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»Das ist ausgeschlossen«, lehnte Bea kategorisch ab.

Wieder dieses Lächeln. »Oh, ich fürchte, das ist es keineswegs, Inspector Hannaford. Es sei denn, Sie wollen mich festnehmen und für die neun Stunden, die Sie haben, einsperren. Nun also zu Mr. Kerne…«

»Nein«, beharrte Bea.

»Eine kurze Fahrt nach Alsperyl. Ich versichere Ihnen, es wird ihm gefallen.«

»Ich werde Mr. Kerne nicht bitten…«

»Sie werden feststellen, dass er sich nicht lange wird bitten lassen. Sie müssen ihm nur ein Angebot machen: eine Unterhaltung über Santo mit Jago Reeth. Oder mit Jonathan Parsons, wenn Sie das vorziehen. Mr. Kerne wird die Gelegenheit nur zu gern wahrnehmen. Das würde jeder Vater, der wissen will, was genau an dem Tag oder in der Nacht passiert ist, als sein Sohn starb. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Inspector«, sagte Sergeant Havers eindringlich. Bea wusste, Havers wollte sie warnen: Geben Sie diesem Kerl keine Macht in die Hand. Nicht er bestimmt, wie die Dinge ablaufen, sondern wir tun das. Wir sind die Cops.

Aber das war inzwischen eine Spitzfindigkeit. Ganz sicher war Vorsicht geboten, doch diese Vorsicht würden sie in einem Szenario walten lassen müssen, das ihr Verdächtiger bestimmte. Das gefiel Bea nicht, aber sie sah keine Alternative, außer ihn ziehen zu lassen. Sie konnten ihn tatsächlich für neun Stunden in Gewahrsam nehmen, aber auch wenn neun Stunden in einer Zelle oder auch nur in einem Verhörzimmer ausreichten, um manch anderen zu entnerven und zum Reden zu bewegen, war sie doch ziemlich sicher, dass weder neun noch neunzig Stunden genug wären, um Jago Reeth dazu zu bringen.

Schließlich sagte sie: »Nach Ihnen, Mr. Reeth. Ich rufe Mr. Kerne vom Auto aus an.«

Im Innern des Wohnwagens befanden sich zwei Personen. Eine Frau lag in einer schmalen Koje unter einer ausgefransten Decke. Ihr Kopf ruhte auf einem unbezogenen Kissen, das von Schweißflecken gesäumt war. Die Frau war älter als er, erkannte Lynley, aber es war unmöglich zu sagen, wie alt. Sie war ausgemergelt, das Haar dünn, grau und ungekämmt. Ihre Haut wirkte kränklich, die Lippen waren rissig.

Die jüngere Frau, die bei ihr saß, hätte ebenso gut fünfundzwanzig wie vierzig sein können. Ihr Haar war sehr kurz, und die Farbe deutete auf Wasserstoffperoxyd hin. Sie trug einen langen Faltenrock mit einem gelb-blauen Karomuster, rote Kniestrümpfe und einen dicken Pullover, weder Schuhe noch Make-up. Als die Besucher eintraten, blinzelte sie in ihre Richtung, so als trüge sie normalerweise oder brauchte zumindest eine Brille.

»Mum«, verkündete sie schleppend. »Edrek ist gekommen.« Sie klang erschöpft. »Und sie hat einen Mann mitgebracht. Sie sind doch kein Arzt, oder? Du hast doch keinen Arzt hergebracht, Edrek? Ich hab dir doch gesagt, mit denen sind wir fertig.«

Die Frau in der Koje bewegte die Beine ein wenig, wandte aber nicht den Kopf. Sie blickte zu den Wasserflecken an der Decke auf, die wie Wolken aussahen, jeden Moment bereit, Rost auf sie herabzuregnen. Ihr Atem war flach und schnell, was deutlich an ihren Händen ablesbar war, die sie hoch auf der Brust gefaltet hatte, sodass sie in beunruhigender Weise an einen Leichnam erinnerte.

Daidre stellte die beiden Frauen vor: »Das ist Gwynder, meine jüngere Schwester. Und meine Mutter. Das heißt, meine Mutter bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr. Sie heißt Jen Udy.«

Lynley sah Daidre an. Sie sprach, als betrachteten er und sie eine Bühnenszene. »Thomas Lynley«, stellte er sich selbst vor. »Ich bin kein Arzt. Nur ein… Freund.«

»Vornehme Stimme«, bemerkte Gwynder und reichte der Frau in der Koje ein Glas. Es enthielt eine milchige Flüssigkeit. »Das musst du trinken, Mum.«

Jen Udy schüttelte den Kopf. Sie hob zwei Finger, ließ sie kraftlos wieder fallen.

»Wo ist Goron?«, fragte Daidre. »Und wo ist… euer Vater?«

»Er ist auch dein Vater, ob's dir nun passt oder nicht.« Gwynders Wortwahl hätte Verbitterung ausdrücken können, aber das tat sie nicht.

»Wo sind sie?«

»Wo sollen sie schon sein? Ist doch noch hell draußen.«

»Am Fluss oder im Schuppen?«

»Keine Ahnung. Wo auch immer. Mum, du musst das trinken. Tut dir gut.«

Die Finger hoben und senkten sich erneut. Sie bewegte den Kopf ein wenig, so als versuche sie, sich den Blicken der Besucher zu entziehen.

»Helfen sie dir denn nicht, sie zu versorgen, Gwynder?«, fragte Daidre.

»Hab ich dir doch erklärt. Wir können sie nicht mehr versorgen. Nur noch warten. Hier könntest du deinen Beitrag leisten.« Gwynder setzte sich oben neben dem fleckigen Kissen auf die Kante der Koje. Sie stellte das Glas auf ein Bord, das unter dem Fenster verlief. Die dünnen Vorhänge sperrten das Tageslicht aus und warfen einen gelbsüchtigen Schimmer auf Jen Udys Gesicht. Gwynder hob das Kissen mitsamt dem Kopf ihrer Mutter an und schob den Arm darunter. Dann griff sie wieder nach dem Glas. Sie setzte es Jen mit der einen Hand an die Lippen, mit der anderen, die den Kopf stützte, zwang sie ihr den Mund auf. Flüssigkeit rann hinein und wieder heraus. Die Halsmuskeln der Frau bewegten sich, als sie wenigstens einen Teil hinunterschluckte.

»Ihr müsst sie hier wegschaffen«, sagte Daidre. »Das hier tut ihr doch nicht gut! Und euch auch nicht. Es ist ungesund, kalt und elendig.«

»Meinst du, das wüsste ich nicht?«, konterte Gwynder. »Darum will ich sie ja nach…«

»Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass das etwas nützen würde.«

»Sie will es so.«

»Gwynder, sie ist doch gar nicht religiös. Wunder geschehen nur für Gläubige. Sie den ganzen Weg nach… Schau sie dir doch an! Sie hat keine Kraft mehr für die Reise. Sieh sie dir an, Herrgott noch mal!«

»Wunder passieren für alle. Und das ist es, was sie will. Was sie braucht. Wenn sie nicht hinfährt, stirbt sie.«

»Sie stirbt sowieso.«

»Ist es das, was du willst? Oh, ich schätze, das ist es. Du mit deinem vornehmen Freund da. Ich kann nicht fassen, dass du ihn hergebracht hast.«

»Er ist nicht mein… Er ist Polizist.«

Gwynder krallte eine Hand in ihren Pullover, als sie das hörte. »Warum hast du ihn…?« Und an Lynley gewandt, fügte sie hinzu: »Wir verstoßen gegen kein Gesetz. Sie können uns nicht wegjagen. Die Gemeindeverwaltung weiß Bescheid… Wir haben die Rechte des fahrenden Volkes. Wir stören niemanden.« Und zu Daidre: »Sind noch mehr da draußen? Bist du hier, um sie abzuholen? Sie wird nicht kampflos gehen. Sie fängt an zu schreien. Ich kann nicht fassen, dass du ihr das antust! Nach allem…«

»Wonach genau, Gwynder?« Daidres Stimme klang gepresst. »Nach allem, was sie für mich getan hat? Für euch? Für uns drei? Du scheinst ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben.«

»Und deines reicht zurück bis zum Beginn der Zeit, ja?« Gwynder zwang noch einen Schluck der Flüssigkeit in den Mund ihrer Mutter. Das Ergebnis war das Gleiche wie zuvor. Ein Rinnsal floss über ihre Wange auf das Kissen. Gwynder versuchte mit wenig Erfolg, es wegzuwischen.

»Wir können sie in ein Hospiz bringen«, schlug Daidre vor. »Es muss hier nicht so weitergehen.«

»Und sie dort allein lassen? Ohne ihre Familie? Sie wegsperren und warten, bis wir Bescheid kriegen, dass sie tot ist? Also, da mach ich nicht mit. Und wenn du gekommen bist, um mir zu sagen, dass das alles ist, was du uns an Hilfe anzubieten hast, dann kannst du mitsamt deinem schicken Typen wieder abhauen. Wer er auch immer sein mag. Denn ein Cop ist der nicht. Cops reden nicht so.«

»Gwynder, nimm doch Vernunft an!«

»Verschwinde, Edrek! Ich hab dich um Hilfe gebeten, und du hast Nein gesagt. So sieht's aus, und wir werden damit fertig.«

»Ich bin bereit, innerhalb vernünftiger Grenzen zu helfen. Aber ich werde euch nicht nach Lourdes oder Medjugorje oder Knock oder wohin auch immer schicken, denn es ist unvernünftig, sinnlos — es gibt keine Wunder…«