch Zeit geblieben wäre, ihn vom Gebüsch zum Wintergarten zu schleifen.«
»Das haben wir doch alles schon durchgekaut«, sagte Parker mit allen Anzeichen des Widerwillens. »Und wir haben uns geeinigt, daß wir der Geschichte von dem Schuß keine Bedeutung beimessen können.«
»Ich fürchte aber, wir müssen ihr sehr viel Bedeutung beimessen«, sagte Lord Peter ernst. »Also, und was tut nun Mary? Entweder hat sie den Schuß gehört -«
»Es ist kein Schuß gefallen.«
»Das weiß ich. Aber ich will den Unstimmigkeiten in ihrer Aussage auf den Grund gehen. Sie sagt, sie habe keinen Alarm geschlagen, weil sie geglaubt habe, es handle sich wahrscheinlich nur um Wilderer. Wenn es aber Wilderer gewesen wären, hätte es absolut keinen Sinn gehabt, hinunterzugehen und nachzusehen. Also sagt sie, sie habe geglaubt, es hätten auch Einbrecher sein können. Aber was zieht sie nun an, um hinunterzugehen und nach Einbrechern zu sehen? Was hättest du oder ich angezogen? Ich nehme an, wir hätten uns einen Morgenmantel übergeworfen und ein Paar leise Pantoffel über die Füße gestreift und vielleicht einen Feuerhaken oder einen Spazierstock in die Hand genommen -aber keine Straßenschuhe und Mantel und ausgerechnet auch noch eine Mütze!«