»Vorsichtig, Rod!«, sagte sie. »Ich will nicht, dass du auf das Schneidewerk blutest.« Worauf er erwiderte: »Keine Bange, Herzchen. Ich hab mich schon um kompliziertere Maschinen als die hier gekümmert, als du noch in den Windeln lagst.«
»Aldara Pappas?«, fragte Bea.
Die Frau fuhr herum. Sie wirkte exotisch in diesem Teil der Welt, nicht unbedingt hübsch, aber außergewöhnlich: große, dunkle Augen, dichtes, schwarz glänzendes Haar, und ein dramatisch roter Lippenstift betonte ihren sinnlichen Mund. Auch der Rest von ihr wirkte sinnlich. Kurven an den richtigen Stellen, hätte Beas Exmann vermutlich gesagt. Aldara Pappas war schätzungsweise in den Vierzigern, nach den winzigen Fältchen um die Augen zu urteilen.
»Ja«, sagte sie und streifte sowohl Bea als auch Detective Sergeant Havers mit dem abschätzigen Blick einer Frau, die ihre Konkurrenz in Augenschein nahm. Bei Havers' Frisur schien sie kurz zu verharren: sandfarben und im Stil — wenn man überhaupt von Stil sprechen konnte — nicht mehr als ein Ausdruck von Ungeduld. Am Ende sogar eigenhändig über dem Waschbecken abgeschnippelt.
»Was kann ich für Sie tun?« Aldara Pappas' Ton kündete bereits von der Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens.
»Ein paar Minuten Ihrer Zeit würden uns schon reichen.« Bea wedelte erneut mit ihrem Dienstausweis und forderte Havers mit einem Nicken auf, es ihr gleichzutun, woraufhin diese widerwillig zu einer archäologischen Ausgrabung in ihrer Schultertasche ansetzte, um den Lederklumpen ausfindig zu machen, der ihr als Brieftasche diente.
»New Scotland Yard«, erklärte Havers Aldara Pappas.
Bea ließ die Frau nicht aus den Augen und lauerte auf eine Reaktion. Doch nichts rührte sich in deren Zügen. Nur Rod pfiff beeindruckt durch die Zähne. »Was hast du denn angestellt, Herzchen?«, fragte er Aldara. »Etwa schon wieder einen deiner Kunden vergiftet?«
Aldara lächelte schwach und trug ihm auf, die Arbeit fortzusetzen. »Ich bin drüben, falls du mich brauchst«, fügte sie hinzu.
Sie bat Bea und Havers, ihr zu folgen, und führte sie über den gepflasterten Hof. In den beiden angrenzenden Gebäuden waren die Marmeladenküche und das Cidermuseum untergebracht, und ein leerer Stall diente vermutlich dem Kaltblut als Obdach. In der Hofmitte beherbergte ein Pferch ein Schwein von der Größe eines VW-Käfers. Es grunzte übellaunig und rammte angriffslustig den Zaun.
»Schluss mit dem Theater, Stamos«, befahl Aldara dem Tier. Ob es sie nun verstand oder nicht — es zog sich zu einem Haufen verfaulenden Gemüses zurück, steckte die Schnauze hinein und schleuderte einen Teil davon in die Luft. »Kluger Junge«, sagte Aldara. »Jetzt iss schön auf.«
Es sei ein Schwein der Rasse Gloucester Old Spot, erklärte sie ihren Besucherinnen, während sie sie durch einen weinumrankten Torbogen zur Rückseite der Marmeladenküche führte. "PRIVAT", stand auf einem Schild, das von der Türklinke baumelte. »Früher hat er nach der Ernte die unbrauchbaren Äpfel gefressen. Man brachte ihn einfach auf die Obstwiese, und er erledigte den Rest. Jetzt ist er nur noch für die Besucher da um der Farm mehr Authentizität zu verleihen. Das Problem ist allerdings, dass er sie am liebsten allesamt niederwalzen würde. Also, was kann ich für Sie tun?«
Wenn sie geglaubt hatten, Aldara Pappas werde sie in ihr Haus bitten und ihnen eine Tasse Tee anbieten, dann hatten sie sich getäuscht. Das Haus war ein Farmcottage mit einem Gemüsegarten davor, und scharf riechende Düngerhaufen säumten die erhöhten Beete, die säuberlich mit Holzpalisaden eingefasst waren. Aldara steuerte auf eine kleine steinerne Hütte auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens zu und holte daraus eine Schaufel, eine Harke und ein Paar Handschuhe hervor. Aus der Hosentasche zog sie ein Tuch und band es sich um den Kopf, um ihr Haar zurückzuhalten, so wie Bauersfrauen es taten und gelegentlich auch gewisse Angehörige der königlichen Familie. Dieserart zur Arbeit gerüstet, begann sie, Kompost und Dünger auf die Gemüsebeete zu schaufeln. Noch war dort nichts gepflanzt. »Ich arbeite weiter, während wir reden, wenn Sie nichts dagegen haben. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Wir sind hier, um mit Ihnen über Santo Kerne zu sprechen«, eröffnete Bea ihr. Sie nickte Havers zu, um ihr anzudeuten, dass sie protokollieren solle. Havers brachte Notizbuch und Stift wie immer eindrucksvoll zum Einsatz. Sie ließ Aldara Pappas nicht aus den Augen, und Bea gefiel es, dass Havers sich von einer anderen unbestreitbar attraktiveren Frau nicht einschüchtern ließ.
»Santo Kerne«, wiederholte Aldara. »Was soll mit ihm sein?«
»Wir würden gerne über Ihre Beziehung zu ihm reden.«
»Meine Beziehung zu ihm?«
»Ich hoffe, das ist nicht Ihr typischer Antwortstil«, merkte Bea an.
»Mein Antwortstil? Wie meinen Sie das?«
»Ihr Echo, Miss Pappas. Oder ist es Missus?«
»Aldara reicht völlig.«
»Also bitte, Aldara. Wenn es tatsächlich Ihr Stil ist, das Echo Ihres Gegenübers zu spielen, werden wir vermutlich den ganzen Tag hier verbringen müssen, und ich ahne, dass Ihnen das nicht sonderlich gefallen würde. Wir möchten Sie auch gar nicht lange von der Arbeit abhalten.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich Sie verstehe.«
»Ihr kleines Geheimnis ist aufgeflogen«, erklärte Sergeant Havers ihr ungeduldig. »Die Katze ist aus dem Sack. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Dämmert's jetzt?«
»Was Sergeant Havers sagen will, ist, dass Ihr Verhältnis mit Santo Kerne ans Licht gekommen ist«, fügte Bea hinzu. »Deswegen sind wir hier, um darüber zu sprechen.«
»Sie haben es ihm besorgt, bis er die Engelchen singen hörte«, warf Sergeant Havers ein.
»Um es mal in aller Deutlichkeit auszudrücken«, ergänzte Bea.
Aldara stieß ihre Schaufel in den Misthaufen und verteilte die Ladung auf einem der Beete. Sie sah aus, als hätte sie sie lieber auf Havers geschleudert. »Das sind Ihre Mutmaßungen«, entgegnete sie.
»O nein. Das waren die Worte einer Person, die Bescheid weiß«, widersprach Bea. »Offenbar hat sie die Laken gewaschen, wenn Sie dazu nicht mehr in der Lage waren. Also, da Sie sich im Polcare Cottage treffen mussten, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass es hier draußen irgendwo einen Mr. Pappas in den besten Jahren gibt, der nicht sonderlich begeistert wäre zu erfahren, dass seine Frau es mit einem achtzehnjährigen Bengel getrieben hat?«
Aldara angelte sich eine weitere Schaufel Mist. Obwohl sie schnell arbeitete, geriet sie weder außer Atem, noch bildete sich Schweiß auf ihrer Stirn. »Davon dürfen Sie nicht ausgehen. Ich bin seit Jahren geschieden, Inspector. Es gibt einen Mr. Pappas, aber er lebt in St. Ives, und wir sehen einander so gut wie nie. Es ist uns beiden lieber so.«
»Haben Sie Kinder? Eine Tochter in Santos Alter vielleicht? Oder einen heranwachsenden Sohn, sodass Sie es vorzogen, dass er nicht zugegen war, wenn Mutti für einen anderen Teenager die Hüllen fallen ließ?«
Aldaras Kiefermuskeln spannten sich an. Bea fragte sich, welche ihrer Bemerkungen ins Schwarze getroffen hatte.
»Ich habe mich mit Santo im Polcare Cottage zum Sex verabredet, und zwar nur aus einem einzigen Grund: weil wir beide es so vorzogen«, antwortete Aldara. »Es war eine Privatangelegenheit, und wir wollten beide, dass das auch so blieb.«
»Sie wollten Privatsphäre? Oder Geheimhaltung?«
»Beides.«
»Warum? Wäre es Ihnen peinlich gewesen, mit dem Jungen gesehen zu werden?«