»Wohl kaum.« Aldara stieß ihre Schaufel fest in die Erde, und gerade als Bea glaubte, sie wollte eine Pause machen, griff sie sich die Harke, kletterte auf das Gemüsebeet und begann mit Elan, den Mist einzuarbeiten. »Sex ist mir niemals peinlich«, erklärte sie. »Sex ist Sex, Inspector. Und wir beide wollten Sex, Santo und ich. Miteinander, zufälligerweise. Aber da manche Leute so etwas schwer zu verstehen finden — wegen des Altersunterschieds, brauchten wir einen abgeschiedenen Ort, um…« Sie schien nach einem beschönigenden Wort zu suchen, was ihr ganz und gar nicht ähnlich sah.
»Um es einander zu besorgen?«, schlug Havers vor. Sie brachte es fertig, gelangweilt zu wirken. Ihr Gesichtsausdruck sagte: Das habe ich alles schon tausendmal gehört.
»Um zusammen zu sein«, sagte Aldara mit Bestimmtheit. »Für eine Stunde. Zwei oder drei zu Anfang, als es noch neu für uns war und wir noch… in der Entdeckungsphase waren, könnte man wohl sagen.«
»Was haben Sie denn entdeckt?«, wollte Bea wissen.
»Was dem anderen gefiel. Es ist doch ein Entdeckungsprozess, Inckspector, oder nicht? Und Entdeckung führt zu Befriedigung. Oder wussten Sie noch nicht, dass es beim Sex darum geht, seinen Partner zu befriedigen?«
Bea ging nicht darauf ein. »Es hatte für Sie also nichts mit Herzschmerz zu tun.«
Aldara warf ihr einen Blick zu, der Ungläubigkeit und einen reichen Erfahrungsschatz zu gleichen Teilen ausdrückte. »Nur ein Dummkopf setzt Sex mit Liebe gleich, und ich bin kein Dummkopf.«
»Und er? War er ein Dummkopf?«
»Ob er mich geliebt hat, meinen Sie? Ob es für ihn Herzschmerz war, wie Sie es ausdrückten? Ich habe keine Ahnung. Darüber haben wir nie gesprochen. Genau genommen haben wir überhaupt sehr wenig gesprochen, nachdem die anfänglichen Arrangements getroffen waren. Wie gesagt: Es ging um Sex. Eine rein körperliche Angelegenheit. Santo wusste das.«
»Anfängliche Arrangements?«, wiederholte Bea.
»Sind Sie jetzt mein Echo, Inspector?« Aldara lächelte, aber ihr Blick war auf die Erde gerichtet, die sie hingebungsvoll bearbeitete.
Für einen Moment konnte Bea den Impuls verstehen, den Ermittler manchmal verspürten, die Hand gegen einen Verdächtigen zu erheben. »Warum erläutern Sie uns diese anfänglichen Arrangements nicht einfach, Aldara? Und wenn Sie schon dabei sind, könnten Sie uns vielleicht auch Ihren offenkundigen Mangel an Emotionen bezüglich der Ermordung Ihres Liebhabers erklären, der, wie Sie sicher schon vermutet haben, uns zu dem Schluss führen könnte, dass Sie direkter damit in Zusammenhang stehen, als Sie uns glauben machen wollen.«
»Ich habe nichts mit Santo Kernes Tod zu tun. Natürlich bedaure ich, was passiert ist. Und wenn ich nicht vor Kummer vergehe, liegt es nur daran, dass…«
»Dass es keine Herzensangelegenheit für Sie war«, beendete Bea den Satz für sie. »Das haben wir inzwischen wohl hinreichend geklärt. Also, was war es dann? Was genau, bitte?«
»Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt. Es war eine Vereinbarung zwischen ihm und mir, und es ging um Sex.«
»Wussten Sie, dass er es zur gleichen Zeit auch noch anderweitig trieb?«
»Natürlich wusste ich das.« Aldara klang gelassen. »Das gehörte dazu.«
»Wozu? Zu Ihrem Arrangement? Was genau war es? Ein Dreier?«
»Ach was! Die Geheimhaltung machte einen Teil des Reizes aus, das Wissen, eine Affäre zu haben, die Tatsache, dass es da noch jemand anderen gab. Ich wollte jemanden, der noch jemand anderen hatte. So habe ich es gern.«
Bea sah Havers blinzeln, als müsste sie ihr Blickfeld klären wie Alice, die ins Kaninchenloch gefallen und dort auf einen geilen Rammler gestoßen war, wo frühere Erfahrungen sie doch lediglich den Tollen Hutmacher, den Faselhasen und eine Tasse Tee erwarten ließen. Bea selbst fühlte sich ganz ähnlich.
»Sie wussten also Bescheid über Madlyn Angarrack und ihre Beziehung zu Santo Kerne«, hakte sie nach.
»Ja. Durch sie habe ich Santo doch überhaupt erst kennengelernt. Madlyn hat hier für mich in der Marmeladenküche gearbeitet. Santo hat sie ein paarmal von der Arbeit abgeholt, und bei der Gelegenheit habe ich ihn gesehen. Jeder hat ihn gesehen. Es wäre schwierig gewesen, Santo nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er war ein äußerst attraktiver Junge.«
»Und Madlyn ist ein ziemlich attraktives Mädchen.«
»Das stimmt. Natürlich muss sie das auch sein. Und ich bin es, nebenbei bemerkt, ebenfalls. Eine attraktive Frau. Ich stelle immer wieder fest, dass attraktive Menschen sich zueinander hingezogen fühlen.« Ein neuerlicher Blick auf die beiden Beamtinnen gab ihnen nur zu deutlich zu verstehen, dass Aldara Pappas nicht der Meinung war, eine von ihnen könnte die Frage aus persönlicher Erfahrung beantworten. »Wir sind einander aufgefallen, Santo und ich. Ich brauchte gerade jemanden wie ihn…«
»Jemanden in einer festen Beziehung?«
»… und ich dachte, er könnte der Richtige sein. Er hatte so eine Direktheit im Blick, die von einer gewissen Reife sprach, einer Gemütslage, die darauf hindeutete, dass er und ich dieselbe Sprache sprachen. Wir tauschten Blicke, dann und wann ein Lächeln. Es war eine Art Kommunikation, in der gleichgesinnte Individuen genau das sagten, was gesagt werden musste, und nichts weiter. Eines Tages kam er ein bisschen zu früh, um Madlyn abzuholen, und da habe ich ihn auf der Farm herumgeführt. Wir sind mit dem Traktor über die Obstwiesen gefahren, und dort haben wir…«
»So wie Eva unterm Apfelbaum?«, fragte Havers. »Oder waren Sie die Schlange?«
Doch Aldara ließ sich nicht provozieren. »Es hatte nichts mit Versuchung zu tun«, sagte sie. »Versuchung basiert auf Zweideutigkeit, und in unserem Fall war alles völlig eindeutig. Ich war ganz offen zu ihm. Ich habe ihm gesagt, dass er mir gefiele und dass ich darüber nachgedacht hätte, wie es wohl wäre, mit ihm ins Bett zu gehen. Wie schön es für uns beide sein könne, falls er Interesse habe. Ich sagte, wenn er mehr wolle als nur Sex mit seiner kleinen Freundin, dann solle er mich anrufen. Aber ich habe mit keinem Wort angedeutet, er solle seine Beziehung zu ihr beenden. Das wäre das Letzte gewesen, was ich wollte, denn es hätte ihn gar zu anhänglich machen können. Oder zu der Erwartung führen können, dass sich vielleicht mehr zwischen uns entwickeln würde. Er hätte diese Erwartung entwickeln können, meine ich. Ich nicht.«
»Ich kann mir vorstellen, dass Sie ziemlich lächerlich dagestanden hätten, wenn er mehr von Ihnen erwartet hätte und Sie es ihm hätten geben müssen, um ihn zu binden«, bemerkte Bea. »Eine Frau in Ihrem Alter, die sich mit einem Teenager in der Öffentlichkeit zeigt. Die Seite an Seite mit ihm sonntagmorgens die Kirche betritt, den Nachbarn zunickt, und sie alle denken, welch innere Defizite Sie doch haben müssen, um sich mit einem achtzehnjährigen Liebhaber abzugeben.«
Aldara ging zum nächsten Misthaufen über. Sie holte die Schaufel und begann, den Einarbeitungsprozess zu wiederholen. Die Erde des Gemüsebeets wurde dunkel und fett. Was immer sie dort anzubauen gedachte, es würde prächtig gedeihen.
»Erstens«, fuhr sie nach einer Weile fort, »befasse ich mich nicht damit, was andere Leute denken, Inspector. Was andere Leute über mich oder über sonst irgendwen oder irgendwas denken, bringt mich um keine Minute meines Schlafs. Das hier war eine Privatangelegenheit zwischen Santo und mir. Ich habe sie geheim gehalten. Und er auch.«
»Es ist aber nicht geheim geblieben«, warf Havers ein. »Madlyn hat es herausgefunden.«
»Das war Pech. Er war nicht vorsichtig genug, und sie ist ihm gefolgt. Es gab eine grässliche Szene zwischen den beiden — Vorwürfe, Anklagen, Leugnen, Eingeständnis, Erklärungen, Flehen, und dann hat sie ihre Beziehung noch an Ort und Stelle beendet. Das brachte mich in die Position, die ich um jeden Preis hatte vermeiden wollen: Ich war Santos einzig verbliebene Liebhaberin.«
»Wusste sie, dass Sie die Frau im Cottage waren, als sie dorthinkam?«