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Jago Reeths Worte waren unmissverständlich, als er Ben Kerne allein forderte, ohne jedwedes Anhängsel seiner Familie. Er schlug Hedras Hütte als Austragungsort vor, und er benutzte das Wort Austragungsort, als würde dort irgendeine Art Veranstaltung stattfinden.

Bea schimpfte ihn verrückt, wenn er tatsächlich glaubte, sie alle würden auf die Klippen hinauswandern, wo die alte Behausung stand.

Verrückt oder nicht, erwiderte er, wenn sie mit ihm reden wolle, gedenke er nun einmal, von seinen Rechten Gebrauch zu machen. Und als sie einwandte, zu seinen Rechten gehöre nicht, den Ort festzulegen, wo ihr Treffen mit Ben Kerne stattfinden solle, lächelte er nur und sagte, da sei er anderer Ansicht. Es mochte nicht sein verbrieftes Recht sein, aber sie wolle doch gewiss, dass er redete. Und der richtige Ort zum Reden sei Hedras Hütte. Dort hätten sie es schön gemütlich. Geschützt vor Kälte und Wind. Warm und kuschelig.

»Er hat ein Ass im Ärmel«, lautete Sergeant Havers' Einschätzung der Lage, als sie Jago Reeths Defender in Richtung Alsperyl folgten. Sie würden an der Dorfkirche auf Mr. Kerne warten. »Rufen Sie lieber den Superintendent an, und lassen Sie ihn wissen, wohin wir fahren«, fuhr Havers fort. »Fordern Sie Verstärkung an. Die Jungs von der Wache… Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben, wie sie sich in der Nähe der Hütte verstecken können.«

»Nur wenn sie sich als Kühe, Schafe oder Möwen tarnen«, entgegnete Bea. »Dieser Kerl hat alle Eventualitäten bedacht.«

Lynley ging nicht ans Handy, stellte Bea fest. Sie verfluchte ihn und fragte sich, wozu sie ihm überhaupt ein Telefon besorgt hatte. »Wo ist dieser schreckliche Mensch denn jetzt schon wieder hinverschwunden?«, fragte sie und antwortete sich dann selbst mit der grimmigen Feststellung: »Ich wette, wir kennen die Antwort, nicht wahr?«

Alsperyl lag nicht weit vom Salthouse Inn entfernt. Sie parkten in der Nähe der Kirche und blieben in ihren Autos sitzen. Als Ben Kerne schließlich zu ihnen stieß, waren sie bereits eine knappe halbe Stunde dort. In der Zwischenzeit hatte Bea die Wache angerufen, um dort mitzuteilen, wo sie hinwollten, und zuvor Ray aus demselben Grund. Ray war außer sich gewesen: »Beatrice, hast du den Verstand verloren? Ist dir eigentlich klar, wie regelwidrig das ist?«

»Sonnenklar«, hatte sie ihm versichert. »Aber ich stehe mit völlig leeren Händen da, es sei denn, dieser Kerl gibt mir irgendetwas, womit ich weiterkomme.«

»Du glaubst doch nicht, dass er die Absicht hat…«

»Ich habe keine Ahnung, was seine Absichten sind. Aber wir werden zu dritt sein, er allein, und wenn wir damit nicht fertig werden…«

»Du filzt ihn aber vorher?«

»Ich mag ein Idiot sein, Ray, aber kein Vollidiot.«

»Ich finde heraus, wer in der Gegend auf Streife ist, und schicke ihn dir.«

»Tu das nicht! Wenn ich Verstärkung brauche, kann ich sie in Casvelyn anfordern.«

»Mir ist egal, was du kannst oder nicht kannst. Ich denke dabei auch an Pete. Und wenn du's genau wissen willst, an mich selbst denke ich ebenso. Ich werde keine Ruhe haben, wenn ich nicht weiß, dass du vernünftige Verstärkung hast. Gott, das ist so regelwidrig…«

»Das sagtest du bereits.«

»Wer ist im Moment bei dir?«

»Sergeant Havers.«

»Die Frau? Wo zum Henker ist Lynley? Und was ist mit diesem Sergeant von der Wache? Er schien ganz brauchbar. Um Himmels willen, Bea…«

»Ray! Dieser Mann ist ungefähr siebzig. Er hat irgendeine Art Schüttellähmung. Wenn wir mit ihm nicht fertig werden, dann sollte man uns alle aufs Altenteil schicken.«

»Trotzdem…«

»Wiedersehen, Liebling.« Sie hatte die Verbindung getrennt und das Handy zurück in die Tasche gestopft, sich dann aber eines Besseren besonnen und auch Sergeant Collins und Constable McNulty Bescheid gegeben. Dann fuhr Ben Kerne vor.

Er stieg aus dem Wagen und schloss den Reißverschluss seiner Windjacke bis zum Kinn. Verwirrt sah er zu Jagos Defender hinüber. Dann entdeckte er Bea und Barbara Havers in dem Wagen, der an der flechtenbewachsenen Friedhofsmauer stand, und kam zu ihnen herüber. Sie stiegen aus, und Jago Reeth folgte ihrem Beispiel.

Bea sah, dass Jago Reeths Blick auf Santo Kernes Vater fixiert war. Der Ausdruck von Liebenswürdigkeit, den er im Salthouse Inn an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. Jetzt glomm es in seinen Augen. Es war der Blick eines kampferprobten Kriegers, der endlich den Nacken seines Feindes unter dem Fuß und die Schwertklinge an seine Kehle gelegt hatte.

Jago Reeth sprach zu keinem von ihnen. Er nickte lediglich zu der kleinen Schwingtür am Westende des Parkplatzes, gleich neben dem Schaukasten der Kirchengemeinde.

»Wenn wir Sie begleiten sollen, Mr. Reeth, dann habe ich auch eine Bedingung.«

Er zog eine Braue in die Höhe, offenbar die einzige Art von Kommunikation, zu der er bereit war, bis sie sein avisiertes Ziel erreicht hatten.

»Legen Sie die Hände auf den Kofferraum, und spreizen Sie die Beine. Und glauben Sie mir, ich habe kein Interesse daran festzustellen, wie dick Ihre Eier sind.«

Jago folgte ihrem Befehl. Havers und Bea tasteten ihn ab. Seine einzige Waffe war ein Kugelschreiber. Havers warf ihn über die Friedhofsmauer. Mit einem verächtlichen Ausdruck schien er sie zu fragen: Na? Zufrieden?

»Gehen Sie weiter!«, forderte Bea ihn auf, und er schritt auf das Schwingtörchen zu. Er wartete nicht, um zu sehen, ob sie ihm folgten. Er schien sich dessen vollkommen sicher.

Ben Kerne fragte Bea: »Was geht hier vor? Warum haben Sie mich gebeten… Wer ist das, Inspector?«

»Sie kennen Mr. Reeth nicht?«

»Das ist Jago Reeth? Santo hat hin und wieder von ihm erzählt. Es ist der alte Surfer, der bei Madlyns Vater arbeitet. Santo mochte ihn gern. Aber ich bin ihm bis heute nie begegnet.«

»Ich bezweifle, dass er ein Surfer ist, obwohl er den Fachjargon beherrscht. Kommt er Ihnen überhaupt nicht bekannt vor?«

»Sollte er das?«

»Vielleicht unter dem Namen Jonathan Parsons?«

Ben Kerne öffnete den Mund, sagte aber nichts. Sein Blick wanderte zurück zu Reeth, der durch die Schwingtür trat. »Wohin geht er?«

»Dorthin, wo er gewillt ist zu reden. Mit uns und mit Ihnen.« Bea legte ihm die Hand auf den Arm. »Aber Sie müssen ihn nicht anhören. Sie müssen auch nicht mitgehen. Seine Bedingung für ein Gespräch mit uns war Ihre Anwesenheit, aber mir ist klar, dass das ebenso verrückt wie gefährlich ist. Doch er hat uns — ich meine die Polizei, nicht Sie — in der Hand, und der einzige Weg, ein Wort aus ihm herauszubekommen, ist im Moment, nach seiner Pfeife zu tanzen.«

»Am Telefon haben Sie den Namen Parsons nicht erwähnt.«

»Ich wollte nicht, dass Sie wie ein Irrer hierherfahren. Und ich will auch jetzt nicht, dass Sie die Fassung verlieren. Wir haben es hier schon mit einem Verrückten zu tun; ein zweiter wäre einfach zu viel. Mr. Kerne, ich kann Ihnen nicht sagen, wie weit ich mich mit dieser Vorgehensweise aus dem Fenster lehne, darum versuche ich es gar nicht erst. Sind Sie in der Lage anzuhören, was er zu sagen hat? Und vor allem: Sind Sie gewillt?«

»Hat er…?« Kerne schien nach einer Formulierung zu suchen, die das, was er sagen musste, zu keiner Tatsache machte, die er würde akzeptieren müssen. »Hat er Santo getötet?«

»Darüber werden wir mit ihm reden. Schaffen Sie das?«

Er nickte. Er vergrub die Hände in den Jackentaschen und bekundete mit einer Kopfbewegung, dass er bereit war. Sie stießen das Schwingtörchen auf.

Jenseits davon lag eine Kuhweide, und der Weg zum Meer führte an einem Stacheldrahtzaun entlang. Er war schlammig und uneben. Traktorenräder hatten tiefe Furchen hineingezogen. An die Weide grenzte eine zweite, abgeteilt durch einen weiteren Stacheldrahtzaun und wiederum ein Schwingtörchen. Ihr Fußmarsch betrug etwa eine halbe Meile und führte sie schließlich zum Küstenpfad, der die zweite Weide hoch über dem Meer kreuzte.