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Lynley hatte das Bild eingehend studiert und sah nun auf. »Darf ich das eine Weile behalten? Natürlich bekommen Sie es zurück.«

Die Bitte schien sie zu überraschen. »Behalten? Wofür, in aller Welt?«

»Ich würde es gern jemandem zeigen. Ich bringe es Ihnen in ein paar Tagen zurück. Oder schicke es mit der Post, ganz wie Sie möchten. Ich werde gut darauf aufpassen.«

»Natürlich können Sie es mitnehmen«, antwortete sie. »Aber… Ich habe gar nicht gefragt, dabei sollte ich das. Warum sind Sie hier und stellen Fragen über Jon?«

»Kurz außerhalb von Casvelyn ist ein Junge ums Leben gekommen.«

»In einer Strandhöhle? So wie Jamie?«

»Er ist von einer Klippe gestürzt.«

»Aber Sie glauben, es hat etwas mit Jamies Tod zu tun?«

»Ich bin nicht sicher.« Lynley sah das Bild noch einmal an. »Wo sind Ihre Töchter heute, Mrs. Triglia?«

24

Bea Hannaford gefiel es überhaupt nicht, dass Daidre Trahair mehrmals versucht hatte, die Kontrolle über ihr Gespräch an sich zu reißen. Diese Tierärztin war schlau, befand Bea, und das bestärkte sie nur in ihrer Entschlossenheit, diesem gerissenen Luder etwas anzuhängen. Womit sie am Ende dastanden, war jedoch nicht das, was Bea erwartet oder erhofft hatte.

Nachdem Daidre Trahair ihnen die vermutlich nutzlosen Informationen bezüglich Aldara Pappas und Cornish Gold gegeben hatte, hatte sie sie höflich davon in Kenntnis gesetzt, dass sie sich nun verabschieden werde, es sei denn, die Polizei wolle sie festnehmen. Die Frau kannte ihre Rechte offensichtlich, und die Tatsache, dass sie ausgerechnet in diesem Moment Gebrauch davon gemacht hatte, brachte Bea auf die Palme. Aber es war ihr nichts anderes übrig geblieben, als sie zähneknirschend ziehen zu lassen.

Doch als sie sich erhob, hatte Dr. Trahair noch etwas gesagt, was Bea sehr erhellend fand. Daidre hatte sich an Sergeant Havers gewandt und gefragt: »Wie war seine Frau? Er hat von ihr gesprochen, aber im Grunde hat er nur sehr wenig gesagt.«

Bis zu diesem Moment hatte die Scotland-Yard-Beamtin kein Wort von sich gegeben. Ihr stetig kratzender Bleistift war das einzige Geräusch, das von ihr zu vernehmen gewesen war. Auf die Frage hin hatte sie mit besagtem Bleistift auf ihr eselsohriges Notizbuch getrommelt, als wäge sie ab, wohin eine Antwort führen konnte. Und schließlich hatte sie geantwortet: »Sie war einfach großartig.«

»Es muss ein furchtbarer Verlust für ihn sein.«

»Eine Zeit lang haben wir gedacht, es würde ihn umbringen«, hatte Havers eingeräumt, und Daidre hatte genickt. »Ja, das kann ich sehen, wenn ich ihn mir so anschaue.«

Bea hatte fragen wollen: »Und das tun Sie öfter, Dr. Trahair?«, aber sie hatte sich zurückgehalten. Sie hatte die Nase voll von ihr, und außerdem hatte sie im Moment Wichtigeres zu ergründen als die Frage, was es bedeuten mochte, dass Daidre Trahair sich nach Thomas Lynleys ermordeter Frau erkundigte. Einer dieser wichtigeren Punkte war Lynley selbst.

Nachdem die Tierärztin gegangen war und Bea herausgefunden hatte, wo diese Ciderfarm lag, brachen sie auf. Bea ließ keine Zeit verstreichen und rief auf dem Weg zu ihrem Wagen auf Lynleys Handy an. Was zum Henker er in Exeter zu suchen habe, wollte sie wissen, und wohin sonst seine fragwürdigen Ermittlungen ihn geführt hätten.

Er befinde sich in Boscastle, klärte er sie auf. Und dann erzählte er ihr eine lange Geschichte von Tod, Elternschaft, Scheidung und der Entfremdung, die zwischen Eltern und Kindern eintreten konnte.

»Ich habe da übrigens ein Foto, das ich Ihnen gern zeigen würde.«

»Weil es so hübsch ist oder weil es uns der Lösung unseres Falls näherbringt?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher«, gestand er.

Er solle sich umgehend bei ihr melden, wenn er zurück sei, trug sie ihm auf. Unterdessen sei übrigens Dr. Trahair wieder aufgetaucht, und als sie sie in die Ecke gedrängt hätten, habe sie ihnen einen neuen Namen und einen neuen Ort genannt.

»Aldara Pappas«, wiederholte er versonnen. »Eine Griechin, die Cider produziert?«

»Wir bekommen hier richtig was geboten, oder?«, gab Bea zurück. »Vermutlich kommt als Nächstes ein gestreifter Tanzbär.«

Am Auto angekommen, beendete sie das Gespräch. Nachdem sie einen Fußball, drei Zeitungen, eine Regenjacke, Hundespielzeug und einige Müsliriegelverpackungen vom Beifahrersitz auf die Rückbank verfrachtet hatte, konnte es losgehen. Cornish Gold lag in der Nähe von Brandis Corner, ein gutes Stück von Casvelyn entfernt. Sie erreichten die Farm über immer schmalere und schlechter passierbare Nebenstraßen, wie sie typisch für Cornwall waren. Schließlich gelangten sie zu einem großen Hinweisschild. "Cornish Gold", stand in roter Schrift auf einem braunen Hintergrund aus Apfelbäumen und über einem Pfeil für diejenigen, die zu unaufmerksam waren zu begreifen, was es mit der Einfahrt zu ihrer Rechten und dem gras- und unkrautbewachsenen Weg auf sich hatte. Diesen Weg ruckelten sie ungefähr zweihundert Meter weit entlang, ehe sie auf einen Parkplatz kamen, der unerwartet akkurat gepflastert war. Irgendein unerschütterlicher Optimist hatte die Hälfte des Parkplatzes für Reisebusse reserviert, die andere Hälfte in eingezeichnete Parkbuchten unterteilt. Ungefähr ein Dutzend Fahrzeuge stand entlang eines Holzzauns, und sieben weitere waren an der gegenüberliegenden Seite abgestellt.

Bea parkte vor einer großen Scheune, deren Tor sich zum Parkplatz hin öffnete. Drinnen standen zwei Traktoren, die nicht so aussahen, als wären sie je in Gebrauch gewesen. Sie sahen fabrikneu aus und dienten drei stolzen Pfauen, deren üppige Schwanzfedern sich in farbenprächtigen Kaskaden über Führerhäuser und Motorabdeckungen ergossen, als Klettergerüste. Hinter der Scheune erhob sich ein zweites Gebäude, das aus Holz und Granitblöcken erbaut war. Hier fanden sich gewaltige Eichenfässer, in denen vermutlich das Haupterzeugnis der Farm reifte. Hinter dem Gebäude wuchsen auf einem sacht ansteigenden Hügel die Apfelbäume, Reihe um Reihe, zu umgekehrten Pyramiden beschnitten und jetzt im Schmuck zarter Blüten. Ein Weg zerschnitt die Obstwiese in zwei Hälften. In der Ferne sah man darauf einen offenen Leiterwagen mit einem Kaltblut davor — offenbar fand dort eine Art Führung statt.

Jenseits des Pfades führte ein Törchen zu den Attraktionen der Ciderfarm: dem Laden, einem Café und einem weiteren Tor, durch das man zur Ciderfertigung kam, die man nur gegen einen Eintrittspreis besichtigen konnte.

Ein Polizeiausweis tat es allerdings auch, stellte sich heraus. Bea erklärte der jungen Frau hinter der Ladenkasse, sie müsse Aldara Pappas in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Der silberne Lippenring des Mädchens bebte, als es Bea den Weg ins Allerheiligste der Farm wies. »Sie kontrolliert dort gerade die Mühle.«

Bea nahm an, die Frau, die sie suchten, war bei einer… Pressmühle? Was genau tat man eigentlich mit all diesen Äpfeln? Und war jetzt die richtige Jahreszeit dafür? Sortieren, waschen, zerkleinern, pressen, wie sich herausstellte und nein, es war nicht die richtige Jahreszeit dafür.

Die Mühle war eine Maschine aus leuchtend blau lackiertem Stahl, die über eine Rinne mit einem riesigen Holzgefäß verbunden war. Die Maschinerie der Mühle selbst bestand aus ebendieser Rinne, einem fassartigen Bassin, der Wasserzufuhr, einer bedrohlich wirkenden Presse, die Ähnlichkeit mit einer riesigen Schraubzwinge hatte, einem dicken Rohr und einer geheimnisvollen Kammer am oberen Ende dieses Rohres, die momentan offen stand und von zwei Personen gewartet wurde. Eine von beiden machte sich mit verschiedenen Werkzeugen an den Innereien der Mühle zu schaffen, die aus einer Reihe sehr scharfer Klingen zu bestehen schienen. Die andere Person schien jede Bewegungen der ersten zu überwachen. Er trug eine Strickmütze, die er bis über die Augenbrauen heruntergezogen hatte, ölverschmierte Jeans und ein blaues Flanellhemd. Sie trug Jeans, Stiefel und einen dicken, gemütlich wirkenden Chenillepulli.