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»Ich backe gerade Krabbenküchlein«, sagte sie, offenbar als Erklärung für ihren Aufzug und ihren gehetzten Ausdruck. »Tut mir leid, aber ich kann sie keine Sekunde aus den Augen lassen.«

»Mrs. Triglia?«, fragte er.

»Ja. Ja. Oh, bitte beeilen Sie sich. Es tut mir leid, wenn ich unhöflich bin, aber sie saugen sich voll Fett, wenn man sie zu lange darin schwimmen lässt.«

»Thomas Lynley. New Scotland Yard.« Er verharrte einen winzigen Moment, als ihm schlagartig aufging, dass dies das erste Mal seit Helens Tod war, dass er sich derart vorgestellt hatte. Er blinzelte ob dieser Erkenntnis und des schmerzhaften Stichs, den sie mit sich brachte. Dann zeigte er der Frau seinen Dienstausweis. »Niamh Triglia? Ehemals Parsons?«

Sie antwortete: »Ja, das bin ich.«

»Ich muss mit Ihnen über Ihren Mann sprechen. Jonathan Parsons. Darf ich hereinkommen?«

»O ja, sicher.« Sie trat von der Tür zurück, um ihn einzulassen. Dann führte sie ihn durch ein Wohnzimmer, das von Bücherregalen voll zerlesener Taschenbücher dominiert wurde aufgelockert nur durch einige wenige Familienfotos, ein paar Muscheln, interessante Steine oder Treibholzstücke, in die Küche. Das Küchenfenster öffnete sich zu einem kleinen Garten: ein Stück Rasen, umgeben von ordentlichen Blumenbeeten, mit einem Laubbaum in der Mitte.

Krabbenküchlein herzustellen, brachte offenkundig ein beachtliches Chaos mit sich. Heißes Öl hatte sich in Spritzern auf dem Herd verteilt, Schüsseln und Dosen standen dicht an dicht auf der Spüle, Holzlöffel, ein Eierkarton und eine Kaffeepresse, die keinen Kaffee mehr, dafür aber uralten Kaffeesatz enthielt. Niamh Triglia trat an den Herd und wendete die Küchlein, was eine erneute Ölfontäne auslöste. »Das Schwierigste an der Sache ist, den Teig zu bräunen, ohne so viel Öl zu verbrauchen, dass man hinterher das Gefühl hat, schlecht gemachte Pommes frites zu essen. Kochen Sie, Mr.… Nein, es war Superintendent, oder?«

»Ja«, antwortete er. »Was den Superintendent betrifft. Aber Kochen gehört nicht gerade zu meinen Stärken.«

»Es ist meine Leidenschaft«, gestand sie. »Ich hatte viel zu wenig Zeit dafür, als ich noch im Schuldienst war, aber seit ich in Rente bin, kann ich nicht genug davon bekommen. Kochkurse im Gemeindehaus, Kochsendungen im Fernsehen, solche Sachen. Das Problem ist das Essen.«

»Sie sind unzufrieden mit den Früchten Ihrer Bemühungen?«

»Im Gegenteil, ich bin bei Weitem zu zufrieden.« Sie tätschelte mit beiden Händen ihren Leib, der von der Schürze allerdings weitgehend verhüllt war. »Ich versuche, die Rezepte auf eine Portion herunterzurechnen, aber Mathematik war nie meine Stärke, und meistens koche ich genug für vier.«

»Das heißt, Sie leben allein?«

»Hm. Ja.« Mit dem Pfannenheber lüpfte sie behutsam eine Ecke des Krabbenkuchens, um den Bräunungsgrad zu begutachten. »Perfekt«, murmelte sie, nahm einen Teller von einem nahen Schrank und legte mehrere Lagen Küchenpapier darauf. Vom Kühlschrank nahm sie eine kleine Rührschüssel. »Aioli«, erklärte sie und wies mit dem Kinn auf das Gemisch. »Roter Pfeffer, Knoblauch, Zitrone und so weiter. Bei einer guten Aioli ist das ausgewogene Verhältnis der verschiedenen Geschmacksrichtungen entscheidend. Das und natürlich das Olivenöl. Sehr gutes Extra ist unerlässlich.«

»Entschuldigung. Extra?«, fragte Lynley verständnislos.

»Extra natives Olivenöl. Das jungfräulichste, das es gibt. Wenn man Jungfräulichkeit bei Oliven überhaupt abstufen kann. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe nie so ganz verstanden, was es heißt, wenn ein Olivenöl jungfräulich ist. Sind Oliven Jungfrauen? Werden sie von Jungfrauen geerntet? Oder gepresst?« Sie trug die Aioli zum Küchentisch, wandte sich wieder zum Herd um und verfrachtete ihre Krabbenkuchen behutsam auf den Teller mit dem Küchenpapier. Dann rollte sie weitere Blätter ab, legte sie obenauf und betupfte die Küchlein vorsichtig, um möglichst viel des überschüssigen Öls aufzusaugen. Schließlich holte sie drei weitere Teller aus dem Ofen, und Lynley verstand, was sie gemeint hatte, als sie sagte, sie sei unfähig, ihre Rezepte auf eine Person herunterzurechnen. Jeder der Teller enthielt sowohl Küchenpapier als auch Krabbenküchlein. Sie schien mehr als ein Dutzend gebacken zu haben.

»Man muss dafür nicht unbedingt frische Krabben verwenden«, belehrte sie ihn. »Man kann auch die aus der Dose nehmen. Ehrlich gesagt, ich finde, wenn die Krabben gekocht werden, kann man den Unterschied ohnehin nicht mehr schmecken. Isst man sie jedoch zu einem kalten Gericht, zu einem Salat oder Dip, ist man mit frischen besser bedient. Aber Sie müssen sich vergewissern, dass es wirklich frische Frische sind. Noch am selben Tag gefangen, meine ich.« Sie stellte die Teller auf den Tisch und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Er werde sich doch sicher verführen lassen, hoffe sie. Sonst stehe zu befürchten, dass sie sie alle selbst essen werde, da ihre Nachbarn ihre kulinarischen Bemühungen nicht in dem Maße zu würdigen wüssten, wie sie es sich wünschte. »Ich habe keine Familie mehr, die ich bekochen könnte«, fügte sie hinzu. »Die Mädchen haben sich in alle Winde zerstreut, und mein Mann ist letztes Jahr gestorben.«

»Tut mir leid, das zu hören.«

»Danke. Es kam ganz plötzlich, darum war es ein furchtbarer Schock. Bis zu dem Tag vor seinem Tod ging es ihm großartig. Und er war immer so sportlich! Dann klagte er über Kopfschmerzen, die sich nicht vertreiben ließen, und am nächsten Morgen starb er, als er gerade dabei war, sich die Socken anzuziehen. Ich hörte ein Geräusch und bin nachsehen gegangen, und da lag er auf dem Fußboden. Aneurysma.« Sie senkte den Blick, die Augenbrauen zusammengezogen. »Schwierig, sich nicht verabschieden zu können.«

Lynley fühlte, wie die Stille des Erinnerns sich um ihn herabsenkte. Kerngesund am Morgen, tot, aus und vorbei am Nachmittag. Er räusperte sich rau. »Ja. Das kann ich mir vorstellen.«

»Na ja. Irgendwann kommt man darüber hinweg«, sagte sie mit einem brüchigen Lächeln. »Jedenfalls hofft man das.« Sie ging zum Schrank und nahm zwei Teller heraus und aus einer Schublade Besteck. Dann deckte sie den Tisch. »Bitte, setzen Sie sich, Superintendent.«

Sie fand eine Leinenserviette für ihn und benutzte ihre eigene, um ihre Brille zu säubern. Ohne die Brille hatte sie den vagen Blick der lebenslang Kurzsichtigen. »Na bitte«, sagte sie, als sie fertig war. »Jetzt kann ich Sie richtig sehen. Meine Güte, was für ein gut aussehender Mann Sie sind! Wenn ich in Ihrem Alter wäre, würde es mir die Sprache verschlagen. Wie alt sind Sie?«

»Achtunddreißig.«

»Was ist ein Altersunterschied von dreißig Jahren schon unter Freunden?«, fragte sie lächelnd. »Sind Sie verheiratet?«

»Meine Frau… Ja. Ja, das bin ich.«

»Und ist Ihre Frau eine Schönheit?«

»Allerdings.«

»Blond wie Sie?«

»Nein. Dunkelhaarig.«

»Dann müssen Sie ein hübsches Paar abgeben. Francis — das war mein Mann — und ich sahen einander so ähnlich, dass wir früher oft für Bruder und Schwester gehalten wurden, als wir noch jünger waren.«