Dann kam Monsieur Briquet, der Juwelier aus der Rue de la Paix, und nach ihm seine Verkäuferin, die ihre Geschichte von der großen, blonden, ausländischen Dame und dem Kauf der grünäugigen Katze erzählte - woraufhin plötzlich alle wieder aufwachten. Sir Impey erinnerte die Versammelten daran, daß dieser Vorfall sich im Februar ereignet habe, als Cathcarts Verlobte in Paris gewesen sei, und bat dann die Verkäuferin, sich umzusehen und zu sagen, ob sie die betreffende Dame im Hause sehe. Dies erwies sich als eine langwierige Prozedur, doch das Ergebnis war am Ende negativ.
»Ich möchte, daß hier kein Zweifel bestehen bleibt«, sagte Sir Impey, »und werde dieser Zeugin jetzt mit Erlaubnis des verehrten Anklagevertreters Lady Mary Wimsey gegenüb erstellen.«
Daraufhin wurde also Lady Mary vor die Zeugin gestellt, die unverzüglich und mit großer Bestimmtheit antwortete: »Nein, das ist nicht die Dame; diese Dame habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Sie sieht ihr in Größe, Haarfarbe und Frisur zwar ein wenig ähnlich, aber sonst - nein, nicht im mindesten. Sie ist nicht einmal der gleiche Typ. Mademoiselle ist eine bezaubernde englische Lady, und der Mann, der sie heiratet, wird sehr glücklich sein, aber die andere war belle a se suicider - eine Frau, für die man sich umbringt, für die man alles zum Teufel schickt, und glauben Sie mir, meine Herren« (dies mit einem breiten Lächeln für ihr distinguiertes Publikum), »in meinem Beruf sehe ich so manche.«
Die Zeugin trat inmitten allgemeiner Erregung ab, und Sir Impey kritzelte etwas auf einen Zettel und schob ihn Mr.
Murbles zu. Es stand nur ein Wort darauf: »Großartig!« Mr. Murbles schrieb zurück:
»Habe ihr kein Wort gesagt. Können Sie das überbieten?« Und damit lehnte er sich, schmunzelnd wie eine hübsche kleine Groteske an einem gotischen Kapitell, behaglich zurück.
Der nächste Zeuge war Professor Herbert, eine anerkannte Kapazität für internationales Recht, der Cathcarts vielversprechende Karriere als aufstrebender junger Diplomat im Vorkriegs-Paris schilderte. Ihm folgten mehrere Offiziere, die Cathcart aus dem Krieg kannten und ihm ein ausgezeichnetes Zeugnis ausstellten. Dann trat ein Zeuge auf, der sich mit dem aristokratischen Namen du Bois-Gobey Houdin vorstellte und sich genau an einen sehr peinlichen Disput anläßlich eines Kartenspiels mit le Capitaine Cathcart erinnerte, worüber er dann später mit Monsieur Thomas Freeborn, dem bekannten englischen Ingenieur, gesprochen habe. Parkers Fleiß hatte diesen Zeugen zutage gefördert, und jetzt blickte er mit unverhohlenem Grinsen zu dem geschlagenen Sir Wigmore Wrinching hinüber. Bis Mr.
Glibbery die Zeugen alle vorgeführt hatte, war der Nachmittag schon weit vorangeschritten, und der Großhofmeister fragte also die Lords, ob es ihnen genehm sei, die Sitzung bis zum nächsten Vormittag um Glockenschlag halb elf zu vertagen, worauf sie in mustergültigem Chor »Aye« riefen, und die Sitzung war vertagt.
Eilige schwarze Wolken mit gezackten Rändern jagten drohend westwärts, als sie auf den Parliament Square hinausströmten, und vom Fluß her kreisten kreischende Möwen stadteinwärts. Charles Parker schlug seinen alten Burberry fest um sich, als er in einen Bus stieg, um nach Hause in die Great Ormond Street zu fahren. Es war nur ein weiterer Tropfen in seinen Wermutbecher, als ihn der Schaffner mit einem knappen »Nur oben!« begrüßte und schon die Klingel zog, bevor er wieder aussteigen konnte. Er stieg aufs Oberdeck, nahm Platz und hielt seinen Hut fest. Mr. Bunter kehrte traurig nach 110 A Piccadilly zurück und wanderte bis sieben Uhr ruhelos in der Wohnung umher, dann ging er ins Wohnzimmer und schaltete das Radio ein.
»Hier London«, sagte die unsichtbare Stimme teilnahmslos. »2 LO meldet sich mit der Wettervorhersage. Ein starkes Tiefdruckgebiet überquert den Atlantik, während ein Ausläufer über den britischen Inseln verweilt. Heftige, im Süden und Südwesten orkanartige Winde bringen Regen- und Schneeschauer ...«
»Man kann nie wissen«, sagte Bunter. »Ich sollte lieber das Feuer in seinem Schlafzimmer anmachen.«
»Weitere Aussichten unverändert.«
Die zweite Sehne
Und als er kam zurgebroch’nen Brück’, Spannt’ er die Sehne und schwamm;
Und als er kam an den grünen Rain, Löst’ er die Schuh’ und sprang.
Und als er kam an Lord Williams Tor, Da hielt er nicht lange inne;
Er spannte die Sehne ein zweites Mal Und schwang sich über die Zinne.
Die Ballade von Lady Maisry
Lord Peter spähte angestrengt durch die kalten, eiligen Wolkenfetzen. Die dünnen, unglaublich zerbrechlichen Stahlstreben zogen langsam über das glitzernde, funkelnde Land dahin, das sich neblig unter ihnen ausbreitete wie eine bewegliche Landkarte. Vor ihm wölbte sich trotzig und regennaß der glatte Lederrücken seines Gefährten. Er konnte nur hoffen, daß Grant noch guten Muts war. Das Brüllen des Motors ertränkte die Worte, die er seinem Passagier gelegentlich zurief, während sie von Bö zu Bö weiterschaukelten.
Er riß seine Gedanken von den gegenwärtigen Unbilden los und ließ sich noch einmal diese letzte, denkwürdige Szene durch den Kopf gehen. Bruchstücke ihrer Unterredung klangen ihm noch in den Ohren nach.
»Mademoiselle, ich habe auf der Suche nach Ihnen zwei Kontinente durchstreift.«
»Voyons, dann ist es wohl wichtig. Aber beeilen Sie sich, sonst kommt gleich der große Bär und brummt, und ich hasse des histoires.«
Auf dem niedrigen Tischchen hatte eine Lampe gestanden; er erinnerte sich, wie ihr Licht durch das kurzgeschnittene blonde Haar schimmerte. Sie war groß, aber schlank und hatte von den dicken schwarz-goldenen Kissen zu ihm aufgesehen.
»Mademoiselle, es ist mir unbegreiflich, wie Sie je mit einem Menschen, der van Humperdinck heißt - äh - speisen und tanzen können.«
Was hatte ihn nur bewogen, das zu sagen - wo doch die Zeit so knapp war und nichts wichtiger sein konnte als Jerrys Angelegenheiten?
»Monsieur Humperdinck tanzt nicht. Haben Sie mich über zwei Kontinente verfolgt, um mir das zu sagen?«
»Nein, es ist ernst.«
»Eh bien, setzen Sie sich.«
Sie hatte ganz offen mit ihm darüber gesprochen.
»Ja, die arme Seele. Aber das Leben ist sehr kostspielig seit dem Krieg. Ich habe ein paar gute Angebote abgelehnt. Aber immerzu des histoires. Und so wenig Geld. Man muß ja vernünftig sein, nicht wahr? An sein Alter denken. Dafür muß man doch Vorsorgen, nicht?«
»Gewiß.« Sie sprach mit einem ganz leichten Akzent - der ihm sehr bekannt vorkam. Zuerst konnte er ihn allerdings nirgends unterbringen. Dann fiel es ihm ein. Wien vor dem Krieg; diese Hauptstadt der unglaublichsten Verrücktheiten.
»Ja, ja, ich habe ihm geschrieben. Ich war sehr freundlich, sehr vernünftig. Ich habe geschrieben: >Je ne suispas femme a supporter des gros ennuis.< Cela se comprend, n'est-cepash?«
Das verstand sich nur zu leicht. Das Flugzeug sackte plötzlich in ein Luftloch, hilflos wirbelte der Propeller, dann fing er sich, und die Maschine stieg langsam wieder.
»Ich habe es in der Zeitung gelesen - ja. Armer Junge! Warum kann ihn nur jemand erschossen haben?«
»Mademoiselle, gerade deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Mein Bruder, den ich sehr liebe, ist des Mordes angeklagt. Womöglich wird er gehängt.«
»Brrr!«
»Für einen Mord, den er nicht begangen hat.«
»Mon pauvre enfant -«
»Mademoiselle, ich bitte Sie herzlich, bleiben Sie ernst. Mein Bruder steht vor Gericht und bekommt den Prozeß gemacht -«
Nachdem er einmal ihre Aufmerksamkeit besaß, war sie ganz Mitgefühl. Ihre blauen Augen hatten eine merkwürdige, aber attraktive Eigenheit - ein volles Unterlid, mit dem sie die Augen zu funkelnden Schlitzen verschloß.
»Mademoiselle, ich flehe Sie an, versuchen Sie sich zu erinnern, was in seinem Brief stand.«
»Aber, mon pauvre ami, wie könnte ich? Ich habe ihn nicht gelesen. Er war sehr lang, sehr ermüdend, voller histoires. Die Sache war aus - ich kümmere mich nie um etwas, das nicht mehr zu ändern ist, Sie vielleicht?«