»Natürlich. Sie reagierte so heftig, dass ich schon befürchtete, sie könnte zu einem Messer greifen oder sonst wie gewalttätig werden. Ich musste aus der Deckung im Schlafzimmer kommen und irgendetwas tun.«
»Und zwar?«
»Sie trennen. Sie davon abhalten, das Cottage dem Erdboden gleichzumachen oder ihn anzugreifen.« Sie stützte sich auf ihre Schaufel und sah nach Norden, in Richtung der Obstwiesen, als durchlebte sie noch einmal ihren Ausflug mit Santo Kerne und alles, was diesem Ausflug nachgefolgt war. Und ganz so als sei sie gerade erst zu dieser Erkenntnis gekommen, sagte sie schließlich: »Es hätte nie zu einem solchen Drama kommen dürfen. Als es sich aber dazu entwickelte, musste ich meine eigene Beziehung zu Santo überdenken.«
»Und da haben auch Sie ihn abserviert?«, fragte Havers. »Weil Sie das große Drama in Ihrem Leben nicht wollten?«
»Das war meine Absicht, ja, aber…«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das sonderlich gefallen hat«, warf Havers ein. »Welchem Mann würde das schon gefallen? Zwei Freundinnen auf einen Schlag zu verlieren. Plötzlich darauf angewiesen zu sein… na, sagen wir, sich unter der Dusche einen runterzuholen, wo er es vorher doch von allen Seiten bekommen hatte. Ich wette, er hätte Ihnen jede Menge Ärger gemacht. Ihnen vielleicht sogar gedroht, er könnte die Dinge für Sie schwierig, vielleicht sogar peinlich machen, wenn Sie die Sache beenden.«
»Vielleicht«, stimmte sie zu, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Wäre es so weit gekommen, hätte er das vielleicht gesagt und sogar getan. Aber tatsächlich sind wir nie an diesen Punkt gelangt. Ich habe mein Verhältnis zu ihm überdacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir weitermachen könnten, solange er die Regeln verstand.«
»Und die wären?«
»Mehr Vorsicht und völlig klare Verhältnisse in Bezug auf die Gegenwart und Zukunft.«
»Was bedeutet?«
»Das Offensichtliche. Für die Gegenwart: dass ich nicht die Absicht hatte, meine Gewohnheiten zu ändern, um es ihm recht zu machen. Für die Zukunft: dass es keine gab. Und damit hatte er absolut kein Problem. Santo lebte hauptsächlich für den Moment.«
»Und zweitens?«, fragte Bea.
Aldara sah sie verständnislos an. »Wie bitte?«
»Sie sagten vorhin, "erstens" sei Ihnen gleichgültig, was andere Leute denken. Ich frage mich, woraus "zweitens" besteht.«
»Ah. "Zweitens" bezog sich auf meinen anderen Freund«, erklärte Aldara. »Wie gesagt, das Geheimnis einer Affäre mit Santo reizte mich. Sie machte das Leben spannend, und ich liebe Spannung. Tatsächlich brauche ich sie. Wenn es sie nicht mehr gibt…« Sie hob die Schultern. »Dann geht das Feuer in mir aus. Wie Sie vielleicht selbst schon mal festgestellt haben, gewöhnt der Verstand sich früher oder später an die Dinge. Und wenn der Verstand sich an einen Liebhaber gewöhnt, was irgendwann eintritt, wird der Liebhaber weniger ein Liebhaber, sondern eher…« Sie schien nach einem geeigneten Wort zu suchen und entschied sich schließlich: »Eine Unannehmlichkeit. Wenn das passiert, sucht man nach Wegen, ihn loszuwerden, oder man tut etwas, um das Feuer zurück in die sexuelle Beziehung zu bringen.«
»Verstehe. Und Santo Kerne diente Ihnen als Zünder«, schloss Bea.
»Mein anderer Liebhaber war ein sehr guter Mann, und ich genoss es sehr, mit ihm zusammen zu sein. In jeder Hinsicht. Seine Gesellschaft im Bett und außerhalb davon war ein Gewinn, und ich wollte sie nicht aufs Spiel setzen. Aber um mit ihm zusammenzubleiben um ihn im Bett zu befriedigen und von ihm befriedigt zu werden, brauchte ich einen zweiten, einen heimlichen Liebhaber. Das war Santo.«
»Wissen all Ihre Liebhaber voneinander?«, fragte Havers.
»Dann wäre die Affäre schwerlich heimlich.« Aldara tauschte erneut die Schaufel gegen die Harke. An ihren Stiefeln klebte Mist, bemerkte Bea. Sie sahen teuer aus, würden nun jedoch monatelang den Geruch von Tierdung tragen. Es verwunderte sie, dass Aldara das offenbar gleichgültig war. »Santo wusste es natürlich. Er musste es wissen, um die… man kann wohl sagen, um die Regeln zu verstehen. Aber der andere Mann, nein. Es war wichtig, dass er es nicht erfuhr.«
»Weil es ihm nicht gefallen hätte?«
»Auch das, natürlich. Aber vor allem, weil Heimlichkeit der Schlüssel zur Erregung ist und Erregung die Voraussetzung für das Feuer.«
»Mir fällt auf, dass Sie von diesem anderen Kerl in der Vergangenheit sprechen. War, nicht ist. Wie kommt das?«
Aldara zögerte, als ginge ihr mit einem Mal auf, was ihre Antwort der Polizei suggerieren könnte.
»Dürfen wir annehmen, dass diese Beziehung vorbei ist?«, hakte Bea nach.
»Finito«, fügte Havers hinzu, für den Fall, dass Aldara sie nicht verstanden haben sollte.
»Unsere Beziehung ist ein wenig abgekühlt«, antwortete Aldara vorsichtig. »Ich schätze, so würde man es nennen.«
»Und wann hat das begonnen?«
»Vor einigen Wochen.«
»Was hat den Anstoß dazu gegeben?«
Aldara schwieg sich aus, was Antwort genug war.
»Wir brauchen seinen Namen«, sagte Bea.
Das schien die Griechin zu überraschen, was Bea ihr nicht abkaufte. »Warum? Er hat nicht… Er weiß nicht…« Sie zögerte. Sie ließ sich die Sache durch den Kopf gehen, nahm Bea an, mit allen Konsequenzen.
»Doch, meine Liebe«, sagte Bea. »Es spricht allerhand dafür, dass er es sehr wohl wusste.« Sie erzählte ihr von Santos Gespräch mit Tammy Penrule und Tammys Rat, aufrichtig zu sein. »Wie sich herausgestellt hat, bezog Santos Frage sich nicht auf Madlyn, denn die hatte es ja selbst herausgefunden. Es ist also naheliegend, dass er darüber nachdachte, es jemand anderem zu sagen. Ich schätze, es handelte sich hierbei um Ihren Freund. Was ihn, wie Sie sich sicher vorstellen können, für uns ausgesprochen interessant macht.«
»Nein. Er wäre niemals fähig…« Doch dann zauderte sie erneut. Es war offensichtlich, dass sie in ihrem hübschen Kopf verschiedene Szenarien durchspielte. Ihr Blick trübte sich. Er schien zu sagen, dass sie genau wusste: Er war sehr wohl fähig.
»Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet, aber ich nehme an, die wenigsten Männer sind erbaut davon, ihre Frau mit einem anderen zu teilen«, bemerkte Bea.
»Das ist der Höhlenmensch, der noch in ihnen allen steckt«, erklärte Havers. »Meine Höhle, mein Feuer, mein Mammut, meine Frau. Ich Tarzan, du Jane.«
Bea fuhr fort: »Santo geht also zu ihm und sagt ihm die Wahrheit. "Wir treiben es beide mit Aldara Pappas, Kumpel, und zwar weil sie es so will. Ich dachte nur, du würdest vielleicht wissen wollen, wo sie steckt, wenn sie nicht mit dir zusammen ist."«
»Das ist doch absurd! Warum sollte Santo…«
»Logisch betrachtet, wollte er wahrscheinlich vermeiden, eine Szene wie die mit Madlyn noch einmal zu erleben, vor allem wenn ein Mann darin verwickelt wäre, der ihn möglicherweise windelweich prügeln würde.«
»Und jemand hat ihn geschlagen«, erinnerte Havers Bea. »Jedenfalls hat er ein ordentliches Ding abbekommen.«
»Das ist richtig«, antwortete Bea und fuhr, an Aldara gewandt, fort: »Was die Dinge für den anderen Kerl nicht gerade rosig aussehen lässt.«
Aldara tat das ab. »Nein. Santo hätte es mir gesagt. Das war das Wesen unserer Beziehung. Er hätte Max niemals…« Sie brach ab.
»Max?« Bea sah zu Havers. »Haben Sie das, Sergeant?«
»In Stein gemeißelt«, antwortete Havers.
»Und sein Nachname?«, fragte Bea liebenswürdig.
»Santo hatte keinen Grund, irgendwem irgendetwas zu erzählen. Er wusste, wenn er das täte, wäre unser Arrangement beendet.«
»Was ihn in tiefe Depression gestürzt hätte«, merkte Bea sarkastisch an. »So wie jeden Mann. Also schön. Aber vielleicht war Santo mehr als die Summe der Teile, die Sie gesehen haben.«