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»Nun, für mich ist es keineswegs offensichtlich.«

»Dann werden wir die Dinge rasch klarstellen.« Hannaford war geschickt beim Einlegen der Kassette, aber ihre Miene verriet, dass sie an der Funktionsfähigkeit des Geräts ihre Zweifel hatte. Sie drückte einen Knopf, betrachtete einen Moment die sich drehenden Spulen und nannte Datum, Uhrzeit und Namen der anwesenden Personen. Dann forderte sie Daidre auf: »Erzählen Sie uns von Santo Kerne, Dr. Trahair.«

»Was soll ich Ihnen denn erzählen?«

»Was immer Sie wissen.«

Das war alles Routine, die ersten Züge im Katz-und-Maus-Spiel eines Verhörs. Daidre antwortete so einfach wie möglich: »Ich weiß, dass er bei einem Sturz von der nördlichen Klippe in Polcare Cove ums Leben gekommen ist.«

Das schien Hannaford nicht zufriedenzustellen. »Wie freundlich von Ihnen, uns daran zu erinnern. Sie wussten, wer er war, als Sie ihn gesehen haben, nicht wahr?« Es war eine Aussage, keine Frage. »Also basierte bereits unsere allererste Interaktion auf einer Lüge. Richtig?«

Havers schrieb mit einem Bleistift, sah Daidre. Die Spitze rieb leise quietschend über das Papier, und war der Laut auch normalerweise harmlos, hatte er in dieser Situation eine Wirkung auf sie wie Fingernägel, die über eine Schultafel kratzten.

»Ich hatte ihn nicht richtig ansehen können«, antwortete Daidre zögerlich. »Dafür blieb gar keine Zeit.«

»Aber Sie haben ihn auf Lebenszeichen untersucht, oder nicht? Sie waren als Erste vor Ort. Wie konnten Sie feststellen, ob er noch lebte, ohne ihn anzusehen?«

»Man muss nicht in das Gesicht eines Opfers blicken, um es auf Lebenszeichen zu untersuchen, Inspector.«

»Was für eine drollige Antwort! Wie realistisch ist die Vorstellung, nach Lebenszeichen zu suchen, ohne jemanden anzusehen? Als Erste am Unglücksort, und selbst im schwindenden Tageslicht…«

»Ich war als Zweite am Unglücksort«, unterbrach Daidre. »Thomas Lynley war der Erste.«

»Aber Sie wollten die Leiche sehen. Sie haben darauf bestanden. Sie wollten sich nicht auf Superintendent Lynleys Wort verlassen, dass der Junge tot war.«

»Ich wusste ja nicht, dass er Superintendent Lynley war«, gab Daidre zurück. »Ich kam zu meinem Cottage und fand ihn dort vor. Er hätte auch irgendein Einbrecher sein können. Er war ein Fremder, sah völlig verwahrlost aus wie Sie selbst gesehen haben, ein ziemlich wilder Geselle, der behauptete, in der Bucht liege eine Leiche und er müsse sofort irgendwohin gebracht werden, um zu telefonieren. Es schien mir wenig sinnvoll, ihn zum nächsten Telefon zu kutschieren, ohne mich vorher zu vergewissern, dass er die Wahrheit sagte.«

»Oder nachzusehen, wer der Tote war. Haben Sie vermutet, es könnte Santo sein?«

»Ich hatte keine Ahnung! Woher denn auch? Ich wollte nur feststellen, ob ich irgendwie würde helfen können.«

»Auf welche Weise?«

»Wenn er verletzt gewesen wäre…«

»Sie sind Veterinärin, Dr. Trahair. Keine Unfallärztin. Wie hätten Sie ihm helfen wollen?«

»Verletzungen sind Verletzungen. Knochen sind Knochen. Wenn ich hätte helfen können…«

»Als Sie ihn gesehen haben, wussten Sie, um wen es sich handelte. Der Junge war Ihnen doch bestens bekannt…«

»Ich wusste, wer Santo Kerne war, wenn Sie das meinen. Das hier ist keine dicht besiedelte Gegend. Früher oder später kennt man jeden, wenn auch nur vom Sehen.«

»Aber ich schätze, Sie kannten ihn ein bisschen besser als nur vom Sehen.«

»Dann ist Ihre Einschätzung falsch.«

»Das deckt sich nicht mit dem, was mir berichtet wurde, Dr. Trahair. Und auch nicht damit, was bezeugt wurde.«

Daidre schluckte. Mit einem Mal fiel ihr auf, dass Sergeant Havers aufgehört hatte zu schreiben. Aber wann? Sie war unaufmerksamer gewesen, als sie es hätte sein dürfen, und sie wollte wieder den Kurs einschlagen, mit dem sie begonnen hatte. Trotz ihres heftig klopfenden Herzens sagte sie zu Havers: »New Scotland Yard. Sind Sie die einzige Beamtin aus London, die hier an diesem Fall arbeitet? Außer Superintendent Lynley natürlich.«

Hannaford ging dazwischen: »Dr. Trahair, das hat nichts mit meiner Frage…«

»New Scotland Yard. Die Londoner Polizeibehörde. Aber Sie müssen zur… Wie nennt man das? Kriminalpolizei? Mordkommission? Oder heißt das heutzutage anders?«

Havers warf Hannaford einen hilfesuchenden Blick zu.

»Dann nehme ich an, dass Sie Thomas Lynley kennen. Da er von New Scotland Yard ist und Sie ebenfalls und sie beide in derselben — soll ich sagen, auf demselben Gebiet? — arbeiten, müssen Sie einander doch kennen, oder?«

»Ob Superintendent Lynley und Detective Sergeant Havers einander kennen, braucht Sie nicht zu kümmern«, erklärte Hannaford. »Wir haben einen Zeugen, der Santo Kerne vor Ihrer Haustür gesehen hat, Dr. Trahair. Wir haben einen Zeugen, der ihn sogar in Ihrem Cottage gesehen hat. Wenn Sie eine Erklärung haben, wie jemand, den Sie angeblich nur vom Sehen kannten, an Ihre Tür klopfen und Einlass finden konnte, dann würden wir sie sehr gerne hören.«

»Ich nehme an, Sie waren diejenige, die in Falmouth Fragen über mich gestellt hat«, sagte Daidre zu Havers.

Havers sah sie ausdruckslos an — ein gutes Pokerface. Überraschenderweise lüftete Hannaford das Geheimnis. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit unvermittelt, wenn auch nur kurz, auf Havers, und ihr Blick war fragend. Daidre zog den naheliegenden Schluss.

»Und ich nehme weiter an, es war Thomas Lynley, nicht Detective Inspector Hannaford, der Ihnen den Auftrag dazu erteilt hat.« Sie stellte es nüchtern fest. Sie wusste, dass sie recht hatte; doch darüber, was diese Erkenntnis für sie bedeuten mochte, wollte sie im Augenblick lieber nicht nachdenken.

Was sie hingegen wollte, war, die Polizei abzuschütteln, sie aus ihrem Leben zu vertreiben. Unglücklicherweise gab es nur einen Weg, das zu erreichen, und dieser Weg führte über die Preisgabe von Informationen. Über einen Namen, der den Ermittlern eine andere Richtung weisen würde. Und Daidre war bereit, diesen Namen zu nennen.

»Sie sollten mit Aldara Pappas sprechen. Sie finden Sie auf einer Farm namens Cornish Gold. Eine Ciderfarm.«

Jonathan Parsons' Exfrau ausfindig zu machen, kostete Lynley weitere neunzig Minuten. Nachdem er Rock Larsons Büro verlassen hatte, suchte er die Gesamtschule auf, wo er erfuhr, dass Niamh Parsons schon seit Langem Niamh Triglia hieß und noch nicht ganz so lange im Ruhestand war. Über Jahre hatte sie in unmittelbarer Nähe der Schule gewohnt, aber ob sie dort noch immer lebte, nachdem sie aus dem Schuldienst ausgeschieden war, konnte man ihm nicht sagen.

Er stattete dem Stadtarchiv einen Besuch ab und fand dort schnell heraus, dass die Triglias nicht mehr in Exeter wohnten, aber auch diese Hürde nahm er im Handumdrehen, indem er ein paar Nachbarn befragte und ihnen seinen Dienstausweis zeigte. Mühelos erfuhr er, dass die Triglias wie schon so viele andere vor ihnen in sonnigere Gefilde aufgebrochen waren nicht jedoch etwa an die spanische Küste. Glücklicherweise waren sie in Cornwall geblieben, wo zwar kein mediterranes Klima herrschte, doch boten bestimmte Landstriche immerhin bessere Wetterbedingungen als der Rest des englischen Festlands. Wenn man nur von ausreichend froher Natur war, konnte man das Klima durchaus als mild bezeichnen. Und froher Natur waren die Triglias offenbar. Inzwischen wohnten sie in Boscastle.

Er würde also erneut eine längere Strecke fahren müssen, aber es war ein trockener Tag, und der Frühling war noch nicht weit genug fortgeschritten, als dass bereits jetzt scharenweise Touristen die Straßen verstopften und die Küste in einen einzigen lang gezogenen Parkplatz vor spektakulärer Kulisse verwandelten.

Lynley schaffte die Strecke nach Boscastle in relativ guter Zeit. Er stellte seinen Wagen ab und stieg zu Fuß einen steilen Pfad zu einer Reihe Cottages hinauf, die sich oberhalb des uralten Fischerhafens einen Meeresarm, umschlossen von hohen Schiefer- und Lavaklippen über einen Hügel verteilten. Sein Weg führte ihn zunächst über die bescheidene Hauptstraße ein paar Geschäfte in unverputzten Häusern, die in erster Linie Souvenirs anboten, und einige wenige, die den alltäglichen Bedarf der Dorfbewohner deckten. Dahinter lag die Old Street. Dort wohnten die Triglias, nicht weit von einem Obelisken entfernt, einem Mahnmal für die Toten der beiden Weltkriege. Ihr Haus, das Lark Cottage, war weiß gekalkt und hätte ebenso gut auf Santorin stehen können. Dicke Heidekrautbüschel wuchsen im Vorgarten, und üppige Primeln schmückten die Pflanzkästen an den Fenstern, hinter denen frische weiße Gardinen hingen. Die Haustür war leuchtend grün lackiert. Lynley überquerte eine Schieferbrücke, die einen tiefen Abzugsgraben vor dem Häuschen überspannte, und als er anklopfte, dauerte es nur einen Moment, bis eine Frau öffnete. Sie trug eine Schürze, und ihre Brille war fettbesprenkelt. Das graue Haar war streng nach oben gesteckt.