Untersuchungsrichter: »Hatten Sie viele solcher Themen?«
Zeugin: »O ja.«
Untersuchungsrichter: »Hatten Sie nie den Eindruck, daß Hauptmann Cathcart etwas bedrückte?«
Zeugin: »Nicht direkt. In den letzten Tagen kam er mir ein wenig bekümmert vor.«
Untersuchungsrichter: »Hat er Ihnen von seinem Leben in Paris erzählt?«
Zeugin: »Ja, vom Theater und sonstigen Zerstreuungen. Er kannte Paris sehr gut. Ich habe letzten Februar in Paris bei Freunden gewohnt, als er dort war, und er hat uns viel herumgeführt. Das war kurz nach unserer Verlobung.«
Untersuchungsrichter: »Hat er je vom Kartenspiel in Paris gesprochen?«
Zeugin: »Ich kann mich nicht erinnern.«
Untersuchungsrichter: »Was Ihre Heirat angeht - war da schon über die finanzielle Seite gesprochen worden?«
Zeugin: »Ich glaube nicht. Das Hochzeitsdatum stand überhaupt noch nicht fest.«
Untersuchungsrichter: »Machte er den Eindruck, als ob er immer genug Geld hätte?«
Zeugin: »Ich nehme es an. Darüber habe ich nie nachgedacht.«
Untersuchungsrichter: »Sie haben ihn nie über Geldverlegenheiten klagen hören?«
Zeugin: »Darüber klagt doch jeder.«
Untersuchungsrichter: »War er von Natur aus ein fröhlicher Mensch?«
Zeugin: »Er war sehr launisch; bei ihm wechselte die Stimmung fast täglich.«
Untersuchungsrichter: »Sie haben Ihren Bruder gehört, der gesagt hat, daß der Verstorbene Ihre Verlobung habe auflösen wollen. Wußten Sie davon?«
Zeugin: »Nicht im mindesten.«
Untersuchungsrichter: »Können Sie es sich jetzt irgendwie erklären?«
Zeugin: »Absolut nicht.«
Untersuchungsrichter: »Einen Streit hatte es also nicht gegeben?«
Zeugin: »Nein.«
Untersuchungsrichter: »Sie waren demnach Ihres Wissens am Mittwochabend noch immer mit dem Verstorbenen verlobt und gedachten sich in Kürze mit ihm zu verheiraten?«
Zeugin: »J-a. Ja, gewiß. Natürlich.«
Untersuchungsrichter: »Er war nicht - verzeihen Sie mir die schmerzliche Frage - er war nicht der Mann, dem man hätte zutrauen können, daß er Hand an sich selbst legte?«
Zeugin: »Also, daran habe ich nie - nun ja, ich weiß nicht -denkbar wäre es schon. Das würde ja alles erklären, nicht?«
Untersuchungsrichter: »Nun, Lady Mary - bitte quälen Sie sich nicht, lassen Sie sich ruhig Zeit -, aber könnten Sie uns einmal genau schildern, was Sie am Mittwochabend und Donnerstagmorgen gehört und gesehen haben?«
Zeugin: »Ich bin gegen halb zehn zusammen mit Mrs. Marchbanks und Mrs. Pettigrew-Robinson zum Schlafen hinaufgegangen; die Männer blieben alle noch unten. Ich habe Denis, der auf mich nicht anders wirkte als sonst, gute Nacht gesagt. Als die Post kam, war ich nicht mehr unten. Ich bin sofort in mein Zimmer gegangen. Mein Zimmer liegt auf der Rückseite des Hauses. Gegen zehn hörte ich Mr. Pettigrew-Robinson heraufkommen. Die Pettigrew-Robinsons schlafen im Zimmer neben meinem. Mit ihm kamen noch ein paar Männer die Treppe herauf. Meinen Bruder habe ich nicht heraufkommen hören. Etwa um Viertel nach zehn hörte ich dann zwei Männer laut auf dem Korridor reden, und dann lief einer von ihnen die Treppe hinunter und schlug laut die Haustür zu. Danach hörte ich schnelle Schritte auf dem Flur, und schließlich hörte ich meinen Bruder die Tür zu seinem Zimmer schließen. Dann bin ich zu Bett gegangen.«
Untersuchungsrichter: »Haben Sie sich nicht nach der Ursache der Störung erkundigt?«
Zeugin (gleichgültig): »Ich dachte, es sei irgend etwas wegen der Hunde.«
Untersuchungsrichter: »Was geschah dann?«
Zeugin: »Ich bin um drei aufgewacht.«
Untersuchungsrichter: »Wodurch?«
Zeugin: »Ich habe einen Schuß gehört.«
Untersuchungsrichter: »Sie waren also nicht wach, bevor Sie ihn hörten?«
Zeugin: »Ich war vielleicht halbwach. Jedenfalls habe ich ihn sehr deutlich gehört. Ich war sicher, daß es ein Schuß war.
Ich habe ein paar Minuten gelauscht, dann bin ich hinuntergegangen, um zu sehen, ob irgend etwas los war.«
Untersuchungsrichter: »Warum haben Sie nicht Ihren Bruder oder einen von den anderen Herren gerufen?«
Zeugin (verächtlich): »Wozu denn? Ich dachte, es wären vielleicht nur Wilddiebe, und da wollte ich doch zu so unmenschlicher Zeit kein unnötiges Aufsehen machen.«
Untersuchungsrichter: »Hörte es sich an, als ob der Schuß nah beim Haus gefallen wäre?«
Zeugin: »Ziemlich nah, glaube ich - schwer zu sagen, wenn man von einem Geräusch geweckt wird - da klingt es immer besonders laut.«
Untersuchungsrichter: »Klang der Schuß nicht so, als ob er im Haus oder im Wintergarten gefallen wäre?«
Zeugin: »Nein, es war draußen.«
Untersuchungsrichter: »Sie sind dann also ganz allein nach unten gegangen. Das war sehr beherzt von Ihnen, Lady Mary. Sind Sie sofort gegangen?«
Zeugin: »Nicht unmittelbar. Ich habe zuerst noch ein paar Minuten überlegt. Dann habe ich ein Paar Straßenschuhe über die bloßen Füße gezogen, mir einen dicken Mantel umgehängt und eine Wollmütze aufgesetzt. Als ich mein Zimmer verließ, waren seit dem Schuß vielleicht fünf Minuten vergangen. Ich bin die Treppe hinunter und durchs Billardzimmer in den Wintergarten gegangen.«
Untersuchungsrichter: »Warum sind Sie auf diesem Weg hinausgegangen?«
Zeugin: »Weil es so schneller ging, als wenn ich zuerst die Vorder- oder die Hintertür hätte aufschließen müssen.«
An dieser Stelle wurde den Geschworenen ein Grundriß des Jagdhauses übergeben. Es handelt sich um ein geräumiges, zweigeschossiges Haus in einfacher Bauweise, das vom derzeitigen Besitzer, Mr. Walter Montague, für die Dauer der Jagdsaison an den Herzog von Denver vermietet wurde, denn Mr. Montague selbst hält sich in den Vereinigten Staaten auf.
Zeugin (fortfahrend): »Als ich an die Tür des Wintergartens kam, sah ich draußen einen Mann stehen, der sich über etwas am Boden beugte. Als er sich aufrichtete, sah ich zu meiner Verwunderung, daß es mein Bruder war.«
Untersuchungsrichter: »Wen hatten Sie denn zunächst vermutet, bevor Sie sahen, wer er war?«
Zeugin: »Das kann ich eigentlich nicht sagen - es ging alles so schnell. Ich glaube, ich habe an Einbrecher gedacht.«
Untersuchungsrichter: »Seine Gnaden hat uns berichtet, Sie hätten bei seinem Anblick gerufen: >Mein Gott! Du hast ihn getötet!< Können Sie uns sagen, warum?«
Zeugin (sehr blaß): »Ich dachte, mein Bruder sei wohl einem Einbrecher begegnet und habe in Notwehr auf ihn geschossen - das heißt, soweit ich überhaupt denken konnte.«
Untersuchungsrichter: »Ganz recht. Sie wußten, daß der Herzog einen Revolver besaß?«
Zeugin: »Ja - doch, ich glaube ja.«
Untersuchungsrichter: »Was haben Sie dann getan?«
Zeugin: »Mein Bruder hat mich ins Haus geschickt, um Hilfe zu holen. Ich habe Mr. Arbuthnot und Mr. und Mrs. Pettigrew-Robinson aufgeweckt. Dann war mir plötzlich ganz elend, und ich bin in mein Zimmer gegangen und habe etwas Hirschhornsalz genommen.«
Untersuchungsrichter: »Allein?«
Zeugin: »Ja, alles lief ja herum und rief durcheinander. Ich hab's nicht mehr ausgehalten, ich -«
Hier brach die Zeugin, die bis zu diesem Augenblick sehr gefaßt, wenn auch leise, ihre Aussage gemacht hatte, plötzlich zusammen und mußte aus dem Saal geleitet werden.
Als nächster Zeuge wurde James Fleming, der Diener, aufgerufen. Er erinnerte sich, am Mittwochabend um Viertel vor zehn die Post aus Riddlesdale gebracht zu haben. Er habe dem Herzog vier Briefe in die Waffenkammer gebracht. Er könne sich nicht entsinnen, ob einer davon eine ägyptische Briefmarke gehabt habe, er sei kein Briefmarkensammler. Er sammle Autogramme.
Dann sagte der Ehrenwerte Frederick Arbuthnot aus. Er sei mit den andern kurz vor zehn zu Bett gegangen. Etwas später -wieviel später, könne er nicht sagen - habe er Denver allein heraufkommen hören - er habe sich gerade die Zähne geputzt. (Gelächter.) Gewiß, die lauten Stimmen und den Krach im Zimmer nebenan und auf dem Gang habe er gehört. Jemand sei wie der Teufel die Treppe hinuntergerannt. Er habe den Kopf zur Tür hinausgestreckt und Denver auf dem Korridor gesehen. Er habe gesagt: »Hallo, Denver, was soll der Lärm?« Die Antwort des Herzogs sei nicht zu verstehen gewesen. Denver sei in sein Zimmer gerannt und habe zum Fenster hinausgeschrien: »Mann, spiel nicht den Idioten!« Der Herzog sei schon sehr wütend gewesen, aber dem habe der Ehrenwerte Freddy keine Bedeutung beigemessen. Mit Denver kriege man dauernd Krach, aber es sei nie ernst. In seinen Augen mehr Schaum als Wasser. Er kenne Cathcart noch nicht lange - habe ihn immer ganz in Ordnung gefunden - nein, besonders sympathisch sei er ihm nicht gewesen, aber eben soweit in Ordnung, er könne nichts Nachteiliges über ihn sagen. Himmel, nein, von Falschspiel habe er nie etwas gehört! Natürlich, nein, er renne auch nicht herum und suche nach Leuten, die beim Kartenspiel mogelten - damit rechne man ja eigentlich nicht. Er sei einmal in Monte Carlo auf diese Weise reingelegt worden - mit der Entdeckung habe er nichts zu tun gehabt - er habe gar nichts gemerkt, bis der Tanz losgegangen sei. In Cathcarts Verhalten gegenüber Lady Mary habe er nichts Besonderes bemerkt, oder in ihrem zu ihm. Er merke anscheinend nie etwas; er betrachte sich nicht als besonders scharfen Beobachter. Er sei von Natur aus nicht neugierig; er habe geglaubt, der Krach vom Mittwoch abend gehe ihn nichts an. Er sei zu Bett gegangen und eingeschlafen.