Выбрать главу

Selevan stand einfach da, wusste nicht, ob er sich setzen sollte, ob er gehen oder bleiben sollte, und von seinem Standort aus sah er, wie Jago die Tasche aufs Bett stellte und die Schubläden der Einbauschränke öffnete. Und da endlich ging Selevan auf, was er hätte sehen sollen, sowie Jago die Tasche in Händen gehalten hatte: Sein Freund ging fort.

»Wo willst du denn hin?«, fragte er.

»Wie gesagt.« Jago kam wieder an die Tür, dieses Mal mit einem säuberlichen Stapel Shorts und Unterhemden in Händen. »Ich bin hier fertig. Wird Zeit für mich abzuhauen. Ich bleib sowieso nie lang an einem Ort. Folge der Sonne, den Wellen, dem Sommer…«

»Aber der Sommer hier fängt doch gerade erst an. Er wartet schon um die nächste Ecke. Wo willst du denn eine bessere Surfsaison finden als hier?«

Jago zögerte, halb dem Bett zugewandt. Es schien, als habe er über das Ziel seiner Reise noch gar nicht nachgedacht. Selevan sah, wie die Haltung der Schultern sich veränderte; irgendwie einen Deut weniger entschlossen.

»Und außerdem hast du hier doch Freunde! Das zählt doch was! Sind wir mal ehrlich: Bist du mit deinem Zittern schon mal beim Arzt gewesen? Ich schätze, das wird mit der Zeit nicht besser, und wie willst du dann zurechtkommen, immer so allein?«

Jago schien darüber nachzudenken. »Spielt keine große Rolle, wie gesagt. Meine Arbeit ist getan. Alles, was bleibt, ist das Warten.«

»Worauf?«

»Auf… Du weißt schon. Keiner von uns beiden ist mehr der Jüngste, Kumpel.«

»Auf den Tod, meinst du? Das ist doch Blödsinn! Du hast noch Jahre vor dir! Was zum Henker haben diese Bullen mit dir angestellt?«

»Nicht das Geringste.«

»Das glaube ich dir nicht, Jago. Wenn du vom Tod redest…«

»Dem Tod muss man ins Auge sehen. Genau wie dem Leben. Sie gehören zusammen. Das ist nur natürlich.«

Selevan spürte einen Hauch von Erleichterung, als er das hörte. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, dass Jago über den Tod nachgrübelte, denn das ließ nichts Gutes über die Absichten seines Freundes ahnen. »Ich bin froh, wenigstens das zu hören. Von wegen natürlich.«

»Weil…?« Jago begann zu lächeln, als ihm aufging, was Selevan meinte. Er schüttelte den Kopf wie ein nachsichtiger Großvater über den Unfug eines geliebten Enkels. »Oh, das. Ich könnte ohne große Mühe Schluss machen, denn ich bin hier fertig, und es scheint wenig Sinn darin zu liegen weiterzumachen. Und hier in der Gegend gäbe es jede Menge Möglichkeiten, es zu tun. Es würde wie ein Unfall aussehen, und keiner würde je das Gegenteil erfahren. Aber wenn ich das täte, endet es vielleicht für ihn, und das darf ich nicht zulassen. Nein. So was wie das hier darf einfach kein Ende nehmen, Kumpel. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«

Cadan war gerade bei LiquidEarth angekommen, als das Telefon klingelte. Er hörte, dass sein Vater in der Shapingwerkstatt war, Jago war nirgends zu entdecken, also nahm er das Gespräch entgegen. Eine Männerstimme fragte: »Lewis Angarrack?«, und als Cadan verneinte, sagte die Stimme: »Holen Sie ihn ans Telefon, ich muss ihn sprechen.«

Cadan dachte nicht daran, Lew beim Shapen eines neuen Boards zu stören. Aber der Anrufer beharrte darauf, dass die Angelegenheit nicht warten könne, und eine Nachricht wollte er nicht hinterlassen.

Also ging Cadan seinen Vater holen. Um sich über das Heulen der Maschine Gehör zu verschaffen, öffnete er die Tür nicht, sondern donnerte heftig dagegen. Das Heulen verstummte. Lew erschien an der Tür, Atemschutzmaske und Brille um den Hals.

Als Cadan ihm sagte, da sei ein Anruf für ihn, blickte Lew stirnrunzelnd zu Jagos Arbeitsplatz hinüber und fragte: »Ist Jago noch nicht zurück?«

»Sein Wagen steht nicht draußen.«

»Und was tust du dann hier?«

Cadan spürte, wie der Mut ihn verlassen wollte. Er unterdrückte ein Seufzen. »Telefon«, erinnerte er ihn.

Lew streifte die Handschuhe ab und ging zum Verkaufstresen hinüber. Cadan folgte ihm unwillkürlich und warf im Vorbeigehen einen Blick in die Lackiererwerkstatt. Eine Reihe fertiger Bretter wartete dort auf die Lackierung, und an der Wand prangte ein Kaleidoskop bunter Farben, die dort ausprobiert worden waren.

Draußen hörte er seinen Vater fragen: »Was wollen Sie sagen…? Nein, natürlich nicht. Wo zum Henker ist er? Können Sie ihn mir geben?«

Cadan wandte sich wieder seinem Vater zu. Lew stand an der Theke, wo das Telefon inmitten des Durcheinanders von Papierkram auf dem Klapptisch stand, der ihm als Schreibtisch diente. Er warf Cadan einen Blick zu und schaute wieder weg.

»Nein«, sagte Lew zu dem Mann am Telefon. »Ich wusste nicht… Ich hätte es verdammt noch mal zu schätzen gewusst, wenn er mir etwas gesagt hätte… Ich weiß, dass es ihm gesundheitlich nicht gut geht. Aber ich kann Ihnen nur sagen, was er mir gesagt hat: Er müsse kurz weg, um einen Kumpel im Salthouse zu treffen, der irgendwelche Probleme hat… Sie? Dann wissen Sie mehr als ich…«

Auch Cadan fragte sich jetzt, wo Jago wohl steckte. Der alte Mann war ein Vorzeigeangestellter gewesen, seit er bei LiquidEarth angefangen hatte. Tatsächlich hatte Cadan manches Mal gedacht, dass Jagos Darbietung der perfekten Arbeitsbiene auch daran schuld sein mochte, dass Cadan selbst so schlecht dagestanden hatte. Immer pünktlich bei der Arbeit, niemals krankgemeldet, keine einzige Reklamation, immer fleißig und gewissenhaft bei seinen Aufgaben. Dass Jago jetzt nicht hier war, warf die Frage nach dem Warum auf und veranlasste Cadan, genauer hinzuhören, was sein Vater am Telefon sagte.

»Rausgeworfen? Gott, nein! Dazu besteht überhaupt kein Grund! Ich ersticke hier in Arbeit, und das Letzte, was mir einfallen würde, ist, irgendwen… Also, was genau hat er denn nun gesagt?… Fertig? Fertig?« Lew sah sich im Verkaufsraum um, und sein Blick fiel auf das Klemmbrett mit den Aufträgen. Darin steckte ein dicker Stapel Beweis für das Vertrauen, das langjährige Surfer Lew Angarrack entgegenbrachten. Hier mussten sie nicht mit Computerdesign oder Comckputershaping vorliebnehmen; hier entstand noch alles in Handarbeit. Es gab nur wenige Handwerker, die beherrschten, was Lew in der Lage war zu vollbringen eine aussterbende Spezies, die ihre Arbeit zu einer Kunstform erhoben hatte, die in die Surfgeschichte eingehen würde wie die ersten Longboards, die aus Holz gewesen waren. Eines Tages würden Hohlkernbretter sie vollends ersetzen, am Computer entworfen, alles in eine Maschine programmiert, die am Ende ein Produkt ausspuckte, das nicht mehr von einem Meister gefertigt war, der selbst surfte und daher genau wusste, welchen Einfluss ein zusätzlicher Channel oder der Neigungswinkel einer Finne auf das Verhalten eines Surfboards haben konnte. Es war eine Schande.

»Weggefahren mit all seinen Sachen?«, fragte Lew. »Verflucht… Nein. Ich kann Ihnen auch nicht mehr… Sie scheinen ohnehin mehr zu wissen als ich… Ich weiß es nicht… Ich war beschäftigt… Nein, er kam mir nicht verändert vor… Könnte ich nicht sagen.«

Als sie das Gespräch beendet hatten, stand Lew eine Weile da und starrte auf das Klemmbrett. »Jago ist weg«, sagte er schließlich.

»Was soll das heißen, weg?«, fragte Cadan. »Für heute? Für immer? Ist ihm was passiert?«