»Es hat in der Nacht geregnet«, brummte Parker.
»Mein lieber Freund, wenn du nach Einbrechern sehen willst, rechnest du im allgemeinen nicht damit, hinausgehen und sie im Garten herumscheuchen zu müssen. Dein erster Gedanke ist doch, daß sie ins Haus dringen, und du gehst hinunter, um sie von der Treppe aus oder hinter der Eßzimmertür hervor zu beobachten. Außerdem, versuch dir doch mal ein Mädchen von heute vorzustellen, das bei Wind und Wetter barhäuptig herumrennt, sich aber wohl die Zeit nimmt, zur Einbrecherjagd erst eine Mütze aufzusetzen - hol's der Kuckuck, Charles, das reimt sich einfach nicht! Und dann geht sie geradewegs zur Wintergartentür und stößt auf die Leiche, als ob sie von vornherein gewußt hätte, wo sie danach suchen müßte.«
Parker schüttelte wieder den Kopf.
»Nun, und dann sieht sie Gerald, der über Cathcart gebeugt steht. Und was sagt sie? Fragt sie erst, was los ist? Fragt sie, wer das ist? Nein, sie ruft: >Mein Gott, Gerald, du hast ihn umgebrachtc, und dann erst sagt sie, wie im Nachhinein: >Ach, das ist ja Denis! Was ist denn passiert? Ein Unfall?« Nun sag mal, ob dir das normal vorkommt.«
»Nein. Aber mir kommt es so vor, als ob sie eben nur nicht damit gerechnet hätte, Cathcart dort zu finden, sondern jemand anders.«
»So? Mir kommt es eher vor, als ob sie nur so getan hätte, als wüßte sie nicht, wer es war. Zuerst sagt sie: >Du hast ihn umgebracht!« Und dann fällt ihr ein, daß sie ja eigentlich nicht wissen dürfte, wer >er< ist, und sagt: >Ach, das ist ja Denis!««
»Auf jeden Fall hat sie aber, falls ihr erster Ausruf echt war, nicht damit gerechnet, ihn tot anzutreffen.«
»Nein - nicht - das müssen wir uns merken. Der Tod war eine Überraschung. Sehr schön. Dann schickt Gerald sie Hilfe holen. Hier kommt nun ein Indiz ins Spiel, das du aufgeschnappt und mir mitgeteilt hast. Weißt du noch, was Mrs. Pettigrew-Robinson dir im Zug erzählt hat?«
»Meinst du das mit der zuschlagenden Tür auf dem Korridor?«
»Ja. Und nun will ich dir etwas erzählen, was mir neulich morgens passiert ist. Ich kam aus dem Bad gerauscht, wie ein Wirbelwind, du kennst mich ja, und knallte mit dem Schienbein gegen diese alte Truhe oben am Treppenaufgang -und klapp, ging der Deckel hoch und wieder zu. Das hat mich auf eine Idee gebracht, und ich hab mir gedacht, da sollte ich mal einen Blick hineinwerfen. Ich hatte gerade den Deckel hochgeklappt und besah mir die Laken und so weiter, die unten auf dem Boden der Truhe lagen, als ich plötzlich so etwas wie ein Ächzen hörte, und da stand Mary neben mir und starrte mich an, weiß wie ein Gespenst. Mein Gott, sie hat mir einen schönen Schrecken eingejagt, aber das war gar nichts gegen den Schrecken, den ich ihr eingejagt haben muß. Na ja, sie hat jedenfalls kein Wort mit mir reden wollen und prompt einen hysterischen Anfall bekommen, und ich hab sie wieder in ihr Zimmer bugsiert. Aber ich hatte auf diesen Laken etwas gesehen.«
»Was denn?«
»Silbersand.«
»Silber-?«
»Erinnerst du dich noch an die Kakteen im Gewächshaus und die Stelle, wo jemand einen Koffer oder etwas dergleichen abgestellt hatte?«
»Ja.«
»Also, und da lag das Zeug massenhaft herum - du weißt ja, die Leute streuen das um bestimmte Zwiebeln herum und so.«
»Und dieser Sand war auch in der Truhe?«
»Ja. Aber warte mal ab. Nach dem Geräusch, das Mrs. Pettigrew-Robinson hörte, hat Mary zuerst Freddy und dann die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt - und dann, was?«
»Dann hat sie sich in ihr Zimmer eingeschlossen.«
»Eben. Und kurz darauf ist sie zu den anderen hinuntergegangen in den Wintergarten, und von da an erinnern sich alle, gesehen zu haben, daß sie eine Mütze anhatte, einen Mantel über dem Pyjama und Straßenschuhe an den nackten Füßen.«
»Willst du etwa sagen«, meinte Parker, »Lady Mary sei um drei Uhr schon wach und angezogen gewesen und mit ihrem Koffer zur Wintergartentür gegangen, um sich mit dem - dem Mörder ihres - zum Kuckuck, Wimsey!«
»Soweit brauchen wir gar nicht zu gehen«, sagte Peter. »Wir haben uns ja schon geeinigt, daß sie nicht damit gerechnet hatte, Cathcart tot vorzufinden.«
»Richtig. Also, sie ist hinuntergegangen, vermutlich um jemanden zu treffen.«
»Sagen wir vorläufig, daß sie sich mit Schuhgröße 45 treffen wollte?« schlug Wimsey mit sanfter Stimme vor.
»Warum nicht? Und als sie die Taschenlampe anknipste und den Herzog über Cathcart gebeugt stehen sah, hat sie gedacht -mein Gott, Wimsey, ich hatte also doch recht! Als sie sagte: >Du hast ihn umgebracht!<, da hat sie Schuhgröße 45 gemeint -sie hat geglaubt, der Tote sei Schuhgröße 45!«
»Natürlich!« rief Wimsey. »Ich Trottel! Ja doch. Dann sagte sie: >Das ist ja Denis - was ist denn passiert?< Vollkommen klar. Und was hat sie inzwischen mit dem Koffer gemacht?«
»Jetzt sehe ich alles vor mir«, rief Parker. »Als sie sah, daß der Tote nicht Schuhgröße 45 war, ist ihr aufgegangen, daß Schuhgröße 45 der Mörder sein mußte. Es kam ihr also jetzt darauf an, niemanden merken zu lassen, daß Schuhgröße 45 dagewesen war. Darum hat sie den Koffer hinter die Kakteen geschoben. Und als sie dann nach oben ging, hat sie ihn wieder hervorgeholt und oben in der Eichentruhe versteckt. Sie konnte ihn natürlich nicht gut in ihr Zimmer bringen, denn wenn jemand sie die Treppe hätte heraufkommen hören, hätte es komisch ausgesehen, daß sie zuerst in ihr Zimmer rannte, bevor sie die anderen alarmierte. Dann hat sie Arbuthnot und die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt - sie stand im Dunkeln, und in der Aufregung dürften sie sowieso nicht so genau gesehen haben, was sie anhatte. Dann machte sie sich von Mrs. P. los, lief in ihr Zimmer, zog den Rock aus, mit dem sie neben Cathcart gekniet hatte, auch die übrigen Kleider, zog den Pyjama und die Mütze an, die ja eventuell jemand bemerkt haben konnte, und den Mantel, den man bestimmt gesehen hatte, und schließlich die Schuhe, die wahrscheinlich schon Abdrücke hinterlassen hatten. Und dann erst konnte sie hinuntergehen und sich zeigen. Inzwischen hatte sie sich für den Untersuchungsrichter die Einbrechergeschichte ausgedacht.«
»So ungefähr war's wohl«, sagte Peter. »Wahrscheinlich war sie so ängstlich darauf bedacht, uns von Schuhgröße 45 abzulenken, daß sie gar nicht auf die Idee gekommen ist, ihre Geschichte könnte mithelfen, ihren Bruder hineinzureißen.«
»Das ist ihr bei der Untersuchungsverhandlung klargeworden«, sagte Parker eifrig. »Weißt du nicht mehr, wie schnell sie nach der Selbstmordtheorie gegriffen hat?«
»Und als sie entdeckte, daß sie damit zwar ihren - ich meine, Schuhgröße 45 - rettete, ihren Bruder aber an den Galgen brachte, hat sie den Kopf verloren, ist ins Bett geflüchtet und weigert sich seitdem, überhaupt noch etwas zu sagen. Ich habe den Eindruck, meine Familie ist
überdurchschnittlich mit Narren gesegnet«, sagte Peter düster.
»Aber was hätte das arme Mädchen denn tun sollen?« fragte Parker. Er war schon fast wieder guter Dinge. »Immerhin ist sie damit jetzt entlastet -«
»Gewissermaßen, ja«, sagte Peter, »aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Warum steckt sie mit Schuhgröße 45, der ja mindestens ein Erpresser, wenn nicht sogar ein Mörder ist, unter einer Decke? Wie kam Geralds Revolver an den Schauplatz? Und die grünäugige Katze? Was wußte Mary über das Treffen zwischen Schuhgröße 45 und Denis Cathcart? Und wenn sie den Mann kannte und sich mit ihm traf, kann sie ihm jederzeit den Revolver in die Hand gedrückt haben.«
»Nein, nein«, sagte Parker. »Wimsey, du darfst so etwas Häßliches nicht denken.«
»Himmel noch mal!« platzte es aus Peter heraus. »Ich kriege die Wahrheit in dieser widerlichen Geschichte heraus, und wenn wir alle miteinander zum Galgen gehen!«